„Es gibt keine Tabus“
Platz ist in der kleinsten Hütte - dieses Sprichwort nimmt die „Tiny House“-Bewegung mehr als wörtlich. Ausgehend von den USA hat der Trend zu kleinem Wohnraum mittlerweile auch Österreich erreicht. Auf wenigen Quadratmetern wird gekocht, geschlafen und gelebt. Die Beweggründe für diese beengte Wohnform sind vielfältig.
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„Was brauchst du für ein gutes Leben?“ Mit dieser Frage startet für die Kunden von Wohnwagon der lange Prozess zum neuen Miniheim. Denn wer sich für ein Leben auf 15 bis 33 m² interessiert, muss zuerst eines machen: Sich von sehr viel Ballast befreien. „Das geht nicht von heute auf morgen, sondern braucht Zeit“, sagt Theresa Steininger, Geschäftsführerin des österreichischen Start-up-Unternehmens. Und es ist sehr individuell, was jeder Einzelne als essenziell für sein Leben erachtet. „Wir starten mit einer Wunschliste, und hier sollte es keine Tabus geben“, so Steininger. Denn vieles sei auch auf kleinstem Raum realisierbar.

wohnwagon
Kuschelige Enge im Wohnwagon
Abenteuer auf Mini
Die Interessenten für den alternativen Wohnstil sind breit gestreut. Darunter finden sich zum einen ältere Personen, denen ihr Haus zu groß geworden ist oder die es der nächsten Generation bereits übergeben haben und am eigenen Grund eine kleine Wohnlösung suchen. Aber auch junge Paare, die den Wunsch nach mehr Natur und einfacherer Lebensweise verspüren.
„Für ältere Menschen ist der Wunsch nach einer Veränderung ausschlaggebend, Jüngere lockt das Abenteuer“, beschreibt Judith Anger ihre Kunden. Auf ihrem WildnisKulturHof im Südburgenland können Interessenten das beengte Leben probeweise testen. Dabei reicht oft schon ein Wochenende, um abschätzen zu können, ob diese Lebensweise auf die Dauer erträglich ist.
Bodenständige Naturliebhaber
Wenn das Dach über dem Kopf recht klein ist, dann wird die Natur schnell zum Wohnzimmerersatz. Mit einer Hippiebewegung hätte das Ganze jedoch ganz und gar nichts zu tun, betont Steininger. „Wir haben ganz, ganz wenige, die dem klassischen Aussteigerprofil gerecht werden. Unsere Kunden sind durchaus bodenständig“, so Steininger. „Es findet ein Umdenken zurück zu Gemeinschaften statt. Zum Bespiel indem man gemeinsam Plätze bespielt. Und wenn es nicht klappt, dann ist man auch schnell wieder weg.“
Und auch wenn viele der Kleinsthäuser grundsätzlich mobil sind, mit einem klassischen Camper-Dasein hat die „Tiny House“-Bewegung wenig am Hut. „Camping bedeutet Urlaub. Mit dem Wohnwagen will ich mobil sein“, sagt Anger. Wer sich jedoch bewusst für kleinen Wohnraum entscheidet, mache es aus einer anderen Philosophie heraus. „Hier geht es um fixe Ersatzlösungen für eine Wohnung“, erklärt Anger gegenüber ORF.at, und diese bietet eine andere Form von Freiheit.
Sumpfpflanzen auf dem Dach
Für das Projekt Wohnwagon etwa braucht man weder Wasser-, Strom- noch Kanalanschluss. Eine PV-Inselanlage liefert ganzjährig Strom, eine Pflanzenkläranlage mit Sumpfpflanzen auf dem Flachdach das nötige Brauchwasser und ein Holzofen sorgt für Wärme und warmes Wasser. Als Draufgabe liefert die Biotoilette am Ende des Tages wertvollen Kompost für den Garten. Bei so viel ausgeklügelter Technik „braucht es etwas, bis es sich eingespielt hat“, sagt Steininger. Aber für viele wird das technisch anspruchsvolle Leben richtiggehend zur Passion.
Tausche Kleiderkasten gegen Klavier
Doch zurück zu den Dingen, die ein gutes Leben ausmachen. Auch wenn autarkes Leben und schönes Design für vieles entschädigen mögen, auf manches kann und will man dann trotzdem nicht verzichten. Technische Hilfsmittel wie Waschmaschine oder Mikrowelle sind dabei noch die kleinsten Herausforderungen.
„Wir hatten einen Pianisten, der wollte sein Klavier in den Wohnwagon mitnehmen“, erzählt Steininger. Das Klavier fand seinen Platz, dafür muss der Musiker heute mit einem kleineren Kleiderkasten das Auslangen finden. Eine andere Kundin machte sich Sorgen, wie sie auf so kleinem Raum ihrer Leidenschaft für große Puzzles weiter nachgehen sollte. Die Lösung war dann eine Platte die von der Decke herabgesenkt wurde.
Von den Kosten her ist Wohnen auf kleinem Raum nicht unbedingt günstig. Ein fix und fertiger Wohnwagon mit allen Extras ist mit rund 120.000 Euro nichts für die kleine Brieftasche. Deutlich günstiger wird es, wenn man selbst Hand anlegt. Mittlerweile gibt es im Internet eine ganze Reihe von Bauanleitungen für Minihäuser inklusive Einkaufsliste für den Baumarkt. Die Kosten liegen hier zwischen 15.000 und 26.000 Euro.
Aus der Not zum reduzierten Wohnen
Ursprünglich stammt der Trend wie so vieles aus den USA. Nach der Finanz- und Wirtschaftskrise wurde Wohnraum teuer, und die platzverwöhnten Amerikaner standen plötzlich vor dem Dilemma, sich große Häuser nicht mehr leisten zu können. Das „Gesundschrumpfen“ machte jedoch nicht bei den Quadratmetern halt, sondern wirkte sich auf die gesamte Lebenseinstellung der neuen Minihausbewohner aus. Reduziertes Wohnen bedeutet heute auch ökologisches und soziales Wohnen.

