„Diskussion nicht endlos weiterführen“
Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) pfeift seinen Parteikollegen, Innenminister Wolfgang Sobotka, bei der geplanten Reform des Demonstrationsrechts zurück. Es sei „nicht im Sinn der Sache, die Diskussion endlos weiterzuführen“, sagte Mitterlehner im Ö1-Mittagsjournal. Bereits zuvor hatte es eine breite Abfuhr vom Koalitionspartner SPÖ gegen Sobotkas Pläne gegeben.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Ein derartig sensibles Thema wie Grundrechte müsse man vorerst einmal intern erörtern, sagte Mitterlehner. Öffentliche Diskussionen seien mit Verunsicherung und Emotionalisierung verbunden und einer Sachlösung abträglich. Er sehe derzeit jedenfalls wenig Möglichkeit, das Thema im Laufen zu halten, so der Vizekanzler. Er wolle mit dem Innenminister ein Gespräch führen, künftig solche Materien intern abzuklären.
Sobotka verweist auf Ministerverantwortung
Sobotka will sich dennoch nicht von seinen Plänen abbringen lassen. „Die Diskussion ist fortzusetzen, auf Expertenebene“, sagte Sobotka Mittwochnachmittag am Rande einer Konferenz in Wien. „Der Minister hat eine Ministerverantwortung und hat auch in dieser Verantwortung zu agieren.“ Es sei notwendig, ein 150 Jahre altes Gesetz an die Erfordernisse des 21. Jahrhunderts anpassungsfähig zu machen, so der Innenminister.
Die Polizeiarbeit müsse gesichert werden und es gehe darum bestehende Bestimmungen zu konkretisieren. Darauf habe auch der Wiener Polizeipräsident Gerhard Pürstl hingewiesen. „Mehr Unaufgeregtheit würde dem Ganzen guttun“, sagte Sobotka. An seiner Vorgangsweise sieht der Minister nichts Falsches: „Ich glaube, dass es notwendig ist, Positionen zu beziehen.“
Aussprache zwischen Mitterlehner und Sobotka
Der Innenminister wollte bestimmte Orte zumindest zeitweise von Demos freihalten und für „Versammlungsleiter“ im Falle von Ausschreitungen und bei schuldhaftem Verhalten höhere Strafen einführen. Spaßkundgebungen sollten zudem nicht mehr unter das Versammlungsrecht fallen. Vom Beharren von Sobotka auf seinen Plänen lässt sich Mitterlehner aber nicht aus der Ruhe bringen: „Ich bin gar nicht verstimmt“, versicherte er.
Noch am Mittwochabend kamen Mitterlehner und Sobotoka zu einem Gespräch zusammen. Die vorgebrachten Einwände würden von Sobotka geprüft und mit Experten abgeklärt, teilte Mitterlehner danach der APA in einem schriftlichen Statement mit. Auf dieser Basis wolle man dann mit der SPÖ einen neuen Verhandlungsversuch unternehmen. „Es handelt sich um ein sensibles Thema, das ausführlich und sachlich bearbeitet werden muss“, stellte der Vizekanzler fest.
Mitterlehner betonte, dass er mit Sobotka weiterhin übereinstimme, dass es Reformbedarf gebe. Dieser müsse aber rechtlich fundiert geprüft werden. Die gestiegene Anzahl von Schadensfällen in Folge von Demonstrationen erfordere grundrechtskonforme Präzisierungen der Spielregeln.
Breite Ablehnung in SPÖ
Die SPÖ zeigte sich unterdessen wenig gesprächsbereit. „Das ist in vielerlei Hinsicht verfassungswidrig und kommt daher unter keinen Umständen“, sagte der für Verfassungsfragen zuständige SPÖ-Minister Thomas Drozda bereits Mittwochfrüh im Ö1-Morgenjournal. Zudem verstehe er das Timing für Sobotkas Vorstoß nicht: Erst vor zehn Tagen habe die Koalition Sicherheitsfragen und das Regierungsprogramm diskutiert - dort hätte der Innenminister Gelegenheit gehabt, seine Vorschläge auf den Tisch zu legen, sagte Drozda. Das sei aber „mit keinem Laut“ erwähnt worden.
