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„Ich bin heulend im Supermarkt gesessen“

Ihre Komödie „Was hat uns bloß so ruiniert“ handelt vom schwierigen Versuch, mit Kindern cool zu bleiben. Im ORF.at-Interview erzählt Filmemacherin Marie Kreutzer über eigene Kontrollverluste - mit brüllendem Kleinkind an der Supermarktkassa oder am Set dieses Films.

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Kreutzer, geboren 1977 in Graz, hat schon in einem ihrer ersten Kurzfilme an der Filmakademie Wien über die Härten des Elternseins nachgedacht: In „Un peu beaucoup“ (2003, 34 Minuten) lässt eine sehr junge Mutter ihr Baby im Schwimmbecken allein. Der Film legt zumindest nahe, dass die Schülerin es aus Überforderung ertrinken lässt. Schon damals legte Kreutzer ein großes Gespür für Stimmungen an den Tag, die sich mehr noch in Körperhaltungen und Blicken als in den Dialogen ausdrückten. Auch ihre anderen beiden Kurzfilme, in denen immer die gleiche Darstellerin, die sommersprossige Pauline Reiner, die Hauptrolle spielt, sind elegische Alltagsdramen, die von den Sehnsüchten der Jugend und der Melancholie des Erwachsenwerdens erzählen.

Mit Kreutzers erstem Langfilm, „Die Vaterlosen“ (2011), bewegte sich ihr Tonfall von der Tragik hin zur Komik. „Gruber geht“, die Verfilmung eines Romans von Doris Knecht, geht bereits als schwarze Komödie durch, während Kreutzers aktueller Film „Was hat uns bloß so ruiniert“ seine Komik aus der überzeichneten Darstellung einer hippen, urbanen Elternszene zieht. Diesen Sommer drehte die Regisseurin im Auftrag des ORF auch ihre erste TV-Komödie, „Die Notlüge“, nach einem Drehbuch von Pia Hierzegger, mit Josef Hader und Brigitte Hobmeier in den Hauptrollen. ORF.at traf Kreutzer zum Gespräch im Wiener Cafe Drechsler, einem der Drehorte von „Was hat uns bloß so ruiniert“.

ORF.at: Frau Kreutzer, der Titel Ihres Films lautet „Was hat uns bloß so ruiniert“ – ganz ohne Fragezeichen. Ruinieren denn Kinder zwangsläufig das Leben ihrer Eltern?

Kreutzer: Der Titel hat für mich zwei Bedeutungen: Da gibt es einmal diese Situationen mit Kindern, in denen man sich wundert, wo man da eigentlich hineingeraten ist. Ich bin mal im Supermarkt heulend am Boden gesessen – wie andere Mütter vielleicht auch. Oder: Als ich einmal am Spielplatz über das Abstillen geredet habe, habe ich mich plötzlich von außen gesehen und mir gedacht: Das bin doch nicht ich! Zum anderen wollte ich mit dem Titel auch diese Luxusproblemkultur ansprechen, um die es im Film geht.

ORF.at: Luxusproblemkultur? Können Sie das erklären?

Kreutzer: Na ja, Luxusprobleme sind für mich Probleme in einem Milieu, in dem man alles hat. Man beschäftigt sich dann damit, das Richtige auszuwählen: Den richtigen Urlaub, das richtige Kindershirt. Man macht sich Gedanken darüber, ob die Kinder jetzt Rosinen essen sollen oder nicht, ob man die Schuhe um 40 oder 100 Euro kauft. Und ob man sein Kind in diese Kindergruppe schickt oder in jene. Das sind ja keine echten Probleme. Das meine ich damit.

ORF.at: Sie sind selbst Mutter einer fünfjährigen Tochter. Haben Sie das Drehbuch geschrieben, als Sie selbst noch in der „Spielplatzszene“ aktiv waren?

