Eine Karriere im Zeichen der Katastrophe
Der Architekt Ferdinand Fellner hat im Lauf seiner Karriere knapp 50 Theaterbauten von Nord- bis Südosteuropa geplant und damit maßgebliche Pionierarbeit im Bereich des Brandschutzes geleistet. Dahinter standen auch persönliche Motive - Feuerkatastrophen prägten Fellner von früher Jugend an. In Summe entwarf das Atelier Fellner & Helmer bis zum Ersten Weltkrieg über 200 Gebäude.
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Am 8. Dezember 1881 ereignete sich eine der verheerendsten Katastrophen der Theatergeschichte. Der Brand des Wiener Ringtheaters forderte an die 400 Todesopfer – die genaue Zahl konnte angesichts der Dimension des Infernos nie ermittelt werden. Das tödliche Feuer hatte entsprechende Nachwirkungen.
Unmittelbar nach der Katastrophe, am 9. Dezember, erfolgte die Gründung der Wiener Freiwilligen Rettungsgesellschaft. Die akribisch betriebene Identifizierung der Opfer brachte das Fach der forensischen Pathologie entscheidend voran. Gleichzeitig beeinflusste der Brand die Theaterarchitektur in Europa nachhaltig. Zentraler Gestalter dieser neuen Generation an Theaterbauten war der Architekt Ferdinand Fellner der Jüngere, der zum Zeitpunkt des Ringtheaterbrandes 34 Jahre alt war und der zuvor bereits etliche Theaterhäuser entworfen hatte.
Beleuchtung als Gefahr
Abgebrannte Theatergebäude waren für den Wiener nichts Neues. Als Fellner 16 Jahre alt war, wurde das von seinem Vater, Ferdinand Fellner dem Älteren, entworfene Treumanntheater am Wiener Franz-Josefs-Kai im Jahr 1853 ein Raub der Flammen. Die berufliche Beschäftigung des Vaters war auch auf Theaterhäuser ausgerichtet - bereits anno 1856 war er als Architekt für die Planung des Thalia-Theaters am Wiener Lerchenfelder Gürtel verantwortlich.

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Ferdinand Fellner der Jüngere
Dass vom Treumann-Theater nach dem Brand wenig übrig blieb, war kein Wunder: Fellners Vater hatte es, wie bereits das Thalia-Theater, als Holzkonstruktion entworfen – das Gebäude war ein Provisorium und angesichts der damaligen Beleuchtungstechnik entsprechend leicht entflammbar. Zeitgenössische Zeitungsberichte sprachen von einer Gasexplosion. Zu Schaden kam niemand.
Eine gewisse Sensibilität für Brandkatastrophen innerhalb der Architektenfamilie war damit geschaffen. Drei Jahre später, im Alter von 19, wurde Fellner als Mitarbeiter im Büro des Vaters tätig. Bis zum Tod des Vaters realisierten die beiden mehrere Theaterbauten. Unter anderem das Wiener Stadttheater, der Vorgängerbau des Ronacher im ersten Wiener Gemeindebezirk, das im Jahr 1872, ein Jahr nach dem Ableben Fellner des Älteren, eröffnet wurde.
Start einer Bürogemeinschaft
Der Grundstein zu einer der bemerkenswertesten Architektenkarrieren des späten 19. und des frühen 20. Jahrhunderts war gelegt, als sich Fellner nach der Übernahme des väterlichen Büros mit Hermann Helmer einen ehemaligen Studienkollegen, der bereits im Büro des Vaters tätig war, als Büropartner mit ins Boot holte.

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Das Opernhaus in Odessa in der Ukraine
Die beachtliche Bilanz: Das Atelier Fellner & Helmer realisierte bis kurz vor dem Ersten Weltkrieg über 200 Gebäude. Die Bürogemeinschaft entwarf ganze Straßenzüge, aber auch Warenhäuser, riesige Zinspalais und in Summe 48 Theatergebäude. Hamburg, Berlin, Karlsbad, Wiesbaden, Augsburg, Ravensburg, Zürich, Klagenfurt, Salzburg, Wien, Budapest, Rijeka, Zagreb, Sofia und Odessa – die Bauten befinden sich über Städte in ganz Mittel- und Südosteuropa verteilt.
Die Feuerwehr als Dauergast
Bereits in den 1870er Jahren mit Wohn-, Geschäfts- und Villenbauten viel beschäftigt, ist die Karriere Fellners ab den 1880er Jahren vor allem aufgrund des Brandschutzes richtig ins Rollen gekommen. Fellner befand sich zur richtigen Zeit am richtigen Ort und brachte entsprechendes Spezialwissen und ein vertieftes Interesse am Thema mit.
As Folge des Ringtheaterbrandes wurden die entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen verschärft. Der „Eiserne Vorhang“, der den Bühnenbereich vom Zuschauerraum trennt, wurde ebenso eingeführt wie Dekorationen, die zum Zwecke des Brandschutzes imprägniert sein mussten. Die Feuerkatastrophe hatte zufolge, dass bis vor Kurzem ein uniformierter Feuerwehrmitarbeiter bei Theatervorstellungen in Wien anwesend sein musste.
