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„Geld wird verdient, nicht verlangt“

Die britischen National Archives, die Dokumente aus rund tausend Jahren Geschichte aufbewahren, veröffentlichten am Freitag einen neuen Schatz: Akten der britischen Premierministerin Margaret Thatcher aus den ereignisreichen Jahren 1989 und 1990. Sie enthalten Korrespondenzen zum deutschen Mauerfall, zum Kampf gegen die britischen Gewerkschaften, private Briefe ans Königshaus bis hin zu Thatchers für sie schmerzlichem Rücktritt.

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Die Themenfelder umspannen aber auch Kuriositäten wie vertraulich diskutierte Überlegungen, Drogenanbaufelder im Ausland zu zerstören, oder über das Unheil, das drohe, wenn man Kindern die Schulmilch streicht. Eine Auswahl von Dokumenten Thatchers wurden digitalisiert und können nun online begutachtet werden.

„Sind die Deutschen gefährlich?“

Die Botschaften zeigen etwa das tiefe persönliche Misstrauen Thatchers zu Deutschland und ihre anfängliche Ablehnung der deutschen Einheit. Thatcher hatte laut Deutschlandfunk etwa die Befürchtung, dass im Zuge der Geschehnisse Präsident Michail Gorbatschow in der Sowjetunion stürzen könnte. Sie lud im März 1990 Historiker und Berater auf ihren Landsitz Chequers zu einem „Seminar über Deutschland“ ein. „Uns allen war im Vorfeld ein Memorandum zugestellt worden, ein eher merkwürdiges Dokument. Diesem zufolge war die Frage des Seminars: Sind die Deutschen gefährlich?“, zitiert die „Welt“ einen der Teilnehmer.

„Es muss immer noch gefragt werden, wie eine kulturelle und kultivierte Nation sich zu einer Gehirnwäsche bis hin zur Barbarei hinreißen lassen konnte. Wenn es einmal passiert ist, kann es dann nicht noch einmal passieren?“, soll Thatchers Privatsekretär Charles Powell später die Debatte, die streng geheim bleiben sollte, umrissen haben. Die Expertengruppe kam aber zum Schluss: „Wir sollten nett zu den Deutschen sein.“

„Freunde und Partner“

Auch zum deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl hatte Thatcher kein friktionsfreies Verhältnis. In offiziellen Briefen aus Downing Street Nr. 10 allerdings ist davon keine Rede. „Lieber Helmut, ich spreche Ihnen meine wärmsten Glückwünsche an diesem besonderen Tag aus, an dem Ihr Land wieder vereint ist. (...) Ein vereintes Deutschland wird eine hochgradig bedeutsame Rolle in Europa spielen, und wir gehen als Freunde, Verbündete und Partner in die Zukunft“, heißt es da.

Brief

National Archives

Thatchers Glückwünsche an Kohl aus den National Archives

Thatcher, die mit großer Härte einen umfassenden Reformplan durchzog, ging als „Eiserne Lady“ in die Geschichte ein. Eine harte Hand, Disziplin und Arbeitseifer sowie großes Selbstbewusstsein waren Charakteristika. Am Ende ihrer elfjährigen Amtszeit hatte der „Thatcherismus“ Großbritannien verändert: Staatsunternehmen wurden privat, Steuern und Staatsausgaben sanken. Gleichzeitig stieg die Zahl der Arbeitslosen. Die Gewerkschaften hatte Thatcher gebrochen - ein Thema, über das sie sich auch mit Prinzessin Margaret, der Schwester der Queen, austauschte.

„Kein Wachstum aus nichts heraus“

Auch diese privaten Briefe wurden nun nach mehr als 30 Jahren veröffentlicht. Über die Streiks der Stahlarbeiter heißt es da 1980: „Ich nehme an, wenn ein Mitglied einer Gewerkschaft einem Arbeiter sagt, er solle gegen neue Geräte oder Technologien auftreten, weil er sonst seinen Job verliert - dann wagst du es eben nicht“, so Prinzessin Margaret. „Der Stahlstreik ist deprimierend“, zitiert sie der britische „Guardian“ weiter.

Prinzessin Margaret

AP/Mario Suriani

Prinzessin Margaret tauschte sich wiederholt mit Thatcher aus

Thatcher selbst sah es den Briefen zufolge so: „Die Leute erwarten ein jährliches Wachstum aus nichts heraus, es ist schwierig, mit der Botschaft durchzudringen, dass mehr Geld verdient werden muss und nicht einfach verlangt.“ Die Premierministerin endete die Nachricht mit: „Ich bleibe Eure ergebene und demütige Dienerin, Margaret Thatcher“.

Kokain und Milch

In den Aufzeichnungen geht es auch um Themen, die die Premierministerin mit ihren Beratern debattierte. So gab es etwa 1989 Pläne von Lord Victor Rothschild, dass Großbritannien die Kokainproduktion im Ausland sabotieren könne. So sollten etwa im Rahmen des Kriegs gegen Drogen pflanzenzerstörende Schädlinge ausgesetzt werden - via Flugzeug oder durch Geheimoperationen, so der britische „Independent“. Thatcher begrüßte den Plan Rothschilds. Er sei typisch geistreich und eine faszinierende Methode, dem wachsenden „Crack-Problem“ zu begegnen.

Manche der politischen Kämpfe, die Thatcher ausfocht, gingen selbst an ihr nicht spurlos vorüber. Der Aufschrei, den sie einst durch die Streichung von unentgeltlicher Schulmilch auslöste, blieb ihr stark in Erinnerung. Die Gratismilch in der Volksschule schaffte sie bereits 1971 in ihrer Zeit als Bildungsministerin ab. Damals kassierte sie ihren ersten Schmähruf: „Thatcher, Thatcher, Milk Snatcher“ („Milchdiebin“). Als Gesundheitsminister Ken Clarke 1990 vorschlug, auch im Kindergarten die Milch zu streichen, lehnte sie - nun Premierministerin - strikt ab: „Nein, das wird einen entsetzlichen Tumult geben. Und all das für nur vier Millionen Pfund. Ich kenne mich da aus - ich habe das schon vor 19 Jahren durchgemacht“, so Thatcher.

Rücktritt „schlimmer als ein Todesfall“

Als Thatcher schließlich vor die TV-Kameras trat, um ihren Rücktritt zu verkünden, gab es weltweit die unterschiedlichsten Reaktionen, Freude und Trauer. In Washington dominierte die Verblüffung. Der frühere US-Außenminister Henry Kissinger rief „in sehr emotionalem Zustand“ bei Thatchers Sekretär Charles Powell an und sagte, dieser Rücktritt sei „schlimmer als ein Todesfall in der Familie“. Auch der Kreml habe mit Bestürzung reagiert.

Prinzessin Margaret

APA/AFP/picturedesk.com/Sean Dampsey

Thatcher verkündet ihren Rücktritt. Im Hintergrund Ehemann Denis

Die Archive veröffentlichten auch Papiere zum letzten Ministertreffen in der Downing Street: „Das Kabinett nahm mit großer Traurigkeit die Stellungnahme der Premierministerin zur Kenntnis.“ Die Amtsniederlegung sei in Westminster wie ein Autounfall im Zeitlupentempo betrachtet worden ,so der „Guardian“.

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