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„Gezielte Injektionen“ von Premier Modi

Premier Narendra Modi macht bei der Umgestaltung der indischen Wirtschaft Nägel mit Köpfen: Mit großen Schritten treibt er den Wandel voran. Eine gigantische Steuerreform soll das Leben von rund einer Milliarde Menschen erleichtern. Die Korruption soll bekämpft werden, der Wohlstand gehoben.

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Der Hindu-Nationalist Modi lässt sich gerne mit Laptop abbilden als Sinnbild für Indiens blühende Softwareindustrie. Modi twittert viel und betont die Notwendigkeit der Modernisierung des Subkontinents - ohne gleichzeitige „Verwestlichung“. Das Vorbild für diesen Wandel gibt der Bundesstaat Gujarat ab, den Modi fast 13 Jahre lang regierte. Die schnelle und digitalisierte Verwaltung machte in ganz Indien von sich reden.

Warteschlange vor einer Tankstelle

AP Photo/Altaf Qadri

An Tankstellen wollten die Inder ihre Banknoten noch rasch loswerden

Zuletzt überrumpelte Modi das ganze Land mit einer radikalen Bargeldreform. Im November vergangenen Jahres ließ er über Nacht alle Banknoten im Wert von 500 und 1.000 Rupien (6,8 bzw. 13,5 Euro) für ungültig erklären und so de facto 80 Prozent der zirkulierenden Währung abschaffen. Die alten Scheine konnten bis Ende des Jahres auf ein indisches Bankkonto eingezahlt oder gegen neue 500- und 2.000-Rupien-Scheine umgetauscht werden. Der Umtausch war jedoch begrenzt, größere Beträge mussten eingezahlt werden oder verfielen.

Ein Fünftel der Wirtschaftsleistung

Indien soll sich damit „aus dem Griff von Korruption und Schwarzgeld befreien“, sagte Modi. Vor der Steuer versteckte Vermögen im Wert von Milliarden Dollar sollen so ihren Weg zurück in den offiziellen Wirtschaftskreislauf finden, so die Hoffnung. Die Summe des in Indien versteckten Geldes werde auf 400 Milliarden bis zu einer Billion US-Dollar geschätzt, so die „Washington Post“. Die illegale Schattenwirtschaft soll rund ein Fünftel der indischen Wirtschaftsleistung ausmachen.

Chaos nach Bekanntgabe

Die abrupte Abschaffung der Banknoten sorgte für lautstarke Kritik von Ökonomen und löste Chaos in einigen Teilen Indiens aus. Tankstellen und Spitäler weigerten sich, die Geldscheine anzunehmen, obwohl die Regierung sie dazu aufforderte. Vor Mautstellen bildeten sich Staus. Hunderte Menschen versammelten sich vor Bankomaten und Banken, bevor diese für zwei Tage geschlossen wurden.

Im Süden des Landes beging eine 55-jährige Bäuerin Selbstmord, weil sie glaubte, die Scheine hätten keinen Wert mehr. Sie hatte laut Polizei 5,5 Millionen Rupien aus einem Grundstücksverkauf zu Hause aufbewahrt, um damit die ärztliche Behandlung ihres Mannes und ein neues Grundstück zu bezahlen. Der Schritt überraschte das ganze Land. Menschen mit großen versteckten Vermögen sollten nicht die Chance erhalten, dem Bann zuvorzukommen. Kritisiert wurde aber von NGOs und der Opposition, dass die Maßnahme vor allem arme Menschen ohne Bankkonto in eine Notlage bringe.

„Korruption ist wie eine Termite“

Laut der Nichtregierungsorganisation Transparency International belegt Indien bei der Wahrnehmung von Korruption Platz 76 von 168 (den letzten Platz teilen sich Somalia und Nordkorea, Österreich belegt Platz 16). Die Bekämpfung des Steuerbetrugs und der Korruption war eine der Schlüsselaufgaben der Regierung Modi, die 2014 an die Macht kam. „Korruption ist wie eine Termite, sie breitet sich langsam aus, dringt überallhin vor, doch kann sie mit zeitigen Injektionen bekämpft werden“, so Modi. Einige Injektionen hat Modi bereits gemacht. Er erließ ein Amnestieprogramm, das Steuerhinterzieher auf den legalen Weg zurückbringen soll. Dabei hätten sich Inder mit insgesamt rund zehn Milliarden US-Dollar an unversteuertem Vermögen gemeldet, meldete die „New York Times“.

Der indische Premier Narendra Modi

APA/AFP/Prakash Singh

Narendra Modi trat an, um Schattenwirtschaft und Korruption zu bekämpfen

Modi startete die Kampagne „Make in India“, um das Land als Produktionsstandort zu bewerben. Der Premier wurde in den vergangenen Jahren auch nicht müde, um ausländische Investitionen zu buhlen. Die Wirtschaft soll mit dem Ausbau der Infrastruktur wachsen. Das Transportministerium kündigte im Sommer 2016 an, den Straßenbau von aktuell 20 Kilometern pro Tag bis 2017 auf 41 Kilometer pro Tag beschleunigen zu wollen. Zu Modis Wahlversprechen gehörte auch der Bau von hundert „intelligenten Städten“, die durch ein Netz von Autobahnen und Schnellzügen verbunden werden sollen.

