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Von Vaudeville bis Hardrock

Am 24. November jährt sich der Todestag von Queen-Frontsänger Freddie Mercury zum 25. Mal. Seine Musik ist nach wie vor allgegenwärtig, vom ersten Hit „Killer Queen“ bis zu „We Will Rock You“, und noch heute gilt er als Galionsfigur im Kampf gegen Aids. Doch offen outete Mercury sich erst kurz vor seinem Tod, und politisch vereinnahmen ließ er sich ebenfalls nicht. Dieses Erbe verteidigten seine Bandkollegen kürzlich auch gegenüber Donald Trump.

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Viel gibt es über Mercury zu erzählen: von exaltierter Theatralik, privater Schüchternheit, bodenlosen Exzessen; von impulsiver, extrem körperlicher Expression, ausschweifendem Hedonismus, erotischen Eskapaden, aber auch von Öffentlichkeitsscheue. Mercury starb am 24. November 1991 an einer Lungenentzündung. Tage zuvor hatte er noch seinen Manager Jim Beach getroffen, um sich darüber zu beraten, wie er am besten der Öffentlichkeit mitteilen sollte, dass er Aids hatte. Zu diesem Zeitpunkt war Mercury von der Krankheit erblindet. „Du kannst mit meiner Musik machen, was du willst“, soll er Beach gesagt haben. „Aber lass mich nie langweilig werden.“

Queen gegen Trump

Queen verkauften nach Mercurys Tod noch mehr Platten als davor, und es gibt wohl auch heute niemanden, der nicht zumindest einen Song Mercurys kennt - auch nicht unter Republikanern. Denn als am 18. Juli dieses Jahres der amerikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump, mittlerweile gewählter Präsident, zum Parteitag eine in Schwaden von Nebel und dramatisches Licht getauchte Bühne betrat, tat er dies untermalt von Queens 1977er Hit „We Are The Champions“. Sein Publikum war begeistert – und vergaß wohl ganz, dass der bisexuelle Schöpfer des Songs für all das steht, was sie ablehnen. Queen distanzierten sich am darauffolgenden Tag via Twitter öffentlich von Trump und untersagten ihm jedwede weitere Verwendung ihrer Musik.

Freddie Mercury, 1975

picturedesk.com/EXPA/Avalon/Chris Walter

Entspannung auf dem Liegestuhl: Freddie Mercury 1975

Dreieinhalb Oktaven umspannte die Stimme von Mercury, ein unverwechselbares Markenzeichen. In den 1970er und 1980er Jahren lotete er mit einem Mix aus Vaudeville, klassischer Oper, Hardrock und Pop musikalische Grenzen aus. „We will rock you“, „Radio Gaga“, „Somebody to Love“ waren wie fast alle Songs der Band auch maßgeblich verknüpft mit Mercurys Performance auf der Bühne und in den jeweiligen Musikvideos: In Minirock und High Heels sang er sich staubsaugend durch ein britisches Durchschnittswohnzimmer: „I Want to break free“.

Leichtigkeit und nackte Hintern

Mit einer ironischen Leichtigkeit thematisierte Mercury auch emotionale Ängste, Einsamkeit, Gewaltbereitschaft, Verlorenheit, den Kampf des „kleinen, aufrichtigen Mannes“ gegen eine distanzierte Gesellschaft. Queen war eine Band, die Massen anlockte, anders als die zur gleichen Zeit aktiven Sparks, die ähnliche Musik machten. Aber deren Frontmann Russel Mael konnte mit Freddie Mercurys Starruhm nie mithalten.

