Vorschau soll Verlagen Geld bringen
Der Streit über die Verwendung von Links, Überschriften und kurzen Ausschnitten von Nachrichtentexten im Internet wird seit Jahren geführt. Auf der einen Seite stehen die Nachrichtenverlage, auf der anderen Internetplattformen wie Google. Während nationale Gesetze bisher scheiterten, soll jetzt eine EU-weite Regelung die Lösung bringen. Doch nicht jeder ist damit glücklich.
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Am Mittwoch wird EU-Kommissar Günther Oettinger seinen Vorschlag für ein neues Urheberrechtsgesetz präsentieren. Und nach allem, was bisher bekannt ist, bezieht die EU-Kommission darin recht deutlich Position - in einem Konflikt, in dem sich zwei sehr konträre Meinungen gegenüberstehen.
Diebstahl oder Werbung?
Im Zentrum des Streits: Websites, die gezielt Links auf Nachrichtenartikel sammeln und diese veröffentlichen - zumeist gemeinsam mit einem kurzen Textausschnitt, „Snippet“ genannt. Der größte und bekannteste unter diesen „News-Aggregatoren“ ist der Nachrichtendienst des US-Internetriesen Google - und deshalb den Nachrichtenverlagen auch der größte Dorn im Auge.
Nachrichten über Umwege
Laut dem aktuellen Eurobarometer konsumieren mehr als die Hälfte aller Internetnutzer in der EU Nachrichten über Soziale Medien (22 Prozent), „News Aggregatoren“ (14 Prozent) und Suchmaschinen (21 Prozent).
Sie argumentieren, dass Dienste wie Google News fremde Inhalte anbieten und vermarkten, aber nicht dafür bezahlen - also schlicht stehlen. Die Internetplattformen, allen voran Google, halten dagegen, dass sie mit ihren Vorschautexten und Links die Nutzer erst auf die Seiten der Nachrichtenseiten lotsten; und dass Nachrichtenseiten ganz leicht verhindern könnten, durch Suchmaschinen erfasst zu werden.
20 Jahre langer Schutz
Die Kommission konnte Google mit diesen Argumenten offensichtlich nicht überzeugen. Auch wenn der letztgültige Kommissionvorschlag noch nicht bekannt ist, so gelangten in den vergangenen Wochen erste Details an die Öffentlichkeit: ein Arbeitsdokument der EU-Kommission zum neuen Urheberrecht etwa und schließlich auch der Entwurf des Gesetzesvorschlags selbst.

Reuters/Nigel Treblin
Oettingers will mit seinen Plänen den Verlagen unter die Arme greifen
Konkret sieht der momentan bekannte Gesetzesentwurf vor, Nachrichtenverlagen die gleichen Rechte zu gewähren wie Musiklabels oder Filmstudios. Diese hat die EU 2001 bereits in ihrem Urheberecht EU-weit festgeschrieben. Es soll nun um Nachrichtenverlage ergänzt werden. Verlage könnten dann über jegliche Art der Verbreitung, Reproduktion und Veröffentlichung ihrer Nachrichtenpublikationen im Netz bestimmen; und für deren Verwendung durch Dritte Lizenzgebühren verlangen. 20 Jahre lang soll der Schutz laut dem Kommissionsvorschlag gelten - und auch kurze Textausschnitte erfassen.
Nationale Regeln wenig erfolgreich
Damit geht der Entwurf deutlich über bisherige nationale Regelungen hinaus. Denn neu sind Bestrebungen nach einem Leistungsschutzrecht in Europa nicht. Deutschland setzte bereits 2013 ein Leistungsschutzrecht für Presseverleger in Kraft – mit fragwürdigem Erfolg: Viele Verlagsgruppen, die zuvor Druck auf die deutsche Regierung gemacht hatten, handelten mit Google Ausnahmen aus.
Österreich ließ prüfen
Das Leistungsschutzrecht in Österreich hätte eigentlich 2015 beschlossenen werden sollen. Im letzten Moment machte die Regierung aber einen Rückzieher. Der Entwurf sei nach Brüssel zur Prüfung geschickt worden, hieß es damals.
Spanien schlug ein Jahr später einen noch härteren Weg ein: Seiten wie Google-News wurden per Gesetz verpflichtet, eine Abgabe an die jeweiligen Verleger zu zahlen. Einen freiwilligen Verzicht der Verlage schloss das spanische Gesetz dezidiert aus. Das Gesetz hatte tatsächlich Folgen, wenn auch nicht die gewünschten: Google schaltete in Spanien seinen News-Dienst ab.
Auch in Österreich trieb die Regierung Pläne für ein Leistungsschutzrecht für Verleger voran. Es sollte Teil der im vergangenen Jahr beschlossenen Urheberrechtsnovelle werden. Kurz vor dem Beschluss legte die Regierung das Vorhaben aber auf Eis.
Schritt für Verlage „überfällig“
Für die European Newspaper Publishers’ Association (ENPA) und die European Magazine Media Association (EMMA) ist die EU-weite Regelung ein lange ausständiger Schritt. In den beiden Interessenverbänden hat sich ein großer Teil der europäischen Zeitungs- und Magazinverleger zusammengeschlossen. Zwar kenne man den endgültigen Kommissionsvorschlag noch nicht, so die Verbände gegenüber ORF.at. Doch begrüße man den Vorstoß „zur Schaffung eines europäischen Verlegerrechts ausdrücklich. Dies ist überfällig, weil alle anderen Branchen der Kreativindustrie eigene Rechte genießen und nur die Verlage davon ausgenommen sind. Es gilt, eine Regelungslücke zu schließen.“
Die von Oettinger eingesetzte Expertengruppe geht in ihrer Argumentation sogar noch weiter. Ein stärkerer Schutz hätte „positive Folgen für das Urheberrecht als Eigentumsrecht und das Recht auf Informationsfreiheit“, heißt es darin. Durch ein überarbeitetes Urheberrecht könnten die Nachrichtenverlage einen Teil ihrer Investitionen über Lizenzeinnahmen wieder hereinbekommen.
Und das würde wiederum die „Qualität journalistischer Inhalte“ fördern, so die Überlegungen der kommissionellen Arbeitsgruppe. Mit anderen Worten: Das neue Urheberrecht soll der an der Digitalisierung krankenden Nachrichtenlandschaft zum wirksamen Medikament werden.
Konsumentenschützer: „Der falsche Ort“
Diesen Optimismus teilt nicht jeder. Dass die Initiative gegen ein Leistungsschutzrecht (IGEL) den Vorschlag strikt ablehnt, kommt kaum überraschend. Doch auch der Europäische Verbraucherverband (BEUC) sieht die Pläne durchaus kritisch. Es bestehe kein Zweifel daran, dass der Zukunft des unabhängigen Journalismus die volle Aufmerksamkeit der Politik zukommen müsse. „Doch das Urheberrecht ist der falsche Ort, um für eine nachhaltige Finanzierung der Verlagsbranche zu sorgen“, so BEUC-Experte Agustin Reyna gegenüber ORF.at.
Reyna befürchtet vielmehr, dass die neuen Regelungen vor allem den großen Verlagshäusern zugutekämen, während kleinere Medien und freie Journalisten auf der Strecke blieben. Ganz ähnlich argumentierte zuletzt auch der neu gegründete europäische Start-up-Verband: Das Vorhaben sei innovations- und startupfeindlich.
Die Frage der privaten Nutzer
Offen ist überdies die Frage, inwieweit die neuen Bestimmungen auch Privatpersonen treffen könnten. Zwar versicherte EU-Kommissar Oettinger, dass private Nutzer keinen Grund zur Sorge hätten. Sie könnten „auch weiterhin Fotos oder Links zu Zeitungsartikeln – inklusive kurzer Anreißer – auf ihrer Facebook-Seite oder Twitter veröffentlichen, ohne dafür zu zahlen“, sagte er in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ („FAZ“).
Allerdings: Dezidiert ausgenommen sind Privatpersonen in dem bisher bekannten Entwurf nicht. Vielmehr wird eben die Entscheidung, wer was wie verwenden darf, den Verlegern übertragen. Dass diese vermutlich kein Interesse daran haben, private Nutzer vom Teilen eines Artikels abzuhalten, liegt nahe. Doch es wäre durchaus denkbar, dass sie die Plattformen ins Visier nehmen, auf denen das passiert - also etwa Facebook und Twitter. Schließlich verdienen diese Unternehmen sehr wohl Geld mit Werbung auf ihren Seiten. Und das könnte dann wiederum auch auf Privatpersonen durchschlagen.
Zustimmung durch Parlament nötig
Erster politischer Widerstand kam bereits aus dem EU-Parlament. Als „völlig jenseits von Gut und Böse“ bezeichnete die deutsche EU-Parlamentarier Julia Reda den Entwurf gegenüber dem „Spiegel“. Die Abgeordnete der Piratenpartei ist stellvertretende Vorsitzende der Fraktion der Grünen/Freien Europäischen Allianz. Eine Ablehnung des Vorschlags durch ihre Fraktion gilt als wahrscheinlich. In den anderen Fraktionen hält man sich zurzeit mit einer Einschätzung noch bedeckt.
Das könnte sich schon bald ändern. Oettinger will das neue Leistungsschutzrecht bis Ende 2017 unter Dach und Fach bringen. Dem EU-Parlament könnte so in den kommenden Monaten eine hitzige Debatte bevorstehen. Denn um tatsächlich realisiert zu werden, muss das Vorhaben der Kommission sowohl im Rat der Europäischen Union als auch im EU-Parlament Zustimmung finden.
Martin Steinmüller, ORF.at, aus Brüssel
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