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Sobotka würde Ungarn klagen

Zwar hat sich die Regierung nach langem Tauziehen am Dienstagabend auf einen Begutachtungsentwurf zur vieldiskutierten Asylnotverordnung geeinigt. Wann sie in Kraft treten soll, bleibt allerdings ungewiss. Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) und Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) sind diesbezüglich unterschiedlicher Meinung.

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Kern stellt sich einen Beginn ab der erreichten Höchstzahl von 37.500 Menschen, die in Österreich um Asyl ansuchen, vor. Sobotka hingegen pocht auf einen früheren Start. „Ich glaube, hier irrt der Bundeskanzler schlicht und ergreifend“, sagte er. Was solle eine Verordnung bewirken, wenn die Grenze bereits erreicht sei, fragte er in der ZIB2. „Ein Feuerwehrauto zu kaufen, wenn es brennt, macht wenig Sinn.“ Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) ist indes auf einer Linie mit Sobotka.

Sobotka stellt Formulierung über konkrete Zahl

Sobotka pflichtete Kanzleramtsminister Thomas Drozda (SPÖ) im Ö1-Morgenjournal bei. Dieser hatte im ZIB2-Interview gesagt, sobald die oft zitierte „Obergrenze“ von 37.500 Personen „in Reichweite“ sei, würden Bundesregierung und Hauptausschuss handeln. Vorerst werde man die „Entwicklung genau zu beobachten haben“. Möglicherweise sei es im November so weit, möglicherweise erst im Dezember, sagte Drozda. Man wolle „für den Fall der Fälle vorbereitet sein“.

Drozda zur Asylnotverordnung

Der „Richtwert“ von 37.500 Asylanträgen könnte im November in Reichweite sein, sagte Drozda in der ZIB2.

Sobotka sagte im Ö1-Morgenjournal, dass es beim Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verordnung nicht um eine bestimmte Zahl, sondern um das „Wording“ gehe. Umzusetzen sei die Verordnung „dann, wenn wir sehen, dass wir Gefahr laufen, aufgrund der größeren Flüchtlingsbewegungen die Obergrenze zu durchstoßen“. Somit blieb auch der Innenminister eine Antwort auf das genaue Prozedere schuldig. Das Erreichen der Höchstzahl von 37.500 hielt er jedoch für unwahrscheinlich.

Niemandsland zwischen Österreich und Ungarn

Auch für die Situation von Menschen, die im Niemandsland zwischen Österreich und Ungarn festsitzen, hat auch der Innenminister bezüglich der Asynotverordnung keine konkrete Antwort parat, auch nicht, ob diese ohne Asylverfahren abgeschoben werden sollen. Allerdings würde Sobotka Ungarn klagen, würden das Land in der EU geltende Gesetze wie den Dublin-Vertrag nicht einhalten und keine Menschen zurücknehmen - mehr dazu in oe1.ORF.at.

Innenminister Wolfgang Sobotka

APA/Herbert Neubauer

Innenminister Sobotka will sich nicht auf eine bestimmte Zahl festlegen

In dem Begutachtungsentwurf zur Asylnotverordnung - laut Sobotka eine Sonderverordnung, keine Notverordnung - wird im Wesentlichen, unterlegt mit diversen Statistiken, argumentiert, weshalb aus Sicht der Regierung bei Erreichen der festgelegten Obergrenze das Stellen von Asylanträgen erschwert werden soll.

Das Papier, das am Dienstagabend der APA vorlag, umfasst neun Seiten. Die Argumente, die ins Treffen geführt werden, drehen sich um innere Sicherheit, Kriminalität und die Kapazitäten für die Versorgung von Flüchtlingen. In den Erläuterungen zu der Verordnung heißt es etwa: „Der überdurchschnittlich hohe Zuzug von Schutzsuchenden stellt eine enorme Herausforderung für die allgemeine Sicherheitslage dar.“

Untermauert mit Statistiken

Untermauert wird diese Aussage unter anