Unberechenbarkeit statt Vertrauen
Gemeinsam Lösungen entwickeln und mit Ausdauer umsetzen, Kontrahenten nicht bloßstellen und Kompromissbereitschaft – zumindest diese grundlegenden Schlüsselfähigkeiten sollte ein Diplomat beherrschen. US-Präsident Donald Trump will sich offenbar nicht daran halten - und stellt so die Diplomatie in ihrer bisherigen Form auf eine harte Probe.
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Ziel der Diplomatie ist es, durch geschicktes Verhandeln und freundliche Taten ein für alle Seiten möglichst friedliches Zusammenleben von Menschen und Staaten zu ermöglichen. Um erfolgreich zu sein, sollten Diplomaten gut vorbereitet sein, ihre Worte überlegt einsetzen, realistisch bleiben und Vertrauen gewinnen - wenig davon scheint direkt zu Trumps Kernkompetenzen zu zählen.
In der kurzen Zeit seiner bisherigen Präsidentschaft hat er es mit seiner für viele Beobachter unberechenbaren Art geschafft, erstaunlich viele Staaten und Politiker vor den Kopf zu stoßen. Dazu zählt etwa Mexiko, dem Trump via Kurznachrichtendienst Twitter und damit öffentlich und vor aller Augen auferlegt hat, eine Mauer auf eigene Kosten zu bauen. Zwar folgten im Anschluss persönliche Gespräche, doch war der Ärger schon angerichtet - inklusive Vertrauensbruch.
Vertrauen und stabile Erwartungen wichtig
Gerade Vertrauen und stabile Erwartungen seien aber das Wichtigste in der Diplomatie, gleichzeitig seien sie das Komplizierteste, sagt Politikwissenschaftler Yascha Mounk von der Harvard University gegenüber ORF.at. Denn es sei schwer zu erkennen, ob der Stock, den jemand gerade in die Hand nimmt, zum Heizen gedacht ist, oder um den Nachbarn zu erschlagen. Vor allem in der Außenpolitik sei die „Wahrnehmung so wichtig wie die Substanz“, so Mounk.
Thomas Hobbes’ These, dass Staaten sich de facto permanent in einem Kriegszustand befinden, gelte zum Teil heute noch. Man habe aber mittlerweile viele Mechanismen entwickelt, damit Kriege dann doch nicht ausbrechen. Dazu zählten Protokolle, Kooperationen, Gemeinschaften und Prozeduren - also das, was Diplomatie ausmacht.
Kein „Betriebsunfall der US-Demokratie“
Schon vor Trump habe es Staatsmänner gegeben, die sich nicht an die gewohnten Regeln halten und eine „ganz andere Sprache sprechen, die völlig unannehmbar ist“, sagt Janis Emmanouilidis von der Brüsseler Denkfabrik European Policy Center (EPC) gegenüber ORF.at. Abzuwarten bleibe nun, wie sich die US-Regierung weiter entwickle, denn Vizepräsident Michael Pence agiere durchaus anders als Trump selbst.
Eine klare Fehlkalkulation sei gewesen, davon auszugehen, dass Trump eine Art „Betriebsunfall der US-Demokratie“ und das politische System in den USA in sich selbst genug ausgeglichen sei, so Stefan Lehne vom europäischen Ableger des US-Thinktanks Carnegie Endowment for International Peace zu ORF.at. Man müsse Trump auf jeden Fall ernst nehmen, dürfe allerdings nicht überschätzen, wie weit er noch beeinflussbar sei - schließlich sei er 70 Jahre alt und habe mit seiner „eigenartigen Methode ungeheure Erfolge“ erzielt.
Geschäftsmann ist nicht gleich Staatsmann
Als Geschäftsmann galt Trump bereits als ungewöhnlich, seine Art der Übertreibung stieß auf wenig Gegenliebe, er gilt nicht als Mitglied der üblichen Gesellschaftszirkel. Man könne aber ein Land ohnedies nicht wie ein Geschäft führen, sagt Mounk. „Der Unterschied ist: Wenn Sie im Geschäft versagen, gehen Sie maximal pleite. Wenn Sie als Staatsmann komplett versagen, riskieren Sie einen nuklearen Atomschlag.“
Dass Trump mit seiner Art die Diplomatie nachhaltig verändern wird, ist für die drei Experten unwahrscheinlich. Die Diplomatie mit ihrer jahrtausendealten Geschichte sei „fundamental anders“ als der Immobilienhandel in den USA und werde sich auch nicht dorthin entwickeln, sagte Lehne. Diplomatie habe weiter ihre Existenzberechtigung, so Mounk. Wichtig sei, dass man jetzt nicht Porzellan zerstöre, das man in vier oder acht Jahren wieder braucht, sagt Emmanouilidis.
EU braucht neue Partner
Für die EU stellt sich bei all dem die Frage, wie sie mit der geänderten Lage am besten umgeht. Bisher haben die USA als größter Partner mit ihrem Engagement in Europa auch für Frieden gesorgt, und das bei einigem finanziellen Einsatz etwa im Militärbereich. Sollten sich die USA zurückziehen, müssten die EU-Staaten mehr in die Verteidigung investieren, sagt Mounk.
Vor allem die Beziehung zu Russland sei derzeit unsicher, so Lehne, und wie sich die europäischen Länder dabei stellen würden. Er sieht nun die Chance für neue Allianzen gekommen, etwa mit China, um sich von Trump nicht gegeneinander ausspielen zu lassen. Je koordinierter und geschlossener die internationale Gemeinschaft vorgeht, desto besser könne man den möglichen Schaden begrenzen.
Veto für neuen US-Botschafter
Trump sei durchaus eine Gefahr für die liberale Weltordnung, meint schließlich Emmanouilidis. Es werde sich zeigen, wie er unter politischem Druck reagiere. Die Geschichte sei „voll von Fällen, wo man von den internen Problemen ablenkt“, indem man nach außen agiere. Terroristen würden genau solche Möglichkeiten nützen, um möglichst überproportionale Reaktionen hervorzurufen.
Europas Staatschefs müssten sich nun neu sortieren und möglichst in Bereichen wie der Wirtschaftspolitik, aber auch der Außen- und Sicherheitspolitik enger miteinander kooperieren - eine Herausforderung, allerdings auch eine Chance. Ein Prüfstein für die Beziehungen wird die Bestellung des kommenden US-Botschafters in der EU sein. Trumps Kandidat Ted Malloch hält wenig von der EU, er ist für den „Brexit“ und der Meinung, dass der Euro zum Untergang verdammt ist. Es wäre laut Lehne „völlig unverständlich“ und ein „Riesenfehler“, wenn die EU ihn akzeptiert. Das sei eine Linie, die die EU ziehen müsse.
Nadja Igler, ORF.at, aus Brüssel
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