Fluchen - am schönsten im Dialekt
Nina Proll amtiert im Animationshit „Findet Dorie“ als Synchronstimme der plappernden Perlmuschel Perlina mit sehr österreichischem Idiom. Im Interview spricht der Austrostar, Mutter zweier Söhne, über die subversive Energie heimischer Kraftausdrücke, Frauenpower im Film und das Wahlkartendebakel.
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ORF.at: Für Sie ist die Stimme ein wichtiges Instrument. Was ist das Besondere am Synchronisieren?
Nina Proll: Die Aufgabe im Synchronstudio ist, die Wortwahl zu finden, die am besten passt, und am schnellsten zu erzählen, was man erzählen möchte. Gerade bei der Figur Perlina hat man nur zwei Minuten, und je treffender da die Wortwahl ist, umso besser. Im Original ist es eine männliche Stimme, die sich über die Frauen beschwert, und hier war die Idee, das umzudrehen: Dass ein Frau sich über die Männer beschwert, die immer nur ihre Perle wollen. Und dann das Ganze noch auf Österreichisch. Man trifft sich im Synchronstudio und erarbeitet das gemeinsam.
ORF.at: Das Ergebnis ist ein köstlicher Kurzauftritt, bei dem heftig gepoltert wird. Wie wichtig ist es, das österreichische Idiom, gerade für Kinder, im Film zu erhalten? Hat der Dialekt ein subversives Potenzial? Etwa bei ordinären Witzen, die Sie gerne mögen und in Ihre Bühnenshow einbauen?
Proll: Das findet doch jeder gut, nicht nur ich! In der Sprache entlädt sich eine Spannung, Energie, vielleicht sogar Aggression, die man mit normalen Worten nicht rüberbringt. Das ist im normalen Leben so und auf der Bühne genauso. Der Dialekt hat immer mehr Kraft als das neutrale Hochdeutsch. Ich spiele und singe auch gerne im Dialekt. Es hat immer mehr „Punch“. Und mehr Humor! Es gibt Witze, die funktionieren nur im Dialekt und nicht auf Hochdeutsch. Es ist ein Unterschied, ob man sagt „Habt ihr sie noch alle?“ oder ob man sagt: „Seid’s es deppat?“ Das ist gleich komischer.

ORF.at/Dominique Hammer
ORF.at: Was macht für Sie das Phänomen Disney aus? Haben Sie einen persönlichen Bezug?
Proll: Ich bin mit „Cinderella“, „Aristocats“ und „Dschungelbuch“ aufgewachsen und habe das geliebt. Für mich waren das immer Zufluchtsorte. Das kann man anschauen, in dem Wissen, es wird alles gut. Jeder Film hat seine Message. Es geht oft um Identität, darum, wie ich meinen Weg finde. Bin ich, so wie ich bin, okay? Das ist zum Beispiel beim „Dschungelbuch“ faszinierend. Mogli findet, aufgewachsen unter Tieren, die Familie, zu der er eigentlich gehört, als Menschenkind.
Bei Dorie ist es ganz ähnlich. Die stellt sich auch die Frage: Wer bin ich? Wo komme ich her? Wer sind meine Eltern? Und kann ich in der Welt meinen Platz finden? Das sind Grundsatzfragen, mit denen sich jeder identifizieren kann, die jeden betreffen. Disney schafft es, in 90 Minuten diese Fragen zu beantworten oder diese Geschichte zu erzählen. Immer mit einem positiven Ausgang. Mit der positiven Nachricht: Ja, wenn du an dich glaubst, kannst du es schaffen. Du musst nur an dich glauben, dann wird alles gut. Man braucht diese Filme manchmal, damit man lernt, daran zu glauben. Gerade, wenn man unsicher geworden ist, enttäuscht ist. Wenn man denkt: Ich kann nichts, ich bin nichts, ich werde nie meinen Platz finden. Manchmal helfen solche Filme, den Glauben an sich selbst wiederzufinden.
ORF.at: Kennt der erfolgreiche Star Nina Proll dieses Gefühl?
