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Auch Salafistentreffpunkt durchsucht

Die deutsche Bundesanwaltschaft hat Haftbefehl gegen den flüchtigen 24-jährigen Tunesier Anis Amri wegen des Lkw-Anschlags auf den Berliner Weihnachtsmarkt am Montagabend erlassen. Das teilte eine Sprecherin der Behörde am Donnerstag mit.

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Fingerabdrücke unter anderem an der Fahrertür würden darauf hinweisen, dass der europaweit gesuchte Tunesier am Steuer des Lkw saß, so die Sprecherin. Der deutsche Innenminister Thomas de Maiziere (CDU) hatte zuvor bereits gesagt, dass Amris Fingerabdrücke am Fahrerhaus des Lkw gefunden worden seien. Es gebe „zusätzliche Hinweise“, dass der Verdächtige „mit hoher Wahrscheinlichkeit wirklich der Täter ist“, so der deutsche Innenminister in Berlin.

Laut Bundesanwaltschaft wurden den ganzen Tag über an verschiedenen Orten in Nordrhein-Westfalen und in Berlin Razzien durchgeführt. Außerdem sei ein Reisebus in Heilbronn kontrolliert worden. Laut Medien wurde in Berlin ein Salafistentreffpunkt im Stadtteil Moabit durchsucht, wo Amri verkehrt haben soll. Die „Berliner Zeitung“ berichtete, bei dem Einsatz gegen den Moscheeverein Fussilet 33 seien Blendgranaten benutzt und eine Tür aufgesprengt worden.

Bisher keine Festnahmen

Zudem soll es Einsätze gegen mögliche Kontaktpersonen Amris gegeben haben, auch eine U-Bahn soll gestoppt und durchsucht worden sein. Festnahmen gab es laut Bundesanwalt bisher nicht. Es sei wichtig, „dass die Fahndung möglichst schnell Erfolg hat“, sagte der deutsche Innenminister. „Wir hoffen sehr, dass das gelingt.“ Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach von einer „hoffentlich baldigen Festnahme“. Sie sei zudem stolz, wie die Menschen auf den Anschlag reagiert haben.

Zuvor hatten deutsche Zeitungen bereits berichtet, dass Amris Fingerabdrücke gefunden worden waren. Ermittler hätten die Fingerabdrücke des 24-Jährigen an der Tür des bei dem Anschlag eingesetzten Lkw gefunden, berichteten „Süddeutsche Zeitung“, NDR und WDR unter Berufung auf eigene Informationen. Laut „Berliner Zeitung“ waren seine Fingerabdrücke auch auf dem Lenkrad des Lkw.

Der deutsche Sender rbb berichtete, dass Amri rund acht Stunden nach dem Anschlag von Überwachungskameras vor dem Fussilet 33 gefilmt wurde. Die Polizei wollte den Bericht nicht kommentieren. Im Sozialen Netzwerk Facebook tauchte zudem ein kurzes Video von Amri auf, das offenbar in Berlin gemacht wurde, allerdings nicht am Tag des Anschlags.

Alarmierende Äußerungen

Amri fiel den deutschen Sicherheitsbehörden offenbar bereits vor Monaten durch alarmierende Äußerungen auf: Er habe sich als Selbstmordattentäter angeboten, berichtete das Magazin „Der Spiegel“ (Onlineausgabe) am Donnerstag unter Berufung auf Ergebnisse aus der Telekommunikationsüberwachung in Ermittlungen gegen mehrere Hassprediger.

Die Äußerungen seien so verklausuliert gewesen, dass sie nicht für eine Festnahme gereicht hätten, hieß es. Amri soll sich erkundigt haben, wie er sich Waffen beschaffen könne - ein Umstand, auf den am Mittwoch bereits die Berliner Generalstaatsanwaltschaft eingegangen war. Weiter hieß es, Amri sei von März bis September observiert worden.

Ausweis erst nach wiederholter Suche entdeckt

Laut dem Magazin wurde das Ausweisdokument des Tunesiers erst am Dienstagnachmittag nach einer neuerlichen Untersuchung entdeckt. Kriminaltechniker, die unter anderem DNA-Spuren in der Fahrerkabine sichern sollten, mussten abwarten, bis Suchhunde, sogenannte Mantrailer, an die Zugmaschine geführt worden waren. Amri wird im Zusammenhang mit dem Terroranschlag auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz mit zwölf Toten gesucht.