George Michael, Harvey Goldsmith, Bono, Paul McCartney, Bob Geldof und Freddie Mercury

AP/Joe Schaber

Live Aid 1985 (von links): George Michael, Konzertpromoter Harvey Goldsmith, Bono Vox, Paul McCartney, Freddie Mercury und eine Backgroundsängerin

Mercury war schnell bekannt für seine erotischen Eskapaden und legendären Exzesse, wie jene Aftershow-Party zum Launch des Albums „Jazz“ in New Orleans 1978, auf der er angeblich nackte Hintern signierte und in eine obszöne Freakshow aus Drag Queens, Schlangenbeschwörern und Legionen von Strippern eintauchte. Keine Biografie kommt ohne diese Anekdoten aus, und immer werden auch die Kleinwüchsigen erwähnt, die bei den Partys auf dem Kopf Tabletts mit Kokain balancierten, von dem sich die Gäste bedienten.

Die Geburt von Queen

Geboren wurde Freddie Mercury als Farrokh Bulsara am 5. September 1946 auf der ostafrikanischen Insel Sansibar, heute Teil von Tansania, als Sohn parsischer Eltern. Er kam ins Knabeninternat, wo er Klavierspielen lernte und mit der Schulband The Hectics erste musikalische Versuche unternahm. 1964 musste die Familie aufgrund politischer Unruhen nach England fliehen. Der Vater arbeitete als Buchhalter, die Mutter im Kaufhaus Marks & Spencer. Swinging London war ein Kulturschock für den eher braven, aber ehrgeizigen Freddie.

Freddie Mercury, 1984

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Mercury und seine innige Verbindung zum Publikum (hier 1984)

Er begann Kunst zu studieren und entdeckte Jimi Hendrix, er versuchte sich als Sänger in kurzlebigen Bandprojekten, darunter eine Gruppe namens Smile. Mit deren Musikern, dem Astrophysik-Doktoranden Brian May (Gitarre) und dem Zahnmedizinstudenten Roger Taylor (Schlagzeug) schloss er Freundschaft und teilte mit Taylor nicht nur eine Zeitlang eine Wohnung, sondern gemeinsam betrieben sie auch einen Kleiderstand am Kensington Market. 1969 beendete Mercury sein Studium mit einem Diplom in Grafikdesign. Als Smile Ende 1970 in Auflösung begriffen waren, übernahm Mercury das Ruder, holte noch den Elektronikstudenten John Deacon (Bass) dazu und präsentierte die Band unter neuem Namen: Queen.

„Zukunft des Rock ’n’ Roll“

Ihre bombastische Kombination aus Travestie-Theatralik und Heavy Rock weckte den Markt auf. Die Musikzeitschrift „Melody Maker“ schrieb damals: „Queen ist entweder die Zukunft des Rock ’n’ Roll oder ein Bündel von Tunten im Delirium, die versuchen, auf den Bowie-Zug aufzuspringen, während sie Black Sabbath richtig schlecht verarschen.“ Der Anfang verlief also eher schleppend. Den ersten Auftritt bei The Top of the Pops verdankte man einer Absage von David Bowie, doch beim dritten Erscheinen in der Show kam 1974 mit Mercurys „Killer Queen“ der erste große internationale Erfolg.

Freddie Mercury, 1984

APA/AFP/Jean-Claude Coutausse

Mercury 1984 bei einem Konzert in Paris: Die Pose zählt

Nur ein Jahr später sprengte Mercurys „Bohemian Rhapsody“ sämtliche Grenzen des Konventionellen, er schuf damit ein vielfach ausgezeichnetes Stück Rockgeschichte – und gab der neu aufkommenden „Dumb Dudes“-Kultur der frühen 90er Jahre ihre Melodie: Die Sing-along-Szene aus „Wayne’s World“, durch die Windschutzscheibe von Waynes Auto gefilmt, ist heute ikonografisch. Doch über die Interpretationen, dass der Song Mercurys Coming-out sein sollte, schwieg er selbst immer beharrlich.

