Bakterium kann Jahrhunderte überleben
Die weltweit größten Rentierherden könnten in den nächsten Monaten drastisch dezimiert werden - durch Abschuss wegen der Angst vor der Verbreitung von Krankheitserregern. Im Sommer war es im Nordwesten Sibiriens zu einem Ausbruch von Milzbrand (Anthrax) gekommen. Die Tiere sind aber nur indirekt „schuld“ daran.
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Im Sommer waren nach und nach Rentiere in der Region Jamal-Nenzen im arktischen Norden Russlands am Milzbranderreger erkrankt, Hunderte mussten getötet werden oder verendeten, auch Menschen infizierten sich. Ein zwölfjähriger Bub starb an Milzbrand, seither geht die Angst vor der Seuche um. Im Juli wurde der Notstand in der Region verhängt.
Ein „Zombie“-Erreger aus dem eisigen Boden
Milzbrand ist eine bakterielle Infektionskrankheit, die vor allem Paarhufer befällt. Der Erreger ist relativ gut erforscht, unter anderem weil er als biologischer Kampfstoff eingesetzt werden kann. Die Bakterien können Jahrhunderte überleben - ein Grund für die aktuelle Wiederkehr der Seuche in Sibirien.

AP/Dmitry Lovetsky
Nomaden nutzen die Rentiere als Lebensgrundlage
Der britische „Guardian“ schrieb am Freitag von einer „Zombie“-Krankheit, weil die wahrscheinlichste Erklärung für die Wiederkehr des Milzbrandbakteriums nach Jahrzehnten lautet, dass es aus dem Permafrostboden kommt. Genauer: Ein Jahrhunderte alter (oder noch älterer) Kadaver eines Rentiers könnte aus dem tauenden Boden aufgetaucht sein und die Erreger freigegeben haben. Anthrax tauchte früher etwa häufig in Gerbereien auf.
Auch Friedhof als Infektionsquelle vermutet
Eine andere Erklärungsvariante hatte zwischendurch gelautet: Das Bakterium könne von einem Friedhof der Nomaden auf der Halbinsel stammen. Rentiere könnten sich dort beim Grasen infiziert und das Bakterium weitergegeben haben. Darüber hatte etwa der deutsche „Spiegel“ im August berichtet. Die Nomaden in der Region hatten ihre Verstorbenen früher wegen des steinhart gefrorenen Bodens nur in Holzsärge gebettet, aber nicht vergraben.
Immer wieder wird spekuliert, dass der Permafrostboden - er taute im Sommer wegen hoher Temperaturen heuer besonders stark - infolge des Klimawandels alle möglichen konservierten Viren und Bakterien freigeben könnte. Eismumien von ausgestorbenen Tieren, die in Sibirien immer wieder gefunden werden, würden standardmäßig auf Krankheitserreger wie Milzbrand untersucht.
Warnung vor Zerstörung von Nomadenkultur
In Jamal-Nenzen könnten außerhalb der regulären Jagdsaison, die laut „Guardian“ traditionell von November bis Weihnachten dauert, bis zu 250.000 Tiere zum Abschuss freigegeben werden - das wäre mehr als ein Drittel des Gesamtbestandes dort. In der Region leben die weltweit größten Herden mit insgesamt etwa 700.000 Tieren. Der Vorschlag für den Abschuss stammt von Gouverneur Dimitri Kobylkin.
Die Tiere werden in der äußerst dünn besiedelten Gegend nach wie vor traditionell von Nomaden genutzt. Während des Ausbruchs der Seuche im Sommer wurden Nomadenfamilien per Hubschrauber ausgeflogen. Immer wieder werden auch Vorschläge gemacht, die Hirten sesshaft zu machen. Experten warnten etwa gegenüber der „Siberian Times“ davor, der Abschuss der Rentiere in großem Stil würde Lebensgrundlagen und Kultur der Nomaden zerstören.
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