Bahnbrechende Entdeckung in aller Frühe
Wieder einmal sorgt die Umstellung von Normal- auf Sommerzeit am Sonntag für Gesprächsstoff. „Wozu das Ganze, jahrhundertelang ging es auch ohne Zeitumstellung“, ist vermehrt zu hören. Dabei ist das kontroverse Thema bereits wesentlich älter als vielfach angenommen.
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Als geistiger Urheber der Sommerzeit gilt der auch als Schriftsteller, Naturwissenschaftler und Erfinder umtriebige US-Politiker Benjamin Franklin. Doch was später oft übersehen wurde: Sein Vorstoß anno 1784 war eine Satire. Als US-Gesandter der USA in Frankreich hatte Franklin einen Leserbrief mit dem Titel „An Economical Project for Diminishing the Cost of Light“ an das „Journal de Paris“ geschrieben.

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Während der Amerikanischen Revolution vertrat Franklin die USA als Diplomat in Paris
„Die Sonne mit eigenen Augen gesehen“
Er sei zufällig einmal um 6.00 Uhr wach geworden, als die Fensterläden nicht wie üblich geschlossen gewesen seien, und habe zu seinem großen Erstaunen entdeckt, dass die Sonne schon schien, schrieb der für seinen Humor berüchtigte Mitbegründer der Vereinigen Staaten. „Ihre Leser, die wie ich noch nie auch nur einen Sonnenschimmer vor Mittag bemerkt haben, (...), werden so überrascht sein, wie ich es war“ heißt es weiter.
In diesem ironischen Tonfall geht es weiter: „Ich versichere ihnen (der Leserschaft, Anm.), dass die Sonne von ihrem Aufstieg an Licht spendet. Ich bin davon überzeugt. Niemand kann sich seiner Sache sicherer sein, als ich es bin. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen.“ Doch wem immer er von seiner Entdeckung erzähle, niemand glaube ihm, obwohl er seine Beobachtung mehrmals wiederholt und geprüft habe, klagte Franklin.
Rechnung zur optimalen Nutzung des Lichts
Trotz des Gegenwinds, den er auch von zu Rate gezogenen Naturwissenschaftlern erfahren haben will, schwang sich der prominente Leserbriefschreiber in der Folge zu einer Kostennutzenrechnung auf: Wer früher aufsteht, verbraucht nachts weniger Kerzen und Lampenöl, lautete seine Gleichung. Tageslicht müsse also optimaler genutzt werden.
Einer der Gründerväter der USA
Als einer der Gründerväter der Vereinigten Staaten beteiligte sich Franklin am Entwurf der Unabhängigkeitserklärung von 1776 und war einer ihrer Unterzeichner. Angeblich sollte Thomas Jefferson und nicht der sprachlich wesentlich gewandtere Franklin deren Hauptverfasser sein, weil manche fürchteten, Franklin könne unbemerkt einen seiner berüchtigten subtilen Scherze in die Verfassung einbauen.
Zur Rechtfertigung stellte Franklin sogar eine akribische Rechnung an: Wenn 100.000 Pariser Haushalte zwischen 20. März und 20. September sieben Stunden lang Kerzen brennen ließen, bedeute das einen Wachsverbrauch von 64. Mio. Pfund, den man sich bei der vorgeschlagenen Zeitumstellung ersparen könne.
Kanonendonner und Fensterlädensteuer
Früher oder später würden sich die Menschen schon daran gewöhnen, zeitiger aufzustehen, so Franklin weiter. Dann legte er noch ein Schäuferl nach und schlug zur besseren Durchsetzung der Maßnahmen eine Steuer für Fensterläden, rationierte Kerzen und das frühmorgendliche Abfeuern von Kanonen in den Pariser Straßen vor.

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Benjamin Franklin, Thomas Jefferson, John Adams, Philip Livingston und Roger Sherman (v. l. n. r.) bei ihrer Arbeit am Entwurf der Unabhängigkeitserklärung. Stich aus dem 19. Jahrhundert.
Ob das ökonomische Ansinnen zur Reduzierung der Ausgaben für Licht nicht vielleicht doch einen ernst gemeinten Kern enthielt, ist nicht bekannt. Primär hatte sich Franklin jedoch ganz ohne jeden Zweifel über die ausufernde Nachtschwärmerei der Pariser Gesellschaft und deren daraus folgenden Gewohnheit, bis in die Mittagsstunden zu schlafen, lustig gemacht. Der Brief reiht sich zudem in eine ganze Serie leichter, humorvoller Texte, die Franklin für das „Journal de Paris“, mit dessen Herausgeber er befreundet war, verfasst hatte.
26. März bis 29. Oktober
Grundlage für die Zeitumstellung ist eine EU-weite Regelung, wonach die Mitteleuropäische Sommerzeit (MESZ) am letzten Sonntag im März beginnt und am letzten Sonntag im Oktober endet. Am 26. März um 2.00 Uhr werden die Uhren um eine Stunde vor-, am 29. Oktober um 3.00 Uhr wieder zurückgestellt.
Erstmalige Einführung im Ersten Weltkrieg
Fakt ist aber auch, dass Franklins Konzept später ernst genommen und aufgegriffen wurde. Die Idee einer staatlich verordneten Sommerzeit kam etwa ein Jahrhundert später auf. Unabhängig voneinander schlugen der neuseeländische Insektenforscher George Vernon Hudson 1895 und der britische Baumeister William Willett 1907 eine saisonale Zeitverschiebung vor. Ein Jahr nach Willets Tod führte Großbritannien 1916 dann die „Daylight Saving Time“ ein, kurz nachdem Deutschland und die österreichisch-ungarische Monarchie vorgeprescht waren.
Die Sommerzeit sollte die energieintensiven Materialschlachten des Ersten Weltkriegs unterstützen. Als Reaktion darauf führten neben Großbritannien zahlreiche andere europäische Länder noch im selben Jahr die Sommerzeit ein. Doch die Idee setzte sich großteils nicht durch. Großbritannien war das einzige Land, das zwischen den Weltkriegen kontinuierlich an der Verschiebung der Stunden im Sommer festhielt. 1919 schaffte Deutschland die ungeliebte Kriegsmaßnahme wieder ab, 1920 Österreich. Ein zweiter Versuch wurde in den Jahren 1940 bis 1948 unternommen.
Ölkrise und Energiesparen
Erfolgreich eingeführt wurde in Europa der Prozess der Zeitumstellung 1973 anlässlich der Ölkrise und wieder mit dem Hintergrund, Energie zu sparen. Mit der Zeitverschiebung sollte eine Stunde Tageslicht für Unternehmen und Haushalte gewonnen werden. Frankreich machte damals den Anfang. In Österreich war es erst 1979 so weit - wegen verwaltungstechnischer Probleme und weil man eine verkehrstechnische Harmonisierung mit der Schweiz und Deutschland wünschte, die auch erst 1980 bei der Zeitumstellung mitmachten.
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