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Auch Gehirn soll trainiert werden

Flexibel, billig und effizient – was für Arbeitskräfte in der Wirtschaft gilt, wird auch zunehmend zum Maßstab in Sachen Fitnesstrainings. Der neueste diesbezügliche Trend nennt sich Crawling, stammt aus den USA und soll nun Europa erobern. Was für Babys zur Entwicklung der motorischen Abläufe gut ist, muss auch bei Erwachsenen wirksam sein, so der Ansatz der skurril anmutenden Methode.

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In den USA wird bereits seit geraumer Zeit im Kollektiv gekrabbelt. Das Training hat nicht nur die Muskeln des Körpers im Visier. Crawling versteht sich als ganzheitliche Methode, die auch das Gehirn und das Nervensystem in Schwung bringen soll. Vollkommen neu sind diese Ansätze nicht. Crawling knüpft an bewährte Trainingsmethoden an und setzt auf die Kombination dieser.

Bessere Koordination als Ziel

Dass das Crawling in den USA auf dem Vormarsch ist, verwundert wenig. Denn was Fitnessexperten hier versprechen, klingt selbst für Laien plausibel. Krabbeln bedeute in erster Linie eine starke Fokussierung auf die Koordinationsgabe des Körpers, zitiert CNN die Psychologin Tracy Packiam Alloway von der University of North Florida, die zu den Vorzügen des Crawlings geforscht hat. Krabbeln verlange nach wohlüberlegten Bewegungsmustern, um die Balance zu halten, so die Wissenschaftlerin.

In der Physiotherapie sei dieser Ansatz längst etabliert. Krabbeln, gleichzeitig konzentriert zu atmen und dazu diverse Übungen durchzuführen, verlange dem Körper einiges ab und sei dementsprechend effizient, lautet der logische Schluss. Und überhaupt: Was für die körperliche und geistige Entwicklung von Babys eine bewährte Methode der Natur ist, kann für Erwachsene nur gut sein.

Schnelle Ergebnisse versprochen

Vor allem orientiert sich der Ansatz des neuen Körpertrainings an den längst etablierten Planks, bei denen in bestimmten Übungspositionen die Muskelspannung so lange wie möglich gehalten wird, um besonders effizient zu trainieren – sogenannte isometrische Bewegungen. Dabei wird der Muskel nicht verkürzt, sondern nur die Spannung im Muskel gehalten.

Planks wie Crawling benötigen kein Equipment, sondern nutzen das eigene Körpergewicht, um in Form zu kommen. Und beide Trainings haben gemeinsam, dass die Übungen nur bedingt elegant aussehen. Im Gegenzug werden immerhin schnelle Ergebnisse versprochen.

Gesunden Menschen vorbehalten

Allerdings mit Einschränkungen: Menschen mit Knieproblemen sei vom Crawling ebenso abzuraten wie jenen, die Schwierigkeiten mit Nacken, Schultern und Handgelenken haben, sagt eine US-amerikanische Trainingsphysiologin, die Menschen mit körperlichen Beschwerden vom Krabbeln als Training abrät. Im Gegenzug sind beim Crawling jedoch Muskelpartien in Wechselwirkung mit dem Nervensystem gesamtheitlich im Spiel wie bei kaum einer anderen Trainingsmethode, lautet das Alleinstellungsmerkmal.

Alter Wein in neuen Schläuchen

Hüften, Beinen, Schultern, Armen, Ellbogen und selbst den Fingern soll das Crawling ein ganz besonderes Trainingserlebnis vermitteln. Und wie es ein medial aufbereiteter Fitnesshype verlangt, üben sich Fachleute in vollmundiger Anpreisung des neuen Trends.

Von einem „Reset“ des Nervensystem, um in der Folge eine gesteigerte Koordinationsgabe zu erhalten, ist ebenso die Rede wie von einem gesteigerten Bewusstsein hinsichtlich des eigenen Körpers und dessen natürlicher Koordinationsgabe, die auf diesem Weg reaktiviert werde – ein vermeintliches Wundertraining, das von etwas differenzierteren Fachleuten allerdings als alter Wein in neuen Schläuchen bezeichnet wird.

Gute Bedingungen für einen Hype

Trainingseinheiten wie der Dragon Walk bedienen sich eines ähnlichen Prinzips der Verknüpfung des Muskelsystems mit dem Nervensystem, um besonders ganzheitlich zu trainieren. Unter dem Schlagwort Animal Flow wurde bereits vor mehreren Jahren eine Methode angepriesen, die sich ebenso wie der Dragon Walk vom Crawling kaum unterscheidet.

Das Crawling besitzt aber weitaus bessere Grundbedingungen für einen ordentlichen Fitnesshype – auch wenn es tatsächlich etwas seltsam anmutet, wenn sich Gruppen ausgewachsener Menschen auf allen vieren durch Trainingsräume und über Rasenflächen bewegen. Die Crawling-Übungen sind beliebig erweiterbar und werden immer häufiger mit etablierten Trainingsmethoden wie dem High-Intensity-Interval-Training kombiniert. Vor allem ist das Prinzip dahinter leicht nachzuvollziehen. Das scheint den Hype zu beflügeln.

Ein Trend wird sichtbar

Facebook-Seiten wie „Crawl On The Mall“ dokumentieren den Trend zur babyähnlichen körperlichen Betätigung nach allen Regeln der Social-Media-Welt. Britische Medien wie „The Independent“ sind sich sicher, dass der Trend im Lauf des kommenden Jahres auf Großbritannien und Festlandeuropa überschwappen wird - sofern sich diesseits des Atlantiks genügend uneitle Menschen finden, die beim Training auf etwas andere Weise leiden wollen.

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