„Neue Ära des Bahnreisens“
Es handelt sich nach Angaben der Deutschen Bahn um die „größte Bahnbaustelle Deutschlands“, und auf dieser geht es nun - wenn auch mit deutlicher Verspätung - zunehmend in die finale Phase. Das letzte Teilstück ist seit wenigen Wochen fertiggestellt, zuletzt wurde „für immer“ das größte Informationszentrum geschlossen. Bis die ersten regulären Züge zwischen Berlin und München verkehren, heißt es aber noch weiter warten.
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Konkret soll die vor mittlerweile 25 Jahren aus der Taufe gehobene Hochgeschwindigkeitsstrecke nun im Dezember 2017 in Vollbetrieb gehen. „Die Vier ist Trumpf“, teilte die Deutsche Bahn wohl alles andere als zufällig am 4. November mit. Von diesem Tag an werde es demnach noch exakt 400 Tage bis zur Eröffnung und der dann möglichen „Rekord-Fahrzeit zwischen Berlin und München von rund vier Stunden“ dauern.
Mit „der kann 400 fahren“ verwies - zu diesem Zahlenspiel passend - der für das Großprojekt zuständige Pressesprecher Frank Kniestedt bereits im Oktober auf die mögliche Höchstgeschwindigkeit eines ICE 2, der damals als erster Testzug das letzte fertiggestellte Teilstück Erfurt - Ebensfeld passierte.
Beim Auftakt der nun anstehenden umfangreichen Testphase war für den Hochgeschwindigkeitszug laut dem Onlineportal inFranken bereits mit einer „Baugleisgeschwindigkeit“ von 20 km/h Schluss. Im Echtzeitbetrieb seien auf der als Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Nr. 8 (VDE 8) bekannten Strecke, mit der „eine neue Ära des Bahnreisens“ versprochen wird, dann aber Höchstgeschwindigkeiten von bis zu 300 km/h eingeplant.
„Bin mit dem Projekt ergraut“
Mit VDE 8 soll laut Projektwebseite die „Lücke zwischen Berlin und Nürnberg“ geschlossen und damit die Verkehrsanbindung zwischen den ost- und westdeutschen Bundesländern verbessert werden. Als Teil des europäischen Schnellbahnnetzes soll es dank der neuen Trasse künftig aber „auch möglich sein, ohne Lokwechsel, Zughalt oder den Wechsel des Zugleitsystems über die Ländergrenzen von Süd- nach Nordeuropa zu reisen“.
Dafür wurden zwischen Berlin und Nürnberg in Summe rund vier Millionen Tonnen Beton, unter anderem für eine 230 Kilometer lange Neubaustrecke, den Ausbau von 270 weiteren Bahnkilometern, 27 Tunnel und 37 Brücken verbaut. Mit der 8,6 Kilometer langen Saale-Elster-Talbrücke ist auch die nun längste Eisenbahnbrücke Deutschlands Teil des hürdenreichen VDE 8, das Pressesprecher Kniestedt von Anfang an begleitet.
„Ich habe jung angefangen und bin mit dem Projekt ergraut“, wird Kniestedt dazu von der „Zeit“ zitiert. „Nach einem Vierteljahrhundert, nach unzähligen Pressekonferenzen, nach Dutzenden Eröffnungsfeiern für neu gebaute Brücken und frisch gebohrte Tunnel“, habe der PR-Mann im Dienste von VDE 8 nun seine Mission zwar fast erfüllt - der Zeitung zufolge habe „Deutschlands teuerste Bahnstrecke“ ganz im Gegensatz zur Planvorgabe das Land möglicherweise aber mehr geteilt als geeint.
Warnung vor „neuem Klassenkampf“
Im Zentrum der Kritik steht neben den hohen Kosten und dem weit überschrittenen Zeitplan unter anderem auch, dass selbst aufstrebende Zentren im Osten Deutschlands wie Chemnitz und Zwickau nicht an das Fernverkehrsnetz angeschlossen sind. Kritisiert wird zudem, dass in Deutschland Milliarden in „Prestigprojekte“ wie VDE 8 und Stuttgart 21 fließen und „anderswo verrotten die Gleise“.
Die Rede ist von einem verkehrsplanerischen Desaster und mit Verweis auf den US-Demokratieforscher Ian Buruma sogar von einem „neuen Klassenkampf“ zwischen „gebildeten Großstadteliten und schlecht vernetzten Provinzlern“.
17 Jahre Verspätung
Von Beginn an umstritten und von zahllosen Protestaktionen und Petitionen begleitet, haben sich die Kosten mit geschätzten elf Milliarden Euro zudem fast verdoppelt. VDE 8 sei laut „Stuttgarter Zeitung“ auch mit einem „beispiellosen“ Zeitverzug von 17 Jahren ein Paradebeispiel, „wie schwer sich die Hightech-Nation Deutschland mit Großprojekten der Infrastruktur tut“.

APA/dpa/Jan Woitas
Blick auf die Saale-Elster-Brücke
Aus Sicht der deutschen Regierung handelt es sich dennoch um ein „Verkehrsprojekt mit guter Bilanz“. So seien die insgesamt 17 Verkehrsprojekte, mit denen die Regierung von Helmut Kohl (CDU) 1991 „das Zusammenwachsen der ost- und westdeutschen Bundesländer“ beschleunigen wollte, mittlerweile zum größten Teil umgesetzt.
Zugsstrecken, Autobahnen und Wasserstraßen
Man befinde sich „auf der Zielgeraden“ hieß es dazu laut aktuellem Sachstandsbericht. Diesem zufolge seien 88 Prozent der VDE-Vorhaben umgesetzt, darunter sechs von neun Schienen- und drei von sieben Autobahnprojekten in Betrieb.

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Zentraler Teil von VDE 17: Das Wasserstraßenkreuz Magdeburg
Bereits seit 2003 ist mit dem Wasserstraßenkreuz Magdeburg das Herzstück von VDE 17 eröffnet. Nach wie vor wird der geplante weitere Ausbau des Mittelland- und Elbe-Havel-Kanals „schrittweise“ von West nach Ost fortgeführt. Wie lange es dafür noch ausreichend finanzielle Mittel gibt, bleibt abzuwarten: Dem Sachstandsbericht zufolge wurden zwischen 1991 und 2015 von den eingeplanten zwei Milliarden Euro 1,8 Milliarden verbraucht.
Peter Prantner, ORF.at
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