Kein offizielles Outing

Die 80er Jahre, verstrahlt von neonfarbener Kleidung und Tschernobyl, geflutet mit fizzy Drinks und Schulterpolstern, Hosenträgern und auftoupierten Haaren, waren gleichzeitig bestimmt von großer sozialer Repression und Angst. Der kalte Krieg, das Waldsterben und die Bedrohung durch Atomraketen gingen um. Und mit dem ersten diagnostizierten Krankheitsfall 1981 gab es plötzlich noch eine große, erschreckende Angst dazu: Aids.

Offen outete sich Mercury nie als schwul, er trat auch nie als ein „Botschafter“ der Gay-Community oder der LGBT-Community auf, obwohl ihn diese zu einer Leitfigur stilisierte. Auch politisch hat er sich immer zurückgehalten. Offiziell war Homosexualität nicht verboten, aber queere Menschen wurden aus der Gesellschaft strategisch „rausgehalten“. Erst 1990 nahm die Weltgesundheitsorganisation Homosexualität von der Liste psychischer Erkrankungen.

Lebensliebe und München

Mercury lebte jahrelang mit seiner Lebensliebe Mary Austin zusammen, bis er sich in den späten 70ern in seinem privaten Umfeld zur Bisexualität bekannte und sich von ihr in aller Freundschaft trennte; sie wurde zur Haupterbin seines Vermögens. Anfang der 80er Jahre wurde München für Mercury zur zweiten Heimat und zum Rückzugsgebiet, um produktiv zu arbeiten und ungestört in den Schwulenbars des Glockenbachviertels Männer aufzugabeln. Queen bewegte sich in die Wave- und Disco-Bewegung, prägte den Munich Sound mit.

Mercury lernte die österreichische Fassbinder-Schauspielerin Barbara Valentin kennen. Mit ihr lebte er als Liebespaar zusammen, während er gleichzeitig weiterhin Affären mit Männern hatte. Mit der Widmung „For big tits and misconduct“ („für große Titten und schlechtes Benehmen“) verewigte er die üppige Blondine auf seinem Soloalbum „Mr. Bad Guy“.

Barbara Valentin, 1966

picturedesk.com/Ullstein Bild/Quade

Freddie Mercurys Freundin in München: Die 2002 verstorbene Barbara Valentin

Bis heute unvergesslich sind die Mega-Stadiontouren der Band vor Hunderttausenden von Fans. Der schmächtige Mercury mit Riesenschnauzer und Überbiss verwandelte sich auf der Bühne in einen tanzenden Derwisch mit nacktem Oberkörper. Seine Faust gen Himmel geballt und den Mikrofonständer stets elegant anzüglich wirbelnd, hatte er sein Publikum völlig in der Hand.

Kampf gegen Aids

Seit seinem Tod wurde Mercury ein größerer Star, als er jemals zu Lebzeiten war. Ohne Zahl sind etwa die Filme, in die Songs von Queen markanten Eingang fanden. Im Jahr nach seinem Tod gaben Weltstars Mercury zu Ehren ein Abschiedskonzert im Wembley Stadium: 72.000 Fans und eine Milliarde Fernsehzuschauer weltweit waren dabei. Die Einnahmen wurden für den Kampf gegen Aids verwendet. David Bowie sank damals auf der Bühne auf die Knie und betete für seinen Freund ein Vaterunser.

Abseits von Queen hatte Mercury Anfang der 80er Jahre einige Titel mit Michael Jackson aufgenommen. Für Aufsehen sorgte er mit dem Album „Barcelona“, das er mit der spanischen Operndiva Montserrat Caballe aufgenommen hatte - dem ersten Crossover dieser Art. Ein Star wird er auch weiter bleiben. Erst am 5. September dieses Jahres, zu Mercurys 70. Geburtstag, hat die Internationale Astronomische Union (IAU) einen Asteroiden nach ihm benannt. „Asteroid Freddiemercury 17473“ wurde vor 25 Jahren entdeckt, in dem Jahr, als Mercury starb.

Alexandra Zawia, für ORF.at

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