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Innenminister nimmt Behörden in Schutz

Deutschlands Innenminister Thomas de Maiziere (CDU) hat eine schnellere Abschiebung von abgelehnten Asylwerbern nach Tunesien und in andere nordafrikanische Staaten gefordert. „Wären die Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsländer eingestuft, würden Asylverfahren auch bei Tunesiern schneller und einfacher verlaufen als bisher“, sagte de Maiziere der deutschen „Bild am Sonntag“.

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Hintergrund ist die fehlgeschlagene Abschiebung von Anis Amri (24), der am Montag mit einem Lkw in einen Berliner Weihnachtsmarkt gerast sein soll. Bei dem Anschlag starben zwölf Menschen, Amri wurde am Freitag in Mailand von der Polizei erschossen. Der Tunesier sollte in der Vergangenheit sowohl aus Italien als auch aus Deutschland in seine Heimat abgeschoben werden. Da er allerdings keine Papiere hatte, die ihn als Tunesier auswiesen, verweigerte ihm das nordafrikanische Land bis letzten Mittwoch die Einreise.

Kritik an den Grünen, Hoffnung auf SPD

Im seinem Interview mit der „Bild“-Zeitung übte De Maiziere speziell Kritik an der Haltung der deutschen Grünen. Er habe weder vor dem aktuellen Fall noch danach Verständnis für die Blockadehaltung der Grünen. Bisher steht eine Einigung bei der Einstufung der Maghreb-Staaten aus. Ein geplantes Gesetz soll die Asylverfahren von Menschen aus diesen Staaten nun verkürzen, sodass schnellere Abschiebungen möglich werden.

Beim Thema schnellerer Abschiebungen setzt De Maiziere auf eine Einigung mit der SPD. Er habe bereits im Oktober vorgeschlagen, Asylwerbern, die nicht an ihrem Verfahren mitwirken, keine Duldung mehr zu geben, sondern nur noch eine Ausreisebescheinigung. „Wer über seine Identität täuscht, muss über das bisherige Maß hinaus Konsequenzen spüren, beispielsweise indem wir Sozialleistungen reduzieren und die Abschiebung erleichtern“, sagte der CDU-Politiker.

Auch Merkel für raschere Rückführungen

Bereits am Freitag hatte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel angekündigt, ihre Regierung werde Konsequenzen aus dem Anschlag in Berlin zügig prüfen. Der Fall des von der italienischen Polizei getöteten Tatverdächtigen werfe „eine Reihe von Fragen auf“, sagte Merkel. Sie drängte ebenfalls darauf, Abschiebungen nach Tunesien „deutlich“ zu beschleunigen und deren Zahl zu erhöhen.

Das Thema sei am Freitag Gegenstand eines Telefonats von Merkel mit dem tunesischen Präsidenten Beji Caid Essebsi gewesen. „Deutschland und Tunesien haben ihre Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des Terrorismus erheblich intensiviert“, so Merkel. „Ich habe dem Präsidenten gesagt, dass wir den Rückführungsprozess allerdings noch deutlich beschleunigen und die Zahl der Zurückgeführten weiter erhöhen müssen.“

Experte: Gesetz hätte Anschlag nicht verhindert

Eine Definition von Tunesien als sicheres Herkunftsland hätte nach Ansicht des Asylexperten Ulrich Becker den Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt nicht verhindern können. Eine solche Einstufung werde in der politischen Diskussion oft missverstanden. „Sie hat rechtlich gesehen wenig mit der Abschiebung und vor allem gar nichts mit den praktischen Abschiebungsschwierigkeiten zu tun“, sagte der Direktor des Max-Planck-Instituts für Sozialrecht und Sozialpolitik in München der Nachrichtenagentur dpa. Statt Gesetzesverschärfungen zu fordern, wäre es wichtig, die Durchsetzung bestehender Gesetze zu verbessern, sagte er.

Grüne: „Topgefährder“ nicht wirksam überwacht

Deutschlands Grüne und die Linke sprachen sich unterdessen gegen neue Sicherheitsgesetze aus. Die Oppositionsparteien kritisierten, dass bestehende Befugnisse etwa bei der Überwachung des als gefährlicher Islamist eingestuften Tunesiers nicht ausreichend genutzt worden seien. Amri habe als „Topgefährder“ gegolten, sagte Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter der „Saarbrücker Zeitung“ (Samstag-Ausgabe). „Warum es trotzdem keine wirksame Überwachung gab, ist mir ein großes Rätsel.“

Auf der heutigen gesetzlichen Grundlage hätte es die Möglichkeit gegeben, einen „Gefährder“ wie Amri umfassend zu überwachen, fügte Hofreiter hinzu. „Nach allem, was man bislang erkennen kann, haben wir im vorliegenden Fall kein Gesetzesdefizit, sondern ein Vollzugsdefizit.“ Auch die Linke-Politikerin Martina Renner ist der Ansicht, dass die Sicherheitsbehörden im Fall Amri ihre Möglichkeiten nicht genutzt haben. „In solch einem Fall dürfen keine Telekommunikationsüberwachung oder Observationsmaßnahmen abgebrochen werden“, sagte sie der „Welt am Sonntag“.

De Maiziere: Zu früh für Fazit

De Maiziere wiederum bestritt ein allgemeines Versagen der Sicherheitsbehörden im Fall des Anschlags in Berlin. „Es gibt bisher juristisch keine ausreichende Möglichkeit, jeden dieser Gefährder rund um die Uhr überwachen zu lassen“, sagte der CDU-Politiker der „Bild am Sonntag“. Zu diesem Zeitpunkt schon ein abschließendes Fazit zu ziehen, wäre nicht seriös, betonte er. „Selbstverständlich werden wir den Fall aber bis ins Detail aufarbeiten und einen entsprechenden Bericht vorlegen.“

Seehofer erneut für Obergrenze

Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer bekräftigte indes, nur mit Änderungen in der Flüchtlingspolitik mit seiner Partei wieder Teil der deutschen Bundesregierung werden zu wollen. „Die Obergrenze kommt, für den Fall, dass wir regieren. Das gebe ich hier zu Protokoll“, sagte der bayrische Ministerpräsident der „Welt am Sonntag“.

Er lasse sich dabei auch nicht von dem Argument beeindrucken, es kämen doch nicht mehr so viele Flüchtlinge. „Denn die Gegenwart ist keine Garantie für die Zukunft.“ Die CSU hat eine Obergrenze von 200.000 Menschen pro Jahr für Bürgerkriegsflüchtlinge und sonstige Asylwerber ins Spiel gebracht. Kanzlerin Merkel lehnt das allerdings ab. Es dürfte ein wichtiges Thema vor der deutschen Bundestagswahl 2017 werden. Seehofer setzte sich zudem erneut für Transitzentren an den Grenzen ein.

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