Frühe Dynamik in den Bergen
Die Zeit der Antike prägt die Alpen bis heute in vielen Bereichen. Die wichtigsten Verkehrsrouten wurden erstmals so erschlossen, dass reger Handel stattfinden konnte. Der Alpenraum wurde zunehmend kultiviert, was nicht zuletzt an den Rohstoffvorkommen lag. Das weckte Begehrlichkeiten vieler Art. Das Buch „Die Alpen in der Antike“ widmet sich ihrer Besiedelung.
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Über den regionalen Ursprung so manchen traditionellen Gerichts lässt sich streiten. Im Fall der vor allem im südösterreichischen Raum unter dem Namen Ritschert bekannten Speise jedoch kaum. Der Eintopf aus Gerste, Bohnen und kleinen Fleischstücken besitzt nachweislich eine jahrtausendealte Tradition. Er wurde bereits vor 3.500 Jahren gegessen. Vermutlich von breiten Teilen der Bevölkerung, aber auf jeden Fall von den Arbeitern des bronzezeitlichen Salzbergwerks in Hallstatt.
Buchhinweis
Ralf-Peter Märtin: Die Alpen in der Antike - von Ötzi bis zur Völkerwanderung. S. Fischer, 208 Seiten, 22,70 Euro.
Exkremente erzählen Geschichte
Der kulinarische Umstand aus einer Zeit, in der die Alpen eine raue Naturlandschaft bildeten, in die sich der Mensch zunehmend einzumischen begann, ist deshalb bekannt, weil das Klima im historischen Salzbergwerk organisches Material bestens konserviert. Archäologen haben dort nicht nur die älteste Holztreppe Europas bergen können, sie ist knapp 3.350 Jahre alt, auch die Exkremente der Arbeiter wurden konserviert. Und darin ist genau abzulesen, wie sich die Menschen ernährt haben: nämlich vorwiegend von Ritschert, wie es heute noch zubereitet und gegessen wird.
Postume Veröffentlichung
Der im vergangenen Jahr verstorbene deutsche Historiker Ralf-Peter Märtin, dessen kulturhistorische Bücher über die Varusschlacht und Vlad Tepes alias Graf Dracula zu Bestsellern wurden, war ein ausgewiesener Experte der Kulturgeschichte des Alpenraumes.

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Kein Fund erzählt so viele geschichtliche Details über die Alpen wie „Ötzi“
Mit „Die Alpen in der Antike“ erscheint nun postum sein letztes Werk, mit dem Märtin abermals beweist, dass er ein packender Erzähler ist, der Geschichte sehr fassbar macht. Eigentlich hatte Märtin geplant, eine große Kulturgeschichte des Alpenraumes zu verfassen. Vollenden konnte er den jetzt erscheinenden Abschnitt über die Antike.
Der Drang in die Tiefe
Märtin erklärt präzise. Er berichtet ebenso, wie es zum glücklichen geologischen Umstand kommen konnte, dass sich in Hallstatt das Salz nur 30 Meter unter der Erde befindet, und spinnt seine Ausführung bis hin zu den kulturellen und kulinarischen Auswirkungen des Salzes, und wie es den Alpenraum geprägt und ihm ein frühes Selbstbewusstsein verliehen hat. Damit waren auch Begehrlichkeiten vieler Art geweckt worden. Im Alpenraum ist große gesellschaftliche Dynamik entstanden.

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Hannibals Alpenüberquerung wird von Legenden und Mythen umrankt
Und Märtin macht, ohne sie in den Vordergrund zu stellen, die frühen Zusammenhänge zwischen Fernhandel und dem Wohlstand von Gesellschaften deutlich. Aber auch, wie technische Innovationen das überregionale Agieren beflügelten. Die Entdeckung der Bronze-Legierung, deren Bestandteile Kupfer und Zinn nur in geografischer Distanz zueinander gefunden wurden, sorgten für frühen Transit in den Alpen - mit vielen Nebenwirkungen auf die frühe Infrastruktur des Alpenraums.
Kulturelle Transformationen
„Die Alpen in der Antike“ ist dabei nicht als linear erzählte Kulturgeschichte der Alpen jener Zeit zu verstehen. Märtin greift einzelne Themen heraus, was die historische Darstellung ungemein lebendig macht. Der Alltag im Gebirge wird anhand von „Ötzis“ Geschichte ebenso beschrieben, wie den Römern und ihrem Einfluss auf den Alpenraum ausführlicher Platz gewidmet ist. Märtins spannt den Bogen rauf bis zur Zeit der Christianisierung der Alpen. Und er berichtet ausgiebig über die Völkerwanderung oder stellt sich die Frage, warum es die Kimbern damals nicht über den Brenner geschafft haben.
Mit Elefanten gegen Rom
Dass die Geschichte der Alpen auch jene der unzählbaren kriegerischen Konflikte ist, die Europas Geschichte seit jeher prägen, lässt Märtins Buch ebenso deutlich spüren. Hannibal und seine mit Elefanten bestrittene Alpenüberquerung, um gegen Rom zu ziehen, wird detailreich geschildert – vor allem weil nach wie vor darüber gestritten wird, an welchen Stellen der Tross mit Zehntausenden Kriegern, Tausenden Pferden und gut drei Dutzend Elefanten die Alpen tatsächlich überquert hat.
„Die Alpen in der Antike“ erzählt, trotz der mitunter dünnen Quellenlage, ohne in wilde Spekulationen zu verfallen. Etwas Fantasie im Dienst der packenden Erzählung ist Märtins mitunter dennoch nicht fremd. Doch vor allem lässt der weite geschichtlichen Bogen, den er dabei auf gut 200 Seiten spannt, die Dynamik begreifen, die dem Alpenraum seit jeher innewohnt - und macht damit wohl auch die Dynamik unserer Zeit eine kleine Spur fassbarer.
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Johannes Luxner, für ORF.at