Themenüberblick

„Kreuzzug des guten Geschmacks“

Raymond Loewys Industriedesign hat ab den 1930er Jahren eine Zeit der prosperierenden US-Wirtschaft und der Entstehung eines Mittelstandes begleitet, dessen Konsumverhalten sich zunehmend auf Massenprodukte ausgerichtet hat. Industriedesign erkannte er als Mittel, um Umsätze anzukurbeln.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Loewy, dessen Vater Maximilian ein gebürtiger Wiener mit ungarischen Wurzeln gewesen war, emigrierte im Jahr 1919 von Frankreich in die USA, wo bereits seine beiden Brüder lebten. In Paris hatte er ab dem Jahr 1910 Ingenieurwissenschaften studiert. Sein künstlerisches Talent ließ Loewy zunächst als Modezeichner tätig werden. Gegen Ende der 1920er Jahre wandte er sich dem Entwerfen von Alltagsgegenständen zu, was damals keinem klaren Berufsbild entsprach. Loewys erste Auftragsarbeit war die Neugestaltung eines Mimeographen, eines Reproduziergeräts, dessen Erfolg Loewys Gespür für ansprechende Formen erahnen ließ.

Attraktive Kühlschränke

Nach Jahren des Klinkenputzens kam seine Karriere mit der Neugestaltung des Kühlschranks Coldspot Super Six für das damals bedeutende US-Versandhaus Sears, Roebuck und Co. in Fahrt. Loewy verpasste dem Gerät im Jahr 1935 eine rundliche Form und machte ihn optisch attraktiv. Die gerade aufkommenden Kühlgeräte fanden in den USA generell großen Absatz. Es war die Zeit ihrer flächendeckenden Verbreitung und das Versandhaus war einer der damaligen Big Player der Branche.

Loewys Entwurf für den Kühlschrank hielt dem Versandhaus klar vor Augen, dass gutes Design gerade in einem höchst umkämpften Markt im Stande war, die Absätze enorm zu steigern. Pro Jahr wurden Hunderttausende Coldspot-Super-Six-Modelle verkauft, was sich in Branchenkreisen schnell herumsprach. Loewy erlangte binnen kurzer Zeit den Ruf als Gestaltungsgenie. Die Güte seines Designs war messbar, hatten doch die Konsumenten an den Kassen des Landes darüber entschieden - was dem Entstehen der eigenständigen Disziplin des Industriedesigns ungeheuren Vorschub leistete.

Virtuose Formgestaltung

Die durchdachte Gestaltung von Konsumartikeln wurde als neuer und überaus entscheidender Faktor in der Entwicklung von neuen Produkten gesehen. Niemand spielte auf der Klaviatur der Formgestaltung dermaßen perfekt wie Loewy, was seinem neuartigen Zugang geschuldet war.

Er setzte sich mit seinen Kunden eingehend auseinander und dachte in psychologischen Kategorien, was damals einen außerordentlich undogmatischen Zugang bedeutete. Sein Unternehmen Raymond Loewy Ass., das Gestalter, Ingenieure und Kostenanalytiker beschäftigte, durchleuchtete Firmen und deren Geschäftstätigkeit bis ins Detail und versuchte in Kundenkategorien zu denken.

Bleistiftanspitzer, Entwurf von R. Loewy, 1933

picturedesk.com/akg-images

Ein Bleistiftspitzer im Stromliniendesign - ein Entwurf Loewys aus dem Jahr 1933

Loewy erkannte sehr früh, dass in amerikanischen Haushalten jener Zeit zwar die Männer das Geld verdienten, viele Kaufentscheidungen jedoch von den Frauen getroffen wurden, deren Geschmack es mit der Produktgestaltung deshalb vor allem zu treffen galt, um maximale Absatzzahlen generieren zu können.

Der designte Alltag

Im Lauf seiner Karriere schuf Loewy die mitunter bedeutendsten Symbole amerikanischer Alltagskultur des 20. Jahrhunderts. Die klassische Form der Coca-Cola-Flasche, die bis zu Loewys optischem Eingriff in ihrer geschwungenen Form wesentlich rundlicher und plumper war, zählt zu seinen bekanntesten Entwürfen. Bei vielen seiner Designs handelte sich um Produkte und Gegenstände, mit denen die Amerikaner zwangsläufig in Berührung kamen.

Für die Zigarettenmarke Lucky Strike revolutionierte er das Verpackungsdesign. Er verbannte alles, was an Text nötig war, auf die schmale Seite der Schachtel, um das große Logo, das er ebenso adaptierte, auf beide Seiten der Schachtel zu geben - egal wie die Packung liegt, war das Markenemblem nun stets gut zu sehen. Loewy erkannte, dass das Produkt an sich ein Werbeträger ist, das es im Alltag offen zur Schau zu stellen gilt.

Loewys Logos wirken heute noch. Der Shell-Muschel verpasste er ebenso ein neues Design, wie er auch für die Ölkonzerne BP und Exxon neue Logos schuf. Erdöl bedeutete damals noch Fortschritt. Loewy war aber etwa auch für die berühmte Tanne des Lebensmittelkonzerns Spar als Gestalter verantwortlich.

Mobilität als großes Thema

Neben dem Design alltäglicher Objekte war es vor allem das Thema Mobilität, das Loewy bewegte. Bereits Anfang der 1930er war er für den Autohersteller Hupmobile tätig, was sich jedoch als keine fruchtbare Zusammenarbeit erwies, weil die Ingenieure mit seiner progressiven Herangehensweise wenig anzufangen wussten.

Raymond Loewy mit Familie, 1963

AP

Nizza 1963: Raymond Loewy posiert mit Frau und Tochter vor dem von ihm designten Avanti von Studebaker

Ab den späten 1930er Jahren hinterließ Loewy, der 1938 die US-Staatsbürgerschaft erhielt, in der US-Automobilbranche tiefe Spuren. Für den Hersteller Studebaker lieferte er revolutionäre Entwürfe, die seine Vorliebe zum Stromliniendesign deutlich hervorkehrten. Die fruchtbare Kooperation mit unzählbaren Modellen dauerte mehrere Jahrzehnte.

Zu einem Meilenstein des Industriedesigns wurde der von Loewy entworfene Greyhound-Bus Scenicruiser, der quer über den Kontinent unterwegs war und zum bedeutenden Symbol US-amerikanischer Mobilität wurde. Der Dampflokomotive S1 verpasste er ebenfalls eine spektakuläre Form. Zudem erhielt er den Auftrag, das Äußere der US-Präsidentenmaschine „Air Force One“ neu zu gestalten.

Aufgeklärte Industrialisierung

Der 1986 verstorbene Loewy war bis tief in die 1970er tätig. In seiner späten Schaffensphase gelang ihm der Brückenschlag zwischen Industriedesign und Raumfahrttechnik. Für das Skylab der NASA entwarf er die Inneneinrichtung. Jene des ersten Überschallflugzeugs der Welt, der Concorde, ist ebenso Loewys Werk.

In seiner 1953 Autobiografie „Hässlichkeit verkauft sich schlecht“ sprach Loewy von einem „Ein-Mann-Kreuzzug des guten Geschmacks“, den er mit seinem kreativen Schaffen angetreten habe. Der „Spiegel“, der Loewy damals eine Titelgeschichte gewidmet hatte, rechnete vor, dass täglich rund 120 Millionen Amerikaner mit mindestens einem von Loewys entworfenen Gegenstand in Berührung kommen, und verortete die Strahlkraft seiner Designs in ihrer Symbolhaftigkeit - die vor allem Ausdruck einer „aufgeklärten Industrialisierung“ sei.

Links: