„Popkultur mit rechtsextremen Inhalten“
Mit dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise vor einem Jahr haben sich neue rechte Gruppierungen gebildet und bestehende an Kraft gewonnen. Viele blieben virtuell, einige positionierten sich gerade in jüngster Zeit mit provokanten Aktionen immer sichtbarer. Dazu zählen Demos, Störungen von Theaterstücken in Österreich und andere Inszenierungen wie die Besetzung des Brandenburger Tores in Berlin.
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Die meisten Gruppierungen, darunter auch PEGIDA, seien in Österreich inzwischen wieder in der Bedeutungslosigkeit verschwunden, sagte der Rechtsextremismusforscher Andreas Peham vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (DÖW) im ORF.at-Interview. Geblieben ist bis auf kleinere regionale Gruppen etwa die Gruppe um die rechtsextreme Partei des Volkes (PdV), der das DÖW auch Nähe zu Neonazismus bescheinigt.
Peham: „Die PdV richtet sich mit Aktionen direkt gegen Muslime und Flüchtlinge wie etwa mit einem Anschlag auf eine Moschee. Es ist Rassismus ohne Intellektualisierung.“ Im Vergleich zu der rechtsextremen Identitären Bewegung seien diese Gruppen aber „vernachlässigungswürdig“. Die Identitären hätten im Vergleich etwa zur PdV einen professionelleren Auftritt, seien rhetorisch geschulte, in Burschenschaften ausgebildete Kader.
DÖW: Rechtsextrem und neofaschistisch
Die rechtsextremen Identitären versuchen sich als hip und patriotisch zu präsentieren - als eine Jugendorganisation, die in Österreich und Deutschland zunehmend mit provokanten Aktionen auf eine vermeintliche Islamisierung aufmerksam macht, gegen „Multikulti“ und offene Grenzen kämpft. Die Gruppe verwehrt sich gegen jede Verbindung zum Neonazismus und bezeichnet sich vielmehr als „Patrioten“, die für die eigene Heimat einträten.
TV-Hinweis
Die ORF-Sendung „Am Schauplatz“ zeigt am Donnerstag um 21.05 in ORF2 eine Reportage über neue Gruppen am äußeren rechten Rand - mehr dazu in tv.ORF.at.
Das DÖW stuft sie als neofaschistisch und rechtsextrem ein. Auch der österreichische Verfassungsschutz warnt vor Gruppierungen wie dieser. Sie versuchten „mit Hilfe von Internetauftritten und aktionistischen Handlungen eine ‚Popkultur‘ mit rechtsextremen Inhalten für Jugendliche und junge Erwachsene zu entwickeln“. Ziel sei es, „fremdenfeindliche und Ängste generierende Themen in der ‚Mitte der Gesellschaft‘ zu verbreiten“, so der Verfassungsschutzbericht 2015.
„Größere politische Gefahr“
Noch vor rund vier Jahren war in Österreich von den Identitären keine Rede. Inzwischen gilt die Gruppe in Österreich als Vorbild für deutsche Rechtsextreme. „Martin Sellner (Leiter der Identitären Österreich, Anm.) ist eine Art Guru für die Szene der Identitären“, so Rechtsextremismusforscher Alexander Häusler vom Forschungsschwerpunkt Rechtsextremismus/Neonazismus der Hochschule Düsseldorf (FORENA). Sellner war es auch, der der Gruppe in Deutschland 2014 Starthilfe gab.
DÖW-Rechtsextremismusexperte Peham sieht in den nach außen als Patrioten auftretenden Identitären eine „größere politische Gefahr“ als etwa bei offen gewalttätigen Neonazis: „Sie erreichen viel weitere Kreise, die sonst verschlossen sind.“ Diese Gruppe erinnert Peham an einen „Staubsauger, der das gesamte rechtsextreme Potenzial aufsaugt“.
Kaum Erkennungszeichen
Nach außen erkennbar sind diese Aktivisten als Teil der extremen Rechten nicht mehr an einem besonderen Kleidungsstil, sondern nur an ihrem Symbol, dem griechischen Lambda - gelb auf schwarzem Hintergrund. Auch das sei bewusst eingesetzt - ein Symbol, das noch nicht von Neonazis verwendet wurde.
Lambdazeichen
Das Lambdazeichen wurde auch in dem Hollywood-Film „300“ verwendet. Dort ist es das Symbol der (europäischen) Spartaner, die im antiken Griechenland in einer Minderzahl gegen das Vielvölkerheer der Perser kämpfen.
Peham zeigt sich allerdings bei der Bezeichnung der rechtsextremen Identitären als Teil der „Neuen Rechten“ skeptisch. Das wäre eine Verharmlosung. Denn nur auf der Ebene der Symbolik sei der Bewegung tatsächlich der Bruch mit den alten Rechten gelungen. Inhaltlich hätten den nicht alle vollzogen.
Zugleich setzen diese Aktivisten auf popkulturelle Elemente und moderne Protestformen. Der Philosophiestudent Sellner bezeichnet sich etwa als „Ipster“ - als identitärer Hipster. Gemeinsam mit dem zweiten Leiter der Gruppe, Patrick Lenart, gründete er das Modelabel „Phalanx Europa“ als „Baustein der Gegenkultur“. Dort werden T-Shirts, Pullover und Poster mit Slogans wie „Remove Kebab“, „You only die once“, „Islamists Not Welcome“ und „Patriot“ vertrieben. Zu finden ist in der Rubrik Musik aber auch der mögliche Versand von CDs der neofaschistischen Band Von Thronstahl.
Jung, männlich, gebildet
Ein Erfolgsmerkmal für diese Gruppe in Österreich und ausschlaggebend für deren Gründung sei auch der gestiegene Druck auf die Neonazi-Szene gewesen, so Peham. 2011 wurde die neonazistische Website Alpen-donau.info auf Betreiben des Innenministeriums stillgelegt. Gottfried Küssel wurde im Jänner 2013 als Initiator der Website wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung zu neun Jahren Haft verurteilt. Der Oberste Gerichtshof (OGH) setzte die Strafe ein Jahr später auf sieben Jahre und neun Monate herab. Nach der Schließung der Website sprang eine Gruppe laut Peham von der Website ab und gründete mit anderen Rechtsaußenaktivisten 2012 die Identitären in Österreich.
Der Ursprung dieser Bewegung geht auf Frankreich zurück. Der dortige Bloc identitaire war 2003 gegründet worden, nachdem die neofaschistische Vorgängerorganisation Unite radicale wegen eines geplanten Anschlags auf den früheren französischen Präsidenten Jacques Chirac verboten worden war.

Reuters/Stefanie Loos
Die rechtsextremen Identitären haben vor allem Zulauf von jungen Männern
Zulauf bekämen die Identitären vor allem von jungen Männern zwischen 16 und 25 Jahren in Gymnasien und aus rechten Studentenverbindungen, so Peham: „Schüler an Berufsschulen und bildungsfernere Schichten springen nicht so auf diese Bewegung auf.“ Sie sei „zu intellektuell und kompliziert“. Bei Außenauftritten würden vereinzelt auch Frauen ins Bild gerückt, so das DÖW. Es gehe aber vor allem um Männer.
„Antiislamisches Mäntelchen für Rassismus“
Mit der zunehmenden Islam- und Flüchtlingsfeindlichkeit der deutschen Partei Alternative für Deutschland (AfD) habe auch die Bedeutung der Identitären in Deutschland zugenommen, so Häusler. Dabei gehe es dieser Gruppe in erster Linie gar nicht um eine Kritik am Islam, so DÖW-Experte Peham. Sie zeichnete sich eher durch eine Ablehnung von Liberalismus und Multikulturalismus und einen klassischen Antimigrationsrassismus aus. Die Aktivisten wehrten sich gegen eine „Vermischung der Völker“, gegen „Dekadenz und Kulturverfall“.
Für den Kampf gegen Einwanderung setzen sie auf das Schlagwort des „Großen Austauschs“, geprägt von dem französischen Philosophen Renaud Camus, der als Vordenker der rechtsextremen Front National gilt. Laut den Identitären bezeichnet der „Große Austausch das Verschwinden der Österreicher durch die geringe Geburtenrate und ihre Ersetzung im Zuge der Masseneinwanderung“.

Screenshot Twitter
Es gehe um die „Ablehnung des Fremden“, so Rechtsextremismusforscher Peham. Die frühere Forderung „Ausländer raus“ ist nun neu verpackt etwa hinter der Forderung, die „kulturelle Identität“ zu erhalten. Peham: „Die Identitären hoffen - leider nicht unbegründet -, wenn der alte Rassismus in ein antiislamisches Mäntelchen gehüllt werde, weitere Kreise in der Gesellschaft zu erreichen.“
Parallelen mit Dschihadisten
Auch wenn der Dschihadismus aufgrund seiner terroristischen Bestrebungen nicht mit den rechtsextremen Identitären gleichzusetzen sei, gebe es doch Parallelen, sind Häusler und Peham überzeugt. Häusler: „Beide rechtfertigen das eigene Handeln durch die Dämonisierung des Anderen.“ Er spricht von einer gegenseitigen Eskalationsspirale: „Identitäre und fundamentale Salafisten brauchen einander, um ihre Ausgrenzungsfantasien zu rechtfertigen.“ Die Identitären etwa sehen sich als „letzte Chance“, um den Niedergang des „Abendlandes“ abzuwehren.
Zwischen ihnen als Teil der Strömung gegen den Dschihad (Counter-Dschihad) und Dschihadisten sieht auch Peham oberflächliche Parallelen, etwa die militante Grundhaltung, die Begeisterungsfähigkeit für eine Sache und die Bereitschaft, dafür zu kämpfen. Sellner etwa vermittelte via Twitter öffentlich seine Faszination für Propagandavideos der Terrormiliz Islamischer Staat (IS).

DÖW
Für den DÖW ist dieses Plakat Zeichen für die Kampfbereitschaft der Gruppe
Beiden gemeinsam sei auch die Todesfaszination und -sehnsucht: „Die spanischen Faschisten zogen mit dem Schlachtruf ‚Viva la muerte‘ (Es lebe der Tod) in den Kampf. Heute rekrutieren der IS und Identitäre junge, krisenanfällige Männer mit dem Slogan ‚You only die once‘ (Yodo)“, so Peham. Dieser ist etwa auf Buttons und T-Shirts zu finden. Die Kampfbereitschaft zeigt sich laut DÖW auch in von den Identitären angebotenen Selbstverteidigungskursen. In der Anfangszeit der Gruppe in Österreich wurden zudem Aufkleber mit dem Slogan „Streetfight Experience since 1529“ produziert - mit deutlichen Anspielungen auf die erste Türkenbelagerung von 1529.
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