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Ex-Leiter vor einem Jahr verhaftet

Der Chefredakteur der wichtigsten verbliebenen türkischen Oppositionszeitung „Cumhuriyet“, Murat Sabuncu, ist in Istanbul festgenommen worden. Das berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu Ajansi am Montag. Die Staatsanwaltschaft habe die Festnahme von insgesamt 14 Mitarbeitern des Blattes angeordnet, berichtet „Cumhuriyet“.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Zwölf von ihnen seien am Montagvormittag festgenommen worden. Zwei weitere seien derzeit im Ausland, darunter der Vorstandsvorsitzende Akin Atalay. Außerdem sei Ex-Chefredakteur Can Dündar, der sich in Deutschland aufhält, zur Fahndung ausgeschrieben worden. Unter den Festgenommenen sei Bülent Utku, einer der Anwälte Dündars. Utku sitzt zugleich im Vorstand der „Cumhuriyet“-Stiftung. Mehrere Wohnungen und Häuser, darunter jenes von Dündar in Istanbul seien durchsucht worden.

Proteste vor der türkischen Zeitung Cumhuriyet

APA/AP/Emrah Gurel

Stiller Protest von Journalisten mit der aktuellen „Cumhuriyet“-Ausgabe

Nach der von „Cumhuriyet“ veröffentlichten Mitteilung der Staatsanwaltschaft wirft diese der Zeitung vor, die verbotene Kurdische Arbeiterpartei (PKK) und die Bewegung des Predigers Fethullah Gülen unterstützt zu haben. Die Regierung beschuldigt Gülen, für den Putschversuch gegen Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan Mitte Juli verantwortlich zu sein. In der Türkei ist Gülens Bewegung - wie auch die PKK - als Terrororganisation eingestuft.

Bekämpftes Blatt

Die 1924 vom Journalisten Yunus Nadi Abalioglu gegründete „Cumhuriyet“ zählt zu den ältesten Tageszeitungen in der Türkei. Das regierungskritische Blatt war über Jahrzehnte staatlichen Repressalien und politisch motivierten Anschlägen ausgesetzt. Der bekannte „Cumhuriyet“-Autor Ugur Mumcu wurde 1993 bei einem Bombenattentat getötet.

Mit Alternativem Nobelpreis ausgezeichnet

„Cumhuriyet“ schrieb: „Der Putsch gegen die Demokratie hat die Zeitung ‚Cumhuriyet‘ erreicht.“ Die Zeitung war erst im September mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet worden. Die Right-Livelihood-Award-Stiftung hatte zur Begründung mitgeteilt: „Zu einer Zeit, in der die Meinungsfreiheit in der Türkei zunehmend bedroht ist, beweist die ‚Cumhuriyet‘, dass die Stimme der Demokratie nicht zum Schweigen gebracht werden kann.“

„Cumhuriyet“ berichtete, die Staatsanwaltschaft habe beschlossen, dass den Festgenommenen fünf Tage lang der Kontakt zu Anwälten untersagt werde. Nach den derzeit in der Türkei geltenden Notstandsdekreten kann auf Beschluss der Staatsanwaltschaft die ersten fünf Tage nach der Festnahme der Kontakt zum Anwalt verwehrt werden. Verdächtige müssen außerdem erst nach 30 statt bisher vier Tagen in Polizeigewahrsam einem Haftrichter vorgeführt werden.

Polizeieinsatz bei der türkischen Zeitung Cumhuriyet

APA/AFP/Ozan Kose

Sicherheitsbeamter vor dem Redaktionsgebäude

Vorgänger flüchtete nach Deutschland

Ex-Chefredakteur Dündar und der Hauptstadtbüroleiter des Blattes, Erdem Gül, waren im vergangenen November nach brisanten Enthüllungen der Zeitung festgenommen worden. Im Mai waren sie zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Dündar kündigte anschließend bei einer Europareise an, zunächst nicht in die Türkei zurückzukehren, und trat als Chefredakteur zurück. Er schreibt aber weiter für das Blatt.

Gegen Dündar und Gül ist noch ein weiteres Verfahren wegen Unterstützung einer Terrororganisation anhängig. Die nächste Verhandlung in diesem Fall ist für den 16. November angesetzt. Seit der Verhängung des Ausnahmezustands im Juli hat die Regierung zahlreiche kritische Medien schließen lassen. Dündar verurteilte das Vorgehen der türkischen Behörden gegen seine Zeitung scharf. „Sie greifen die ‚letzte Festung‘ an“, schrieb er am Montag auf Twitter.

150 Medien verboten

Die türkische Führung hat nach dem Putschversuch mehr als 150 Medien verboten, darunter sogar einen kurdischsprachigen Kindersender. Der Notstand erlaubt es der Regierung unter anderem, Zeitungen und Zeitschriften zu verbieten, falls diese „die nationale Sicherheit bedrohen“. Mehr als 200 Journalisten seien zumindest vorübergehend festgenommen worden.

„Repression in ungekanntem Ausmaß“

Derzeit seien mehr als 100 Journalisten in Haft. Damit führt die Türkei erneut die Liste der Länder an, in denen die meisten Reporter im Gefängnis sitzen. Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen lag die Türkei schon vor dem Ausnahmezustand auf Platz 151 von 180 Staaten. Unter dem Ausnahmezustand spricht Reporter ohne Grenzen nun von einer „Repression in ungekanntem Ausmaß“.

Durch die Schließungen wurden Tausende Journalisten arbeitslos. Hunderte von der Regierung ausgestellte Presseausweise wurden annulliert. Außerdem wurden die Reisepässe einer unbestimmten Anzahl Journalisten für ungültig erklärt, die somit das Land nicht verlassen dürfen.

OSZE verurteilt Festnahmen

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) verurteilte die Festnahme der „Cumhuriyet“-Redakteure. „Die jüngste Welle von Festnahmen ist ein neuer Schlag gegen die Pressefreiheit in der Türkei“, sagte die OSZE-Beauftragte für Pressefreiheit, Dunja Mijatovic. „Dieser besorgniserregende Trend muss sofort beendet werden“, forderte die OSZE-Expertin am Montag in Wien.

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