Proll: Natürlich, am Anfang ganz oft. Und bevor ich diesen Weg eingeschlagen habe. Als Kind und Pubertierende hat man das ganz oft. Man fühlt sich fehl am Platz. Das Gefühl, dass das, was man kann, niemanden interessiert. Kann ich überhaupt etwas besonders gut oder bin ich eh nur Durchschnitt? Finde ich meinen Platz in dieser Welt? Das kenne ich gut, bei mir war es so. Mein Leben war bis zur Matura total durchstrukturiert, weil meine Eltern darauf bestanden haben. Am Tag der Matura habe ich die totale Krise bekommen, weil ich nicht gewusst habe: Was mache ich jetzt mit meinem Leben? Alle Türen stehen mir offen, aber durch welche Tür soll ich gehen? Da habe ich ein Jahr gebraucht, um mich zu orientieren und meinen Weg zu finden.

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ORF.at: Regisseurinnen haben eine große Rolle in Ihrer Karriere gespielt. Ihr erster großer Erfolg „Nordrand“ war von Barbara Albert. „Die Vorstadtweiber“ von Barbara Derflinger, mit der Sie jetzt wieder eine Komödie drehen. Das Drehbuch zu „Komplett von der Rolle“ ist von Ihnen. Haben Sie Ambitionen, selbst Regie zu führen?
Proll: Ich finde es interessant, aber nicht bis in die letzte Konsequenz. Das Spielen interessiert mich mehr. Vielleicht würde ich gerne einmal Regie führen, aber nicht gerade in einem Film, in dem ich selber die Hauptrolle spiele. Da habe ich zu großen Respekt vor der Arbeit des Regisseurs, da habe ich das Gefühl, beides schaffe ich nicht. Und ich war sehr froh, dass ich die Sabine Derflinger hatte. Weil ich mir da in jede Szene einen Auftritt reingeschrieben habe, alles, was ich jemals spielen wollte. Regie führen heißt für mich, Entscheidungen treffen, und zwar schnell. Dieser Schauspieler, dieses Kostüm, diese Location – ja oder nein. Mit den technischen und organisatorischen Problemen will ich mich nicht auseinandersetzen, wenn ich selber spiele.
ORF.at: Österreich und Deutschland schicken heuer Filme von Frauen ins Oscar-Rennen. Was halten Sie von der Petition der Regisseurinnen für eine Frauenquote für geförderte Filme?
Proll: Ich kenne das, die Forderung ist: Frauen haben das gleiche Recht, schlechte Filme zu machen, wie Männer. Und es gibt viele schlechte Filme von Männern. Aber bei den Frauen schaffen es nur die Topregisseurinnen, im Job zu bleiben und zu arbeiten. Ganz viele müssen letztlich von etwas anderem leben. Sabine war eine große Vorreiterin der Quote, ich habe dazu keine eindeutige Meinung. Ich bin eher dafür, dass Frauen mehr machen sollen, aber nicht durch eine Quote, sondern durch Ermutigung.
Es braucht mehr Frauen, die einfach schreiben, die Filme machen, produzieren und nicht darüber reden, sondern es einfach tun. Ich weiß nicht, ob man das von „außen“ über eine Quote erreicht oder eher von innen. Dass Frauen mit einer anderen Haltung und Einstellung arbeiten, mit mehr Selbstbewusstsein und -vertrauen. Wenn es mehr Bücher von Frauen gibt, werden auch mehr Filme von Frauen gedreht.
ORF.at: Ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein Problem? Wie ist das bei Ihnen?
Proll: Genau. Frauen sind da biologisch gehandicapt. Sie sind durch Schwangerschaft, Gebären und Stillen mehr an die Kinder gebunden als der Mann. Das lasse ich mir auch nicht ausreden. Egal wie fortschrittlich der Mann in seiner Entwicklung sein mag, die Frau bekommt das Kind und stillt. Sie ist innerlich zwangsläufig damit mehr beschäftigt. Wie lange habe ich gebraucht, mir das zuzutrauen, das Buch zu schreiben, auf jemanden zuzugehen und es jemandem mal zu zeigen!