Steuerreform der Superlative

Das Herzstück des Reformprozesses ist aber die gigantische Steuerreform der Regierung: In Arbeit ist eine einheitliche Steuer auf Güter und Dienstleistungen (Goods and Services Tax, GST), die das Abgabendickicht der 29 Bundesstaaten entwirren und dem Land ein zusätzliches Wachstum von einem, zwei Prozentpunkten verschaffen soll. Sie würde das indische Steuersystem auf fast allen Ebenen für mehr als eine Milliarde Menschen vereinfachen. Bisher legt jeder Bundesstaat Zoll-, Steuer- und Transportabgaben selbst fest. Hinzu kommen Steuern und Abgaben, die auf Bundesebene anfallen. Das macht den Handel innerhalb des Landes oft komplizierter, als er innerhalb internationaler Freihandelszonen ist.

Bei einem Autokauf heißt das zum Beispiel: Die Steuer bemisst sich unter anderem an Länge, Hubraum, Bodenfreiheit und Antriebsart. Hinzu kommen Abgaben an das Verkehrsministerium und eine lokale Mehrwertsteuer - beide abhängig davon, in welchem Staat der Verkauf stattfindet. Von der GST erhofft man sich günstigere Waren und einen großen Sprung in der Bürokratie. Noch steht aber nicht fest, wie hoch die Steuer am Ende ausfallen wird. Ein Komitee muss nun Details ausarbeiten. Nach mehr als zehn Jahren politischen Tauziehens zwischen den großen Parteien des Landes und der 29 Bundesstaaten eine weitere Herausforderung.

Meilenstein vor 25 Jahren

Indiens Wirtschaft befindet sich seit 25 Jahren in einer Dauertransformation. Mit Ende der Planwirtschaft 1991 beendete der damalige Finanzminister Manmohan Singh praktisch die wirtschaftliche Isolation und veränderte das Land damit nachhaltig. Singhs Reformen brachen mit vielen Handelsbarrieren, entwerteten die künstlich zu hoch bewertete Landeswährung Rupie und entmachteten viele Beamte.

Dass sich Singh im protektionistischen Indien damit überhaupt durchsetzen konnte, hatte er auch dem großen wirtschaftlichen Druck zu verdanken, unter dem das Land damals stand. Hohe Ölpreise und politische Scharmützel hatten die Währungsreserven des Landes beinahe aufgebraucht. Um überhaupt noch zahlungsfähig zu bleiben, ließ Indien tonnenweise Gold nach Großbritannien fliegen - als Sicherheit für einen Kredit des Internationalen Währungsfonds (IWF). Die Öffnung Indiens machte anschließend die Vervierfachung der Wirtschaftsleistung des Landes möglich.

Armut trotz Wohlstands

Wachstumssorgen hat der Subkontinent bis heute nicht. Der IWF sagt ein Wirtschaftswachstum von 7,6 Prozent in diesem und im kommenden Jahr voraus. Die Inflation, früher regelmäßig über zehn Prozent, bleibt stabil bei fünf, sechs Prozent. Doch ein großer Teil der 1,25 Milliarden Menschen im Land bleiben vom neuen Wohlstand ausgeschlossen. Laut einer Studie des Beratungsunternehmens McKinsey aus dem Jahr 2014 lebt immer noch gut die Hälfte in Armut. Die 800 Millionen Inder, die auf dem Land leben, haben heute weniger Nahrung zur Verfügung als in den 1970er Jahren. Im Welthungerindex liegt Indien auf Platz 97 von 118.

Umweltschäden als Folge

Das Wachstum belastet auch die Umwelt, was wiederum die Ärmsten am härtesten trifft. Indiens Energiebedarf steigt, immer mehr Autos sorgen für einen steigenden CO2-Ausstoß. Bestes Beispiel ist der enorme Smog, der Delhis Bewohnern zurzeit die Luft zum Atmen nimmt. Die Verschmutzungswerte, laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) ohnehin schon die schlechtesten der Welt für Metropolen über 14 Millionen Einwohner, haben sich noch einmal verschlechtert. So sehr, dass Delhis Stadtregierung Notfallmaßnahmen verhängte.

Smog in Dheli

APA/AFP

Luftkrise in Delhi: Kraftwerke wurden als Notfallmaßnahme geschlossen

Schon jetzt ist Indien nach China, den USA und der EU der viertgrößte Treibhausgasemittent. Doch ein Bekenntnis zur Abkehr von klimaschädlichen fossilen Energieträgern ist für Modis Regierung tabu. Indien fürchtet um seinen wirtschaftlichen Aufholprozess, wenn es etwa auf neue Kohlekraftwerke verzichtet.

Belastung für die Ärmsten

Der Klimawandel hinterlässt mittlerweile starke Spuren. Laut dem jüngsten Bericht der UNO-Organisation für Meteorologie (WMO) kosteten extreme Wetterphänomene in Verbindung mit dem Klimawandel im Jahr 2015 in Indien und Pakistan mehr als 4.000 Menschen das Leben.

Nutztiere auf ausgetrocknetem Boden

APA/AFP

Indien leidet immer wieder unter enormen Dürren

Auch Indiens Landwirtschaft leidet unter dem beeinflussten Klima: Dieses Jahr litt das Land unter einer starken Dürre, mehr als 300 Millionen Menschen waren betroffen. Durch die Trockenheit waren mehrmals hintereinander die Ernten ausgefallen. Der NGO World Vision zufolge begingen mehr als 200 Bauern aus Verzweiflung Suizid. Der resultierende Nahrungsmangel schlug sich einmal mehr auf die Ärmsten nieder.

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