Kreutzer: Ich habe die erste Fassung des Drehbuchs wirklich in dem Sommer geschrieben, als meine Tochter zwei war, also genau so alt wie die Kinder im Film. Ich bin auch jetzt noch erschreckend oft am Spielplatz, aber damals war schon die Hochphase (lacht) - insofern ist viel von dem, was ich erlebt habe, ins Drehbuch eingeflossen. Dieses Drehbuch ist auch das einzige, für das ich kaum recherchieren musste.

ORF.at: Das heißt, dieses Drehbuch ist Ihnen besonders leicht gefallen?

Kreutzer: Na ja, die Probleme kamen dann eher in der Überarbeitung. Weil es immer schwierig ist, so viele Figuren zu entwickeln. Im ersten Drehbuch gab es noch viele Zeitsprünge nach vorne und zurück, da haben wir gemerkt, das wird zu viel. Man kann dem nicht mehr gut folgen.

ORF.at: Wenn jemand einen Film über das Elternwerden dreht, denkt man vielleicht zuerst mal an das Porträt eines Paares. Sie haben aber einen Ensemblefilm mit drei Paaren gedreht ...

Kreutzer: Als ich schwanger war, hat jemand zu mir gesagt: Dein Freundeskreis wird sich mit dem Kind komplett verändern. Das hab ich nicht geglaubt. Warum sollte sich mein Freundeskreis verändern? Und natürlich ist es dann doch passiert. Das wollte ich proträtieren, und darum war es klar, dass es um einen Freundeskreis gehen muss. Außerdem wollte ich verschiedene Zugänge zur Elternschaft zeigen: Die Paare im Film gestalten ja ihre Beziehung zum Kind ganz unterschiedlich.

Filmemacherin Marie Kreutzer mit Kamerafrau Leena Koppe

Thimfilm

Regisseurin Kreutzer (r.) mit Kamerafrau Leena Koppe

ORF.at: Wer selbst Kinder hat, wird sich in vielen Situationen im Film wiedererkennen. Was allerdings weitgehend ausgespart bleibt, ist die zweite Seite des Lebens um die 30: die Arbeit. Manchmal fragt man sich: Wovon leben die eigentlich alle?

Kreutzer: In frühen Drehbuchfassungen gab es mehr Hintergrund zu den Arbeitswelten, in denen sich diese Eltern bewegen, aber das hat irgendwann den Rahmen der Erzählung gesprengt. Und ich beobachte auch, dass sich die Arbeits- und Geldsituation der Leute in meinem eigenen Umfeld entspannt hat – vor zehn Jahren haben sich noch viele gefragt, wie sie die Miete zahlen sollen. Sobald Kinder da sind, scheinen Arbeit und Einkommen in Gesprächen nicht mehr so ein Thema zu sein. Aber vielleicht ist es auch einfach so, dass man nicht mehr so gerne davon erzählt ...

ORF.at: In ihrem ersten Langfilm, „Die Vaterlosen“ geht es um eine Familie nach dem Tod des Vaters. In „Gruber geht“ hat die Hauptfigur Krebs. Beide Filme, wie auch ihren neuen, hätte man auch als Drama erzählen können. Warum machen Sie lieber Komödien?

Kreutzer: Das ist mir irgendwie einfach passiert. Meine Kurzfilme waren ja noch nicht sehr komisch. Und als ich „Die Vaterlosen“ geschrieben habe, hatte ich das Gefühl, das wird jetzt so ein depressiver Film. In der letzten Drehbuchphase hatte ich große Lust, das aufzubrechen. Als der Film dann fertig war und immer wieder gelacht wurde im Kino, hab ich gemerkt: Das kann ich also auch! „Gruber geht“ habe ich geschrieben, ohne an ein Genre zu denken. Für das Marketing des Films muss man sich dann aber scheinbar festlegen. Einmal bin ich aus einer Besprechung rausgegangen, weil ich nicht ausgehalten habe, dass jemand gesagt hat, mein Film wäre ein Romantic-Comedy-Drama. Ich würde es persönlich lieber so ausdrücken: Ich mag Filme, die komische und traurige Momente haben - und die man einfach genießen kann.