Piment
Kompaktes Wohnen in den Weinbergen von Wien
Einen zweiten Schub bekam die Bewegung 2005, als nach dem verheerenden Wirbelsturm „Katrina“ dringend Wohnraum benötigt wurde. Architekten wie Marianne Cusato entwarfen Katrina Cottages, rund 40 bis 70 Quadratmeter große Notunterkünfte in Form kleiner Südstaatenhäuschen. Doch die Freude an diesen Häusern war enden wollend.
Architekt Bruce Tolar, der einige der erfolgreichsten Katrina Cottages plante, bezeichnete die Erfahrung in einer Studie als „bescheiden“. Solange „klein“ und „preisgünstig“ nur abschätzig kommuniziert werde, habe das einen schlechten Einfluss auf die Städteentwicklung, so der Architekt.
Wie aus fünf m² gefühlte zwölf m² werden
Doch unter den Architekten setzte ein regelrechter Boom bei Minihäusern ein. Neben Sarah Susanka, einer Pionierin auf diesem Feld, entwarfen auch Kollegen in Japan, Spanien und Deutschland vielbeachtete Prototypen. Auch in Österreich gibt es eine ganze Reihe von Anbietern, die Wohnraum in den kleinsten Räumen entwerfen.
Ein spannendes Projekt ist das micro compact home (m-ch) eines oberösterreichischen Herstellers. Auf nur 2,6 mal 2,6 Metern eröffnet sich ein wahres „Raumwunder“. Möglich sei das nur dank Spezialanfertigungen, wie Architekt John Höpfner erzählt, der mit seinem Münchner Architekturbüro Haak & Höpfner verantwortlich für die Planung und Umsetzung zeichnet.
Da für so begrenzten Wohnraum keine üblichen Produkte verwendet werden konnten, mussten von der Haustechnik bis zu den Einbaumöbeln Sonderlösungen gefunden werden. „Es gibt zum Beispiel keinen Technikraum“, sagt Höpfner, „die Technik ist im Fußboden integriert.“ Auch haben alle Möbel mehrere Funktionen, um keinen Raum zu verschenken. „Auf fünf bis sechs Quadratmetern Wohnfläche wird durch Überlagerung und effiziente Planung ein Raum von zwölf bis 15 Quadratmetern geschaffen“, so der Architekt.
Wohnen auf Armeslänge
Seit mittlerweile elf Jahren wird das Minihaus m-ch von Münchner Studenten dauerhaft bewohnt. „Der begrenzte Raum ist anfänglich verwirrend“, so Höpfner, „doch wenn man darin wohnt, stellt man schnell fest, dass man viel Raum hat und alles auf Armeslänge erreichbar ist.“ Um Klaustrophobie vorzubeugen, wurden ausgeklügelte Lichtkonzepte eingesetzt und die Wohnbox auf drei Seiten durch Fenster nach außen geöffnet.
Vorgesehen ist das Haus als singuläres Element, das durch sein Dreipunktefundament möglichst wenig Spuren in der Natur hinterlassen soll. Als „Parasit“ auf Hausdächern könnte sich Höpfner das Minihaus auch gut im urbanen Raum vorstellen.

ORF.at/Dominique Hammer
Das kleinste Haus Wiens „klebt“ an der Fassade des Museumquartiers
Gerade in Städten, wo Wohnraum knapp und daher teuer ist, sind kleine Wohneinheiten der Zukunftstrend. In Wien hat beengtes Wohnen schon Tradition. Zwar sind nicht alle so klein wie das von Architekten Josef Durst 1872 geplante Haus in der Burggasse 3 im 7. Bezirk, wo auf knapp 14 m² heute Uhren ausgestellt werden, doch auch in teuren Toplagen werden Quadratmetern immer mehr zum Luxusgut. Unter dem Motto „shrink to fit“ („passend geschrumpft“) werden in Toplagen heute kleinere Objekte verkauft, dafür werden bei der Infrastruktur keine Abstriche gemacht, wie Peter Havlik von Piment Immobilien erklärt.
Minivilla in den Weinbergen
Neben Kleinwohnungen im ersten Bezirk mit Concierge-Angebot hat seine Firma auch Objekte in der Kleingartensiedlung am Hackenberg im 19. Bezirk im Portfolio. Für Havlik ist es kein Zufall, dass dort, wo früher billige Sommerhäuschen standen, nun exklusive Minivillen entstehen. „Der Trend zu kleinen Häusern machte solche Projekte für Bauträger erst interessant“, so Havlik. Bei 75 Quadratmeter Wohnfläche auf zwei Etagen (plus 66 Quadratmeter im Untergeschoß, wo neben den Technikräumen noch Platz für ein Zimmer wäre) bleibt wenig Platz für einen ausschweifenden Einrichtungsstil.
Dennoch, das Interesse an diesen Minihäusern ist groß. „Die Zielgruppe ist da. Es gibt immer mehr Menschen die in einer Toplage wohnen wollen, dafür dann eben kleiner“, so der Immobilienprofi. Und auch wenn die Lage am Rande der Weinberge Wiens viel Natur bieten, ökologische Aspekte dürfen bei den Neo-Minihausbesitzern keine allzu große Rolle spielen. Auf dem Dach wurde zugunsten einer Terrasse auf Solarpaneele verzichtet.
Gabi Greiner, ORF.at
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