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Moderne Überlebensstrategie

Bereits in den 1860er und 1870er Jahren zeichneten die jüdischen Mäzene Eduard von Todesco und Gustav von Epstein den Weg der Neuerfindung der eigenen Person vor, der schließlich zu einer entscheidenden Triebfeder für die Wiener Moderne wurde.

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Der Bankier Todesco war seit den 1830er Jahren bestens in der Wiener Gesellschaft vernetzt und baute als einer der Ersten sein Palais an der neu entstehenden Ringstraße. Er wählte, wie die Kunsthistorikerin Elana Shapira in einer Analyse des Gebäudes aufzeigt, als kulturellen Bezugspunkt gezielt das hellenistische Erbe, da es einen gemeinsamen Anknüpfungspunkt für Juden und Christen bot - entsprechend verstand er sein Haus als Treffpunkt für beide Seiten.

Eduard von Todesco

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Todesco amüsierte sich über ihm entgegengebrachte Vorurteile

„Wer ist Shakespeare?“

Todesco spielte zugleich richtiggehend mit den antijüdischen Vorurteilen der Wiener Gesellschaft. Bei den stadtbekannten Soireen in seinem Haus in den 1870er Jahren stellte sich der bestens gebildete Todesco wiederholt „dumm“. So fragte er einmal, wer denn dieser Shakespeare sei, über den man da gerade rede. Dabei hatte Todesco noch aus der Zeit vor der 1848er-Revolution beste Beziehungen zu Literaten, kannte Grillparzer persönlich und war seit 1840 auch Mitglied in verschiedenen prominenten Literaturclubs gewesen.

Todesco habe in seinem Palais gegenüber der später entstandenen Oper sein Selbstverständnis ebenso sehr „eingebaut“ wie Epstein in seinem Palais - und beide brachten bei der Planung ihre eigenen Ideen ein. Den Entwurf des Architekten Theophil von Hansen, der für Todesco auch die Innengestaltung übernommen hatte, änderte Epstein etwa nach eigenen Vorstellungen stark ab.

Revolte statt Renaissance

Fügten sich Todesco und Epstein noch im Wesentlichen in den damaligen kulturellen Mainstream ein, so war der Industrielle Karl Wittgenstein, Vater des Philosophen Ludwig, ein anderes Kaliber. Während Epstein als seinen Wappenspruch „Sis qui videris“ („Sei, der du scheinst“) wählte, war Wittgensteins Motto „Reichtum ist keine Schande“. Damit habe er ganz bewusst dem antisemitischen Stereotyp des reichen Juden getrotzt, so Shapira.

Palais Epstein neben dem Parlament in Wien

APA/Herbert P. Oczeret

Das Palais Epstein hatte nach Epsteins Bankrott eine wechselvolle Geschichte und wird heute vom Parlament genutzt

Wittgenstein förderte die Secessionisten - er finanzierte wesentlich den Bau der Secession. Das Gebäude in einem für damalige Verhältnisse provokant orientalischen Stil in unmittelbarer Nähe zur Ringstraße war eine bewusste Kampfansage, auch an das jüdische Establishment. Dass dieses die reiche jüdisch-orientalische Tradition ablehnte, habe Wittgenstein wohl als Zeichen der Schwäche gesehen, so Shapira. Joseph Maria Olbrichs Secession und Max Klingers Beethoven-Skulptur seien dann zu Wittgensteins Visitenkarten in der Wiener Gesellschaft geworden.

Jüdischer Dandy

Der Textilindustrielle Fritz Waerndorfer, der die aktuellsten europäischen, insbesondere britischen, Modetrends nach Wien brachte, engagierte britische und österreichische Designer - Josef Hoffmann, Koloman Moser, Charles Rennie Mackintosh und Margaret Macdonald -, um seine Villa im 18. Bezirk umzugestalten. Zugleich unterstützte er entscheidend die Entstehung der Wiener Werkstätte.

Loos-Haus am Michaelerplatz in Wien

ORF.at/Sonja Ryzienski

Von zeitloser Eleganz: das Loos-Haus am Michaelerplatz

Ähnlich wie Todesco stellte er sich antijüdischen Vorurteilen mit Selbstironie entgegen. Waerndorfer habe sich zu einer Art „jüdischer Homme fatal“ stilisiert, so Shapira. Waren es bei Todesco Zweifel an seiner Bildung, so wurde Waerndorfer wiederholt wegen seiner vermeintlich snobistischen Manieren verspottet.

Buchhinweis

Elana Shapira: Style and Seduction. Jewish Patrons, Architecture and Design in Fin de Siecle Vienna. Brandeis University Press, 314 Seiten, 36 Euro.

Nostalgischer Avantgardist

Waerndorfers Position als kultureller Avantagardist machte ihn und sein Haus zugleich zu einem wichtigen Anziehungspunkt im damaligen Wien, zu dem viele, die Rang und Namen hatten, pilgerten. Hauptattraktion war das Bild „Die sieben Prinzessinnen“ von Macdonald, das laut Shapira Waerndorfers nostalgisches Verhältnis zu seinem jüdischen Erbe ausdrückt: Der Schabbat als siebenter Tag, der in der jüdischen Überlieferung weiblich ist - und der durch das traditionelle Entzünden der Kerzen durch die Frau des Hauses „eingeläutet“ wird.

Stolzes, modernes Bekenntnis

Der erfolgreiche und einflussreiche Schriftsteller Richard Beer-Hofmann, dessen Salon ebenfalls ein wichtiger kultureller Treffpunkt war, verwies dagegen ganz offen und stolz auf seine jüdische Herkunft: Über der Eingangstür zu seiner 1970 abgerissenen Villa befand sich ein Davidstern.

Auch im Haus machte er Besucher ostentativ aufmerksam auf seine „jüdische Identifikation als einen integralen Teil der kosmopolitischen Wiener Moderne“: etwa mit einem traditionellen silbernen Torah-Schild, einem Schmuck für die Bibelrollen, die in der Synagoge für die Lesungen verwendet werden, an der Wand in seinem Besucherzimmer. In seinem Haus platzierte Beer-Hofmann neben Büsten von Plato und Homer auch eine Skulptur von König David.

Flirten mit Tabus

Der Modeunternehmer Leopold Goldman wiederum nahm ein wirtschaftliches Risiko auf sich, als er einen öffentlichen Diskurs über gesellschaftliche Konventionen und Avantgarde unterstützte: Den Skandal, den er und Adolf Loos mit dem „nackten“ Modehaus am Michaelerplatz vom Zaum brachen und der zwei Jahre wogte, nützte Goldman, um das avantgardistische Image seines Unternehmens zu stärken.

Adolf Loos

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Loos ließ sich in seinen Entwürfen von der Eleganz der Goldman’schen Herrenanzüge inspirieren

Goldman und Loos rüttelten am tief verankerten Schamtabu: Loos habe sich an der während des Baus brodelnden Gerüchteküche und öffentlichen Empörung geradezu delektiert - und Goldman rückte trotz der Aufregung nie von Loos, der später auch Goldmans wichtigen inhaltlichen Beitrag für den Entwurf öffentlich unterstrich, ab. Goldman und die anderen jüdischen Förderer seien bereit gewesen, „ihren Ruf (und ihr Vermögen) zu riskieren, um ihre Loyalität zu und den Glauben an die Schaffung neuer Stile in Wien unter Beweis zu stellen“, resümiert Shapira.

„Kultureller Triumph“ über Vorurteile

Durch die rechtliche Gleichstellung der Juden 1867 war eine Grenze gefallen - doch die Distanz blieb groß. Der Antisemitismus war in der Wiener Gesellschaft tief verwurzelt und zeigte sich in tagtäglich erscheinenden antisemitischen Karikaturen. Mit dem Bürgermeister Karl Lueger erhielt der Zeitgeist-Antisemitismus politische Legitimation und bereitete das Potenzial für die antisemitische Gewaltbereitschaft auf.

Trotzdem gelang es laut Shapira den porträtierten Mäzenen, „Vorurteile gegen sie in Gesten kulturellen Triumphs zu verwandeln“. Ziel der kulturellen Intervention durch die Mäzene sei es gewesen, ihren Kindern und anderen Juden und Nichtjuden eine „Überlebensstrategie aufzuzeigen, die es ihnen erlaubt, kulturelle und Zugehörigkeitsgrenzen zu überschreiten“.

Guido Tiefenthaler, ORF.at

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