Ziviler Ungehorsam und Rechtsbeugung
Die spanische Staatsanwaltschaft bringt die regionale Parlamentspräsidentin Carme Forcadell vor den katalanischen Obersten Gerichtshof. Somit wird der Unabhängigkeitsprozesses Kataloniens vor Gericht weitergeführt. Weitere Anklagen werden erwartet, schließlich ist die spanische Regierung zu Verhandlungen nicht bereit.
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Einige Fußballfans des FC Barcelona feierten am Mittwochabend noch den ersten Führungstreffer von Lionel Messi im Champions-League-Spiel gegen Manchester City (Endstand 4:0), als sich nach 17 Minuten und 14 Sekunden wieder Tausende Fans im Camp-Nou-Stadion von ihren Sitzplätzen erhoben. Unter Applaus und „Independencia“-Rufen forderten sie die „Unabhängigkeit“ Kataloniens von Spanien.
Dazu schwenkten sie 30.000 Esteladas, die katalanischen Unabhängigkeitsflaggen, die vor dem Spiel von separatistischen Bürgerbewegungen wie der ANC (Katalanischen Nationalversammlung) und der „Vereinigung katalanischer Nationalmannschaften“ verteilt worden waren. In der zweiten Halbzeit wiederholte sich dieselbe Szene nach 17 Minuten und 14 Sekunden.
Solidarität mit Carme Forcadell
Die Zahl hat für Kataloniens Separatisten eine symbolische Bedeutung: Sie erinnert an das Jahr 1714, als die nordöstliche Region im Erbfolgekrieg dem spanischen Königreich eingegliedert wurde. Doch diesmal sollte die Aktion, die bei wichtigen Barca-Spielen schon zum Standardrepertoir gehört, nicht nur den Wunsch vieler Katalanen nach der Loslösung von Spanien ausdrücken, sondern auch Solidarität mit der auf der Ehrentribünen sitzenden Carme Forcadell bekunden.
Der ehemaligen ANC-Vorsitzenden und amtierenden Präsidentin des katalanischen Regionalparlaments soll nämlich der Prozess gemacht werden. Nur wenige Stunden vor Spielbeginn hatte die Staatsanwalt vor dem katalanischen Obersten Gerichtshof Anzeige gegen Forcadell erstattet. Der Staatsanwalt wirft ihr zivilen Ungehorsam, Überschreitung ihrer Funktionen und Rechtsbeugung vor, da sie die Anweisung des spanischen Verfassungsgerichts missachtete und im Regionalparlament den Unabhängigkeitsprozess vorantreibt.
Unabhängigkeitsreferenden nicht erlaubt
Erst Anfang August hatte das spanische Verfassungsgericht erneut Beschlüsse des katalanischen Regionalparlaments über einen Loslösungsprozess der wirtschaftsstarken Region von Spanien für ungültig erklärt. Zuvor hatte das Parlament unter Vorsitz von Carme Forcadell beschlossen, den Weg zur Unabhängigkeit einzuleiten und eigene staatliche Institutionen aufzubauen. Die spanische Verfassung erlaubt indes weder eine Abspaltung einer Region noch die Durchführung eines Unabhängigkeitsreferendums.
Die amtierende konservative Zentralregierung unter Premierminister Mariano Rajoy (PP) hat wegen des Vorgehens der katalanischen Regionalregierung bereits in der Vergangenheit wiederholt das Verfassungsgericht angerufen. Bei einer Abstimmung im katalanischen Parlament hatten die Abgeordneten von Forcadells’ regierender separatistischer Mehrparteienallianz „Junts pel si“ („Gemeinsam für ein Ja“) mit ihrer knappen Mehrheit einen Dreistufenplan zur Unabhängigkeitserklärung verabschiedet.
Richterliches Verbot stieß auf taube Ohren
Die Verfassungsrichter gaben Forcadell und anderen Mitgliedern des Parlamentspräsidiums daraufhin eine Frist von 20 Tagen zur Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung. Doch das richterliche Verbot stieß auf taube Ohren. Mehr noch: Ende September ließ Kataloniens separatistischer Regierungschef Carles Puigdemont mit Erlaubnis von Forcadell im Regionalparlament sogar ein Unabhängigkeitsreferendum für Mitte September 2017 datieren.
Eine Kampfansage, auf die Madrid nun mit einer ersten Klage gegen die Parlamentspräsidentin reagiert. Weitere Klagen gegen führende Regierungspolitiker Kataloniens sollen folgen. Auch Kataloniens Ex-Präsident Artur Mas, der den Unabhängigkeitsprozess erst in Gang brachte, musste in den vergangenen Wochen bereits vor Gericht aussagen.
Prozess wegen zivilen Ungehorsams
Die Staatsanwaltschaft will ihm den Prozess wegen zivilen Ungehorsams und Machtüberschreitung machen, weil er gegen den Beschluss des Verfassungsgerichts am 9. November 2014 eine Art Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien durchführen ließ. „Spanien sollte lieber den Dialog mit Katalonien suchen und sich fragen, warum so viele Katalanen die Unabhängigkeit wünschen, anstatt mit richterlichen Beschlüssen gegen unser internationales Recht auf Selbstbestimmung vorzugehen“, erklärte Mas am Mittwoch bei einem Wirtschaftssymposium in Madrid.
Doch die spanische Regierung ist der Meinung, es gebe nichts zu verhandeln. „Das Recht ist auf ihrer Seite, aber politisch klug ist diese Strategie nicht. In den vergangenen Jahren hat sie sogar zur Radikalisierung vieler Katalanen geführt, die zuvor gar keine Separatisten waren“, versichert der spanische Politologe Jaume Lopez im APA-Gespräch.
Dabei ist nicht einmal sicher, ob sich bei einem Unabhängigkeitsreferendum überhaupt eine Mehrheit für die Loslösung aussprechen würde. Eine Mehrheit der 7,6 Millionen Katalanen ist zwar für ihr Recht auf ein solches Referendum. Aber nicht einmal die Hälfte der Einwohner dürfte für die Loslösung stimmen, zeigen jüngste Meinungsumfragen.
Manuel Meyer, APA
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