Themenüberblick

Mimikry mit Plexiglasfeigenblatt

Was ist eigentlich „schlechter Geschmack“, fragt man im Winterpalais in der Wiener Himmelpfortgasse und setzt zur Huldigung des Vulgären an. Gezeigt werden Modelle der Haute Couture aus der Modegeschichte und -gegenwart, die auf die eine oder andere Weise vulgär sind. Oder doch nicht?

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Ein Ganzkörperanzug mit aufgemalten Muskeln, ein Rock mit Elefantenkopf-Vorbau samt Rüsselpenis, Plastikfingernägel als Abendkleid-Applikation und keine Scheu vor Pailletten und Rüschen. Das Belvedere frönt ab sofort in einer Ausstellung dem modischen Exzess. Es geht hier um das - zumindest auf den ersten Blick - allzu Große, allzu Glitzernde, allzu Aufmerksamkeitsheischende.

Ausstellungsansicht Vulgär? Fashion Redefined, Barbican Centre, Dior by John Galliano

Belvedere, Wien

Huldigung des „too much“: John Galliano für Christian Dior aus dem Frühjahr 2003

Es ist ein durchaus aktuelles Thema: Die goldenen Salons von Präsident Trumps Privatresidenz, die kürzlich in den Medien kursierten, zählen zweifellos zum Inbegriff einer „neureichen“ Dekadenz, TV-Shows huldigen seit Längerem Promis wie den Kardashians, und in der Populärkultur sind provokante bis vulgäre Kostüme sowieso Programm - siehe etwa Lady Gagas Fleischkleid-Auftritt bei den MTV Video Music Awards oder etwa auch Miley Cyrus’ Ritt auf einem überdimensionalen Hotdog auf ihrer vierten Konzerttour.

Provokante Schau im Wiener Winterpalais

„Vulgär?“ ist der Titel einer Modeausstellung, die jetzt ins ehrwürdige Winterpalais des Prinz Eugen Einzug hält, Agnes Husslein-Arco hat sie noch vor ihrem Abgang lanciert.

Der Modewissenschaftlerin Judith Clark und dem Psychoanalytiker Adam Phillips, den beiden Kuratoren der Schau, geht es jedoch weniger um eine aktuelle Gesellschaftsdiagnose oder eine Untersuchung der Popkultur. Das Feld ist viel enger gesteckt: Man konzentriert sich auf die moderne und zeitgenössische Haute Couture - neben kurzen Ausflügen in die weiter zurückliegende Modegeschichte.

„Ein brutales und trennendes Wort“

„Vulgär? Fashion Redefined“, so heißt also die Schau, die vom Londoner Barbican Centre importiert und vom Belvedere-Kurator Alfred Weidinger für Wien verknappt und adaptiert wurde. Das Winterpalais des Prinzen Eugen ist kein ganz einfacher Ort dafür, denn neutral ist das opulente Palais mit Sicherheit nicht. Aber es ist eine ausgezeichnete Wahl: Die Innenarchitektur erdrückt keineswegs die überkandidelten Kleider, sondern weiß, so wirkt’s, sie erst entsprechend zu würdigen.

Ausstellungsansicht Vulgär? Fashion Redefined, Winterpalais, Royal; Ausstellungsansicht Vulgär? Fashion Redefined, Barbican Centre, Pailetten

Belvedere, Wien; Christian Wind/Belvedere Wien

Links Royaler Pomp (John Galliano), rechts Münzenoberteil (Gareth Pugh) und Rüschen- und Knopf-Exzess (Viktor&Rolf)

Zur Ausstellung treten nun Designs von Walter Van Beirendonck, Christian Dior, Karl Lagerfeld für Chloe und Prada an, auch weiße, oberschenkelhohe Lederstiefel von Manolo Blahnik mit Erdbeer- und Schlingpflanzenapplikationen, ein schreiend gelbes Kleid mit Teddybären-Motiv von Steven Jones und der fleischfarbene Bodysuit „Eva“ von Vivienne Westwood mit einem Plexiglasfeigenblatt im Schritt.

Ausstellungshinweis

„Vulgär? Fashion Redefined“, zu sehen von 3. März 2017 bis 25. Juni 2017 im Prinz-Eugen-Winterpalais des Belvederes in der Wiener Innenstadt

Es sei gar nicht so leicht gewesen, Ausstellungsstücke der Designer zu bekommen, erzählt Clark im Interview mit ORF.at: „Wenn man jemanden fragt, ob er Teil einer Ausstellung sein will, die ‚Das Vulgäre‘ heißt, dann gibt es erst einmal auch Skepsis. Manche Designer wollten ihre Arbeit mit dem Begriff gar nicht in Verbindung bringen, wir mussten deswegen einiges an Überzeugungsarbeit leisten.“

Eine Huldigung des Vulgären

Dass diese gelungen ist, daran hat vermutlich auch das Fragezeichen im Titel einen Anteil - und die zurückhaltende Huldigung des Vulgären: Denn wer in dieser Ausstellung das eindeutige, das schockierende, banale Vulgäre suchen sollte, wird enttäuscht werden. Zum einen existiert das, so Clark, sowieso nicht: „Es gibt kein Objekt, das an sich vulgär ist.“ Zum anderen wird das Vulgäre in der hier ausgestellten Haute Couture, wenn überhaupt, dann als Zitat, als Referenz spürbar: Als Koketterie mit den Codes dessen, was gemeinhin als vulgär gehandelt wird.

Ausstellungsansicht Vulgär? Fashion Redefined, Barbican Centre, Neues Barock

Barbican Centre

Auch im Winterpalais zu sehen: Iris Van Herpens ausgefallene Barock-Interpretationen

Bleibt die Frage: Vulgär, was ist das überhaupt? Elf Definitionsversuche hat sich die Ausstellung vorgenommen - und verhandelt sie unter Titeln wie „Entblößte Körper“, „Pailletten und Flitter“, „Das neue Barock“, „Zu populär“ und „Zu gewöhnlich“. Das Vulgäre, so wird erklärt, stammt vom lateinischen „vulgus“ ab, dem gemeinen Volk, und meinte ursprünglich das Gewöhnliche, Verbreitete und Alltägliche - also das genaue Gegenteil dessen, was hier als vulgär vorgeführt wird. Zum (Klassen-)Kampfbegriff wurde es ab dem 18. Jahrhundert, mit dem aufkommenden Wohlstand, um die bedrohlich verschwimmende Grenze zum aufstrebenden Bürgertum zu wahren.

Kampfansage an die Zurückhaltung

Für Clark und Phillips ist das Vulgäre, wie sie im Katalog schreiben, „stets eine Kopie“, ohne die Reinheit des Originals. Es enthält eine provozierende Botschaft: Ich halte mich nicht zurück. Und ist damit eine ironische und oft auch höchst amüsante Kampfansage an die asketische Ästhetik des Einfachen - ob mit bauschigen Rüschenschichten, Hunderten von eigentlich unnützen, zuckerlfarbenen Knöpfen oder einem Walt-Disney-Bambi auf dem Pullover.

„Das Vulgäre ist eigentlich ein problematisches, brutales und trennendes Wort“, fasst Clark es schließlich zusammen. „Obwohl wir alle unsere ganz eigene Vorstellungen vom Vulgären haben, lässt sich das gar nicht so leicht festmachen. Diese Begriffsunschärfe hat uns interessiert und uns dazu motiviert, hier genauer hinzuschauen.“

Paula Pfoser, für ORF.at

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