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Luna, Leonora und ein Verdi im Bremsgang

Mit Überholen ist bekanntlich nicht immer etwas zu gewinnen. Und gerade im Opernfach mag der Hang zur Überinterpretation zwar vielleicht das Antidot zur historistischen Erstarrung sein. Mitunter bringt dieser Zugang so viel Entfremdungserfahrung mit sich, dass man weder Original noch den Sinn vom Singspiel entdecken kann. Da mag man die Wiener Staatsoper für den Gral konservativerer Lesarten - oder eben einer historistischeren Herangehensweise halten. Mitunter bietet das aber die Chance, dem Original nahezukommen - und es doch unerhört neu wirken zu lassen.

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Der „Trovatore“, den man sich jetzt ins Repertoire nach einer 16-jährigen Pause und einem damals schmerzhaften Flop zurückgeholt hat, ist so ein Stück, das hierzulande in den letzten fünf Jahren in unterschiedlichen Zurichtungen auf die Bühne gebracht wurde: Kinoregisseur Philipp Stölz las den Verdi-Klassiker bei den Wiener Festwochen als Cabaletta-Knatterkasten, Alvis Hermanis schickte seine Figuren zuletzt in Salzburg in ein Schiebebildermuseum und ließ seine Figuren als Aufseher auf den alten Dramenstoff schauen.

Szene aus "Il Trovatore"

Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Unausweichlichkeit des Schicksals: Anna Netrebko als Leonora

Oper braucht Schwarz-Weiß-Plots

Daniele Abbado dreht nun in Wien die ganze Sache um. Ihn interessiert der Gehalt des Originals - und damit genau der Geist des mittleren 19. Jahrhunderts, also die Schwelle zwischen abgeflauter Romantik und aufkommender neuer Identitätsbildungen im Geist des Nationalismus. Verklärung der Vergangenheit und neue Suche nach Einordnung sind Triebfedern dieser Sattelzeit zu Mitte des 19. Jahrhunderts.

„Trovatore“ zum Nachhören

Die Premiere vom Sonntag ist noch sieben Tage via Ö1-Player nachzuhören. Mehr dazu in oe1.ORF.at.

Und was für die Oper und ein Werk wie den „Trovatore“ mit seinen verwirrenden Handlungszusammenhängen, die ja idealerweise alle hinter und nicht auf der Bühne liegen, besonders wichtig ist: Der Regisseur entscheidet sich für eine Schwarz-Weiß-Lesart. Hier die Gruppe der Rachsüchtigen (Azucena, Conte di Luna). Da jene der Hoffnungslosen, romantisch Liebenden (Leonora, Manrico). Und als Schnittmenge: Orte, an denen sich beide Gruppen begegnen - und Konflikte, die eruptieren müssen. Freud hätte damit wohl seine Freud - und jede Menge Arbeit.

Comeback für den „Trovatore“

Am Sonntagabend hatte „Il trovatore“ mit einer Traumbesetzung Premiere: Anna Netrebko und Roberto Alagna stehen gemeinsam auf der Bühne.

Vom 15. Jahrhundert in den Spanischen Bürgerkrieg

Die Politik der Vorlage transferiert Abado vom 15. Jahrhundert in den Spanischen Bürgerkrieg. Was zwar unerhört klingt - aber dann schon wieder zum Polit-Kitsch verkommt, etwa wenn die „Zigeunerin“ die symbolische Leitfigur der Partisanen ist - und der Conte di Luna alle Insignien der spanischen Falange trägt. Doch weil die Psychologie in dieser Oper alles niederringt, sind politische Bezüge bestenfalls Trägerschablonen.

Der historische Zeitbezug hilft aber, um alles mit großer Unheimlichkeit aufzuladen. Da wird das verbrannte Kind, das ja einen Teil des Racheplots motiviert, bildlich über die Bühne geschoben (obwohl es ja nur in der Erzählung des Hauptmannes Ferrando vorkommt) - und sehr oft werden Christus- und Marienfiguren durch den Raum getragen.

Ein großer Hauch griechische Tragödie

Alle, die hier handeln, sind archetypische Stellvertreter großer Schicksalsfiguren, will die Inszenierung, die den ganzen Abend in einem verfallenen großen Raum spielt, wohl sagen. So ist der Conte di Luna auf politischer Ebene knapp vor dem Ende vielleicht der Sieger, weil er seinen politischen Gegner niedergerungen hat.