Und dann mit Selbstbewusstsein zu einem Redakteur zu gehen und zu sagen: Ich habe etwas geschrieben. Wie finden Sie das? Da haben Männer ein viel größeres Selbstverständnis. Beziehungsweise müssen sie das haben, weil sie gar keine andere Möglichkeit haben. Für sie ist es selbstverständlicher. Frauen müssen an ihrem Selbstbewusstsein arbeiten. Dass sie es einfach auch machen. Es sich zutrauen, zu erlauben, Fehler zu machen. Es liegt an der inneren Einstellung und der zeitlichen Möglichkeit, das auszuleben. Als ich Kinder bekommen habe, habe ich auch weniger gemacht. Das ist einfach so.

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ORF.at: Apropos schlecht vorbereitet. Was sagen Sie zum Wahlkartendebakel?
Proll: Ich kapiere das überhaupt nicht. Ich bin mittlerweile so weit, dass ich sage, wir brauchen keinen Bundespräsidenten. Lassen wir es gut sein. Nachdem wir eine funktionierende Regierung haben, brauchen wir das Amt nicht mehr. Ich gehe zur Wahl, aber es nervt mich und vielleicht wähle ich ungültig. Ich weiß, das dauert noch länger und kostet noch mehr Geld, aber ich bin noch unentschieden, wie ich mich verhalten werde.
ORF.at: Zurück zum Film. Was macht das Zeitgeistphänomen „Vorstadtweiber“ aus? Ist das eher realitätsferne Szenario eine Fluchtmöglichkeit in eine Traumwelt?
Proll: Es sind First-World-Problems. Irgendeinen Nerv der jetzigen Zeit trifft es. So wie es in den Achtzigern mit TV-Welthits wie „Dallas“ und „Dynasty“ war: Man schaut den Reichen und Schönen gerne zu, wie sie an die Wand fahren. Das ist so ein Konzept, das in der westlichen Welt immer funktioniert. Und dann hat es noch Sex und Humor. Das sind die Zutaten, die das Phänomen ausmachen. Aber letztlich ist es immer ein Geheimnis, warum Filme funktionieren. Gebe es ein Patentrezept, hätte man das ja schon vor Jahren machen können. Es braucht auch immer einen bestimmten Zeitpunkt, eine Kombination. Der Erfolg hat immer viele Väter. Es sind auch die Bücher, die Schauspieler, die in einer bestimmten Konstellation zusammenpassen müssen. Ausstattung, Kostüm, Make-up.

ORF.at/Dominique Hammer
ORF.at: Was hat Sie bewogen in „Mitte der Welt“ mitzuspielen? Halten Sie den aktuellen Trend zu mehr Darstellung von Homosexualität im Kino für wichtig?
Proll: Ich mag Coming-of-Age-Filme. Wenn einer sich auf eine Reise begibt, um herauszufinden, wer er ist. Und am Ende des Films ein anderer wird. Die Hauptfigur im Film weiß ja nicht, wer sein Vater ist, die Mutter verheimlicht es, und dann entdeckt er auch noch, dass er schwul ist. Ich fand die Story so schön. Meine Rolle war gar nicht so interessant. Ich bin die gute Freundin der Mutter, lebe in einer lesbischen Lebensgemeinschaft, habe aber einige ganz schöne Szenen mit dem Hauptdarsteller.
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Homosexualität interessiert mich persönlich gar nicht so als Thema, wenn ich ehrlich bin. Aber mich interessiert immer, wenn jemand sich auf die Suche nach sich selber macht. Und lernt, dazu zu stehen, wie er ist. Da brauchen die jungen Leute Vorbilder und ich selber habe solche Filme geliebt. Wo ich mir gedacht habe: Warum kann ich nicht so sein? Solche Filme geben einem Mut, und man traut sich vielleicht dann auch selbst mehr.
Das Gespräch führte Nadja Sarwat für ORF.at