Fahndungsaufruf der Polizei

APA/AFP/BKA

Der Fahndungsaufruf der Polizei

Amri gab widersprüchliche Daten an

Nach „Spiegel“-Informationen hatten italienische Behörden den Tunesier 2016 zur schengenweiten Einreiseverweigerung ausgeschrieben, er hätte dann nicht mehr in den Schengen-Raum einreisen dürfen. Als Amri im April 2016 in Deutschland einen Asylantrag stellte, gab er sich als Ägypter aus und behauptete, in Ägypten verfolgt zu werden.

Auf Nachfragen der Behörde habe er jedoch so gut wie nichts über das Land sagen können. Ein Blick in das „Kerndatensystem“ der Asylbehörde offenbarte, dass er in Deutschland unter mehreren Identitäten und Geburtstagen registriert war. Innerhalb weniger Wochen wurde Amris Asylantrag damals als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt.

Als „Gefährder“ eingestuft

Schon länger stand Amri im Blickfeld der deutschen Behörden. Gegen ihn wurde von März bis September in Berlin wegen Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat ermittelt. Laut Berliner Generalstaatsanwaltschaft hat sich dieser Verdacht trotz monatelanger Observation damals jedoch nicht bestätigt. Ermittlerinformationen zufolge soll er versucht haben, mit einem Einbruch den Kauf automatischer Waffen zu finanzieren. Amri wurde als „Gefährder“ eingestuft.

Wie der „Focus“ berichtete, plante Amri spätestens seit dem Sommer 2016 Anschläge in Deutschland. Eine entsprechende Meldung habe am 21. Juli ein V-Mann dem Landeskriminalamt in Nordrhein-Westfalen gemacht. Dem Bericht zufolge soll Amri im Kreis um den Hassprediger Abu Walaa aus Hildesheim wiederholt von seinen Attentatsplänen gesprochen haben. Zuvor habe die Gruppe um Walaa vergeblich versucht, Amri als Kämpfer nach Syrien zu schleusen.

Der Lkw, mit dem der Anschlag verübt wurde, beim Abtransport

Reuters/Fabrizio Bensch

Im Moment gehen die Ermittler davon aus, dass Anis Amri der Lenker des Lkw war

Zuletzt wurden immer mehr Informationen zu Amris Werdegang bekannt. In Italien wurde er wegen Brandstiftung zu vier Jahren Haft verurteilt, davor soll er schon in seiner Heimat straffällig geworden sein. So berichteten einige deutsche Medien unter Berufung auf tunesische Behörden, dass Amri 2010 einen Lastwagen gestohlen habe. Daraufhin sei er von einem Gericht in der Stadt Kairouan, einer bekannten Salafistenhochburg, zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden. Warum er noch im gleichen Jahr während der arabischen Aufstände sein Heimatland verlassen konnte, ist bisher nicht klar.

Auf Flugverbotsliste der USA?

Die „New York Times“ („NYT“) berichtete wiederum, dass sich Amri im Internet über den Bau von Sprengsätzen informiert haben soll. Die Zeitung berief sich auf Aussagen nicht näher genannter US-Offizieller. Weiter heißt es, dass Amri direkten Kontakt zur Terrormiliz Islamischer Staat (IS) gehabt habe - und zwar mindestens einmal über den Messengerdienst Telegram. Sein Name sei zudem auf der Flugverbotsliste der USA gestanden.

Karte zeigt Anschlagsort in Berlin

Grafik: OSM/ORF.at; Quelle: APA/dpa

Berichte über Straftaten in Flüchtlingslager

Amri sei 2011 als Flüchtling nach Italien gekommen und in einem Auffanglager für Minderjährige auf Sizilien untergebracht worden, berichtete die Nachrichtenagentur ANSA am Mittwochabend unter Berufung auf Ermittlerkreise. In dem Lager habe er Sachbeschädigungen und „diverse Straftaten“ begangen. Laut „La Stampa“ soll er das Auffanglager angezündet haben.

Als Volljähriger wurde Amri den Informationen zufolge festgenommen, kam vor Gericht und wurde zu einer vierjährigen Haftstrafe verurteilt. Amri sei auch im Gefängnis gewalttätig gewesen, berichtete ANSA. Er habe aber zu keinem Zeitpunkt eine Radikalisierung gezeigt. Seine Haftstrafe habe er im zentralen Gefängnis Ucciardone in der sizilianischen Hauptstadt Palermo verbüßt.

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