Doch hängt er so sehr an den Verstrickungen seiner Vorgänger, dass er nicht nur liebesunfähig ist, sondern gleichzeitig den Plot, in dem er handelt, nicht erkennen kann. Er beraubt sich der Geliebten - und rächt sich statt am Gegner bekanntlich an seinem eigenen Bruder. Unter solchen Vorzeichen gibt es kein Weiterleben - aber perfiderweise fällt da bei Verdi der Vorhang.

Szene aus "Il Trovatore"

Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Jongmin Park als Ferrando führt die Kindsverbrennung nicht nur in Erzählform vor

Wien liebt den Conte di Luna

In Wien ist gerade der Conte di Luna, gesungen von Ludovic Tezier der heimliche (und vielleicht sogar eigentliche) Star des Abends: Die Vielschichtigkeit seiner Persönlichkeit findet gerade sängerisch ihren Ausdruck. Interessanterweise ist er es, der in ästhetischer Hinsicht Leonora ebenbürtig ist - und nicht Manrico. Roberto Alagna hat es als Manrico in diesem Setting nicht leicht zu glänzen.

Zu mächtig ist auch auf der Bühne seine Mutter, die Luciana D’Intino als hintergründige, verzweifelte wie zugleich düster unnahbare Gestalt interpretiert. Dass sie die eigentliche Hauptgestalt bei Verdi sein sollte, wird an diesem Abend ebenso kenntlich (und für ihren Ziehsohn Manrico eben zum dramaturgischen Problem).

Armiliatos unerhörter Verdi

Anna Netrebko als Leonora ist so deutlich wie in wenig anderen „Trovatore“-Inszenierungen als hoffnungsloser und mit großer lyrischer Leidensfähigkeit ausgestatteter Fall gezeichnet. Entscheidend hilft ihr für ihren nuancierten Zugang freilich die musikalische Führung des Staatsopern-Orchesters unter Marco Armiliato, der mit Netrebko bereits an der Met am „Trovatore“ arbeitete. Armiliato zeigt erneut, dass er bei Verdi das Tempo rauszunehmen und gerade bei Streichern und Bläsern die lyrischen Qualitäten zu forcieren weiß.

Heraus kommt bei ihm eigentlich ein unerhörter Verdi, der vor allem mit der italienischen Lesart dieses Klassikers bricht (und dadurch auch den Philharmonikern entgegenkommt, die ihm seinen Zugang mit präziser Feinarbeit danken).

Netrebko setzt ihr Ausnahmetalent auf diese Nuancierung drauf und lotet dabei ein noch größeres Reservoir an Interpretationsformen aus, als man es bei diesem Klassiker kennt. Vielleicht ist genau das die größte Leistung des Abends: durch die Verlangsamung noch mehr den ungemeinen Reichtum der Musik Verdis herausscheinen zu lassen.

Szene aus "Il Trovatore"

Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Spiel mit der Unheimlichkeit von Symbolen im Spanien der 1930er Jahre

Ein Angebot an die Puristen

Zweifelsohne muss man sich in diese Lesart langsam einfügen - doch spätestens als die großen Chorpartien auch noch mit in dieses musikalische Tableau eingeflochten werden, darf auch der größte Verdi-Purist alter Schule überzeugt sein.

Wie atemberaubend diese musikalische Anordnung wirken kann, wird am Ende der großen Leonara-Arie, „D’amor sull’ali rosee“ (Ö1-Player, 21:11 Uhr) im dritten Akt deutlich. Minutenlange Ovationen des Publikums berühren die auf dem Boden kauernde Netrebko offenkundig - deutlich dankt sie mit der Hand, die mehrmals ans eigene Herz pocht.

Eigentlich, so hätte man denken dürfen, muss diese Inszenierung den Wiener Puristen direkt ins Herz gegangen sein. Doch Wien ist streng, und die Inszenierung bekommt dann doch weniger Zustimmung als die musikalische Umsetzung. Dennoch wird diese Inszenierung, so konservativ sie an manchen Punkten wirken mag, gerade in Figuren- und Lichtführung einen nachhaltigen Platz im Repertoire behaupten können. Hier wurden einem der sicherlich reichhaltigsten Werke der Operngeschichte neue Seiten abgerungen - und eine Lesart möglich, die auch beim „Trovatore“ die Opernbezeichnung „dramma lirico“ im Ursinne des Worte zum Recht verhilft.

Gerald Heidegger, ORF.at

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