ORF.at: Die Komik Ihrer Filme funktioniert auch über den pointierten Schnitt. In „Was hat uns bloß so ruiniert“ hört man eine Schwangere im Freundeskreis sagen: „Ich bin so glücklich“! Der Umschnitt zeigt die Klotür, hinter der sie würgt. Steht so etwas vorher im Drehbuch – oder ergibt es sich im Schnitt?

Kreutzer: Das stand schon so im Buch.

ORF.at: Es fasst die widersprüchlichen Gefühle einer Schwangeren ganz gut zusammen.

Kreutzer: Also, ich war nicht gern schwanger! (lacht). Mutter sein ist super. Aber schwanger sein? Furchtbar.

ORF.at: Ihr Lebenspartner ist auch der Ausstatter des Films. Wie funktioniert das eigentlich, wenn man gemeinsam an einem so intensiven Projekt arbeitet und noch Haushalt und Kind zu betreuen hat?

Kreutzer: Das ist schon schwierig. Wenn es meine und seine Mutter nicht gäbe, hätten wir bei den vergangenen Filmen nicht zusammenarbeiten können. Und auch so ist ein gemeinsamer Dreh immer wieder ein Extrem. Aber wir arbeiten halt sehr, sehr gern zusammen.

ORF.at: Wie gehen Sie eigentlich mit den hierarchischen Strukturen am Set um? Als Regisseurin sind Sie ja gewissermaßen die Kapitänin, nach der sich alle anderen richten.

Kreutzer: Meine Mama ist die Chefin, sagt meine Tochter Rosa immer (lacht). Ich glaube nicht, dass irgendwer in meinem Team glaubt, dass ich ihn overrule. Auch er nicht. Man bespricht vorher so viel, dass man sich in der heißen Zeit des Drehs um grundsätzliche Dinge nicht mehr kümmern muss. Man ist sich mit einem Szenenbildner – wie in seinem Fall – oder mit einer Kamerafrau schon so einig, dass es da noch wenig gibt, wo ich „bestimmen“ müsste.

ORF.at: Im Grunde ist Ihr Team ja seit den frühen Kurzfilmen an der Filmakademie gleich geblieben: Leena Koppe macht die Kamera, Ulrike Kofler den Schnitt ...

Kreutzer: Zwischen uns besteht so ein großes Vertrauen! Und die familiäre Stimmung am Set gibt mir Sicherheit. Natürlich gibt es bei jedem Dreh wiederkehrende Probleme. Aber grundsätzlich herrscht Einigkeit. Das ist mit ein Grund, warum ich diesen Beruf habe: Dass man als Gruppe etwas schafft.

ORF.at: Sie haben über diesen Dreh aber auch einmal gesagt, er habe Sie gelehrt, was Kontrollverlust heißt.

Kreutzer: Ja. Nach meinem ersten Film „Die Vaterlosen“, dachte ich, jetzt weiß ich was ein Dreh ist. Aber jeder Dreh hat wieder ganz neue Dynamiken. Das hat mit der Geschichte, dem Team, den Orten zu tun, an denen man sich bewegt. Dieser Dreh war mein bisher längster. Wir waren sieben Wochen im heißesten Wien, an das ich mich erinnern kann. Oft hatte ich das Gefühl, wir sind die einzigen, die noch in der Stadt sind. Alle anderen sind weggefahren.

ORF.at: Und dann gab es noch drei Kleinkinder am Set ...

Kreutzer: ... ja, und das auch noch! Da gab es teamintern schon Konflikte, es war menschlich schwierig – bis hin zu Situationen, wo ich nicht mehr konnte und nicht mehr wollte. Aber das geht natürlich nicht, wenn das Projekt im Laufen ist. Ich habe dann viel aus dem Bauch heraus gearbeitet. Oft hatte ich das Gefühl, dass ich nicht mehr alles im Blick behalten kann. Und zwischendurch war es dann wieder schön zu merken, dass ich mich auf andere verlassen kann, wenn es wirklich schwierig wird.

Das Gespräch führte Maya McKechneay, für ORF.at