Der nächste Theaterbrand
Doch nicht einmal drei Jahre nach dem Brand des Ringtheaters ging ein weiteres Wiener Theatergebäude in Rauch auf, und es war ausgerechnet das von Fellner und seinem Vater entworfene Stadttheater in der Seilerstätte, das am 16. Mai 1884 niederbrannte. Zu Schaden kam niemand. Der Brand brach im Gegensatz zur Ringtheaterkatastrophe nicht während einer Vorstellung aus, sondern in den frühen Morgenstunden. Zeitgenössische Berichte sprechen von einer Totaleinäscherung des Gebäudes. Der Auftrag für den Nachfolgebau, das heutige Ronacher, erging an Fellner, der sich in nicht einmal 15 Jahren am selben Bauplatz nun zum zweiten Mal verwirklichen durfte.
Goldenes Zeitalter im Theaterbau
Fellners Ehrgeiz wurde umso mehr beflügelt. Bis Ende der 1880er Jahre finalisierte das Büro Fellner & Helmer bereits ein knappes Dutzend Theaterhäuser. Die österreichischen Brandschutzbestimmungen galten als internationales Vorzeigebeispiel. Und die üppige Auftragslage rührte auch von einer generell regen Bautätigkeit, was Theater- und Opernhäuser anbelangt.
Die Jahrzehnte von den 1870er Jahren bis zum Ersten Weltkrieg gelten diesbezüglich als goldene Ära. Repräsentative Theatergebäude wurden zu wichtigen Symbolen zur Darstellung einer gewissen nationalkulturellen Größe, bei denen in der Errichtung nicht gespart wurde, und die das Bedürfnis nach Repräsentation der adelig-großbürgerlichen Elite zu erfüllen hatten.
Im Sinne der Bauherren
Fellner, der für die Optik der meisten Theatergebäude des Büros verantwortlich zeichnete, übte sich gestalterisch in einem Eklektizismus, der sich nach dem Geschmack der Auftraggeber richtete. Renaissance, Barock und Rokoko übersetzte Fellner für das neue selbstbewusste Bürgertum in eine zeitgemäße Formensprache und verlieh vielen Gebäuden eine für damalige Verhältnisse große Leichtigkeit, auch wenn sie heute für viele pompös wirken mögen.
Insbesondere die Technik in den Häusern entsprach modernsten Standards. Das Stadttheater im tschechischen Brünn gilt als das erste Theater Europas mit elektrischer Beleuchtung. Fellner & Helmer verstanden es, ökonomisch und schnell zu bauen.
Berater der Gesetzgebung
Die Kompetenz des Ateliers äußerte sich auch darin, dass Helmer als Berater im Gesetzgebungsprozess für neue Brandschutzbestimmungen engagiert wurde. Der Höhepunkt der intensiven Auseinandersetzung mit der Vermeidung von Feuerkatastrophen stellte das Brand-Modell-Theater dar, das 1905 errichtet wurde. Im knapp zehn Meter hohen Eisenbetonbau, der auf einem Materialplatz in unmittelbarer Nähe des Brückenkopfes der heutigen Floridsdorfer Brücke im 20. Bezirk entstand, wurden Brandsituationen mit voller Theaterausstattung simuliert, was große internationale Beachtung fand.
Zäsur Erster Weltkrieg
Auch für das Büro Fellner & Helmer bedeutete der Ausbruch des Ersten Weltkriegs eine Zäsur. Ferdinand Fellner starb zwei Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs im Jahr 1916 im 69. Lebensjahr. Helmer, der das Büro nach Fellners Tod weiterführte, verstarb im Jahr 1919.
Hinterlassen haben sie nicht nur einen einmaligen Bestand an Theatergebäuden. Insbesondere in Wien wirken Fellner & Helmer mit großen Wohnanlagen wie dem Margaretenhof im 5. Wiener Gemeindebezirk oder der unweit davon befindlichen Zeinlhofergasse, deren gesamter Häuserbestand vom Büro entworfen wurde, heute noch stadtbildprägend. Mit dem Hotel Panhans und seinen Dependancen sowie dem Hotel Erzherzog Johann übten sie um die Jahrhundertwende auch entscheidenden Einfluss auf die Architektur in der damals aufgrund der Errichtung der Südbahn prosperierenden Semmering-Region aus.
Ein Großteil der Wohn- und Geschäftsgebäude ist heute noch erhalten – etliche Bauwerke wurden aber, wie etwa das Panhans in Semmering, mit wenig Sensibilität umgestaltet. Von den Theaterbauten haben bis auf das Stadttheater Budapest, das 1965 abgerissen wurde, alle Gebäude überlebt, und in fast allen wird heute noch Theater gespielt, werden Opern aufgeführt und es wird konzertiert - gebrannt hat es im Lauf der Jahrzehnte in keinem einzigen der Gebäude.
Johannes Luxner für ORF.at
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