Bereits am Dienstag hatte Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) die Forderungen klar abgewiesen. Er sagte im „Kurier“, dass die Behörden schon jetzt genügend Möglichkeiten hätten und weitere Maßnahmen deshalb nicht notwendig seien. Er fürchte, man werde diesbezüglich „nicht zu einem gemeinsamen Ergebnis kommen“.
Ablehnung auch von Verfassungsdienst
Ein klares Nein zu den geplanten Einschränkungen im Demonstrationsrecht kommt auch vom Verfassungsdienst im Bundeskanzleramt. In einer Stellungnahme hält der Verfassungsdienst fest, dass der von Sobotka an die SPÖ übermittelte Entwurf des Versammlungsgesetzes 2017 gleich in mehrfacher Hinsicht gegen Artikel 11 der Menschenrechtskonvention verstößt und daher verfassungswidrig ist.
Bedenken hat der Verfassungsdienst etwa, weil der Versammlungsbegriff gegenüber der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) eingeschränkt wird, und Personen, die an einer nicht angezeigten Versammlung führend teilnehmen, für etwas strafbar gemacht werden können, womit sie nichts verbindet.
Sobotka: „Natürlich“ Menschenrechte gewahrt
Sobotka selbst zeigte sich am Mittwoch „überrascht“ von der ablehnenden Haltung der SPÖ. Er würde mit seinen Experten schon ein halbes Jahr lang an diesem aus seiner Sicht absolut notwendigen Gesetz arbeiten. Anlass dafür waren Demonstrationen von Anhängern des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und Ausschreitungen gegen kurdische Lokale sowie Zusammenstöße zwischen Linken und Rechten bei einer Demonstration am Brunnenmarkt. Es gebe jedenfalls genügend Bedarf für Änderungen.
„Natürlich“ würden bei der Gesetzesfindung Menschenrechte und die Verfassung berücksichtigt, dafür hätten Verfassungsexperten gesorgt. Vom Tisch sieht er seine Vorschläge trotz des harschen Konters der SPÖ aber nicht: Er wolle ihn auf Expertenebene diskutieren lassen.
„Andere Hintergründe“ für Ablehnung
Den Vorwurf des Alleingangs oder schlechten Timings, so kurz nach Vorstellung des überarbeiteten Regierungsprogramms gleich wieder mit neuen Vorschlägen zu kommen, will der Minister nicht auf sich sitzen lassen. „Das ist kein Alleingang. Es sind ja viele Materien nicht im Regierungsprogramm enthalten, die notwendig sind.“
Als Beispiel nannte der ÖVP-Minister die umstrittene „Obergrenze“ für Flüchtlinge. Für Sobotka stellt sich vielmehr die Frage, ob es fachliche Gründe für die Ablehnung gibt oder ob es sich nur um einen Vorwand handelt. „Ich bin noch nicht ganz dahintergekommen.“ Die Reaktion Drozdas lasse für ihn jedoch auf eher „andere Hintergründe“ schließen.
FPÖ stellt sich hinter Innenminister
Hinter das Vorhaben des Innenministers stellten sich am Mittwoch die Freiheitlichen. „Wir bekennen uns zum Demonstrationsrecht, aber auch die Rechte von nicht demonstrierenden Bürgern, Anrainern und Geschäftsleuten sind zu schützen“, sagte Generalsekretär Herbert Kickl. Gleichzeitig kritisierte er die SPÖ, die zwar im Internet das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung beschneiden wolle, „beim Demonstrationsrecht macht sie unter dem Deckmantel der Verteidigung der Grundrechte linkslinken Chaoten die Mauer“.
Kritik von SOS Mitmensch
SOS Mitmensch begrüßte dagegen die SPÖ-Zurückweisung der Vorschläge des Innenministers. Mit Grundelementen einer Demokratie betreibe man keine Machtspiele, so die Menschenrechtsorganisation, die in den vergangenen Tagen annähernd 17.000 Unterschriften zum Schutz der Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit gesammelt hat.
Links: