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Weiterer HDP-Abgeordneter festgenommen

Die größte türkische Oppositionspartei CHP hat die Verhaftung mehrerer HDP-Abgeordneter als verfassungswidrig kritisiert. „Die Verhaftung von Abgeordneten noch vor Beendigung des juristischen Prozesses und vor einem endgültigen Urteil ist gegen die Verfassung und gegen die Rechtssprechung des Verfassungsgerichts“, hieß es am Montag in einer Erklärung der Mitte-links-Partei.

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Der türkische Vizeministerpräsident Numan Kurtulmus wies die Kritik zurück. Er verwies zugleich darauf, dass Teile der CHP der Aufhebung der Immunität zahlreicher Abgeordneter zugestimmt hätten. Am Freitag war gegen die HDP-Vorsitzenden Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag sowie gegen sieben weitere Abgeordnete der Partei wegen Terrorvorwürfen Untersuchungshaft verhängt worden.

Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan beschuldigt die zweitgrößte Oppositionspartei im Parlament, der verlängerte Arm der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zu sein.

Mehr als 100 Journalisten in Haft

Das Vorgehen der Behörden gegen die regierungskritische Zeitung „Cumhuriyet“ bezeichnete die CHP in ihrer Stellungnahme als „politisch motiviert“, „illegal“ und „unfassbar“. Neun „Cumhuriyet“-Mitarbeiter, darunter auch Chefredakteur Murat Sabuncu, wurden am Samstag unter Terrorverdacht verhaftet. Die CHP rief die Regierung dazu auf, die derzeit weit mehr als 100 in der Türkei inhaftierten Journalisten freizulassen.

Kurdischer Kinderkanal wieder auf Sendung

Die türkische Regierung schloss seit dem gescheiterten Putsch Mitte Juli mehr als 160 Medien und Verlage per Notstandsdekret. Darunter waren Medien der Gülen-Bewegung, aber auch zahlreiche kurdische und andere regierungskritische Medien. Das Sendeverbot für den kurdischsprachigen Kinderkanal Zarok TV wurde allerdings am Montag vom türkischen Rundfunk- und Fernsehrat RTÜK wieder aufgehoben.

Der Kindersender strahlte bis zu seiner Schließung unter anderem Zeichentrickserien wie „Die Biene Maja“ und „Die Schlümpfe“ auf Kurdisch aus. „Wir haben ein offizielles Schreiben von RTÜK erhalten. Darin steht, dass das Sendeverbot gegen Zarok TV aufgehoben ist“, sagte Demiral. Eine Begründung habe es weder für die Schließung noch für das Aufheben des Sendeverbots gegeben.

Erdogan wies Kritik an Festnahmen zurück

Trotz internationaler Kritik wurde unterdessen ein weiterer Abgeordneter der prokurdischen Oppositionspartei HDP festgenommen. Der Parlamentarier Nihat Akdogan sei in seinem Wahlkreis im südosttürkischen Hakkari in Gewahrsam gekommen, sagte Vizeministerpräsident Kurtulmus nach einer Kabinettssitzung am Montag in Ankara.

Verhaftung eines Demonstranten in Istanbul

APA/AFP/Omer Kuscu

Polizisten halten am Wochenende in Istanbul einen Demonstranten fest

Akdogan gehört zu 15 HDP-Abgeordneten, nach denen gefahndet wurde. Drei Parlamentarier waren nach ihrer Festnahme am Freitag unter Auflagen wieder auf freien Fuß gesetzt worden. Nach der jüngsten Festnahme von Akdogan wird weiterhin nach den Abgeordneten Faysal Sariyildiz und Tugba Öztürk gefahndet, die nach Angaben der Regierung im Ausland sind.

Der türkische Präsident Erdogan hatte sich Kritik an seinem Vorgehen gegen die prokurdische Oppositionspartei HDP verbeten und Europa der Unterstützung des Terrorismus bezichtigt. „Mir ist es egal, ob sie mich Diktator oder irgendetwas anderes nennen - das geht zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus“, sagte er am Sonntag in einer im Fernsehen übertragenen Rede. „Europa als Ganzes unterstützt den Terrorismus.“

HDP kündigte Parlamentsboykott an

Die HDP kündigte nach der Festnahme mehrerer Spitzenpolitiker an, ihre Arbeit im Parlament stark einzuschränken. Die Abgeordneten würden nicht mehr an Plenar- und Ausschusssitzungen teilnehmen, sagte ein Sprecher. Das bedeute aber nicht, dass sich die zweitgrößte Oppositionspartei ganz aus dem Parlament zurückziehe.

Die HDP hatte 2015 Geschichte geschrieben, als sie als erste Interessenvertretung der Kurden die nötigen zehn Prozent der Stimmen zum Einzug ins Parlament errang. Erdogan wirft der HDP vor, Verbindungen zur PKK zu unterhalten. Die HDP weist das zurück.

„Nach Beratungen mit unserer Fraktion und unserem Vorstand haben wir beschlossen, unsere parlamentarische Arbeit im Lichte von allem, was geschehen ist, auszusetzen“, heißt es in einer Erklärung, die HDP-Sprecher Ayhan Bilgen vor dem Büro der Partei in Diyarbakir verlas. Die HDP-Politiker würden sich mit den Anhängern der Partei besprechen. Es könne sein, dass sie dann einen vollständigen Rückzug aus dem Parlament in Erwägung zögen.

Tränengaseinsatz bei „Cumhuriyet“-Solidaritätsdemo

Trotz internationaler Proteste hält die Türkei auch am harten Kurs gegen die regierungskritische Zeitung „Cumhuriyet“ fest. Am Samstag setzte die Polizei in Istanbul Wasserwerfer und Tränengas gegen Demonstranten ein, die als Zeichen der Solidarität zur Redaktion der „Cumhuriyet“ ziehen wollten. Tränengaswolken trieben am Samstag durch die Straßen des Istanbuler Viertels Sisli, während Polizeihubschrauber am Himmel über den Demonstranten kreisten.

Türkische Polizei setzt Wasserwerfer gegen Demonstranten in Istanbul ein

APA/AP/Cagdas Erdogan

Demonstrationen gegen Erdogans Vorgehen wurden am Wochenende mit Wasserwerfern und Tränengas auseinandergetrieben

Seit dem Putschversuch im Juli sind mehr als 110.000 Richter, Lehrer, Polizisten und Beamte festgenommen oder suspendiert worden. Die jüngste Entwicklung in der Türkei löste auch im Ausland Protestkundgebungen aus. So demonstrierten am Samstag in Köln nach Angaben der Polizei am Samstag 6.500 Kurden friedlich gegen das Vorgehen der Behörden in der Türkei gegen die HDP und „Cumhuriyet“. In der Steiermark gingen am Samstag rund 200 Menschen auf die Straßen - mehr dazu in oesterreich.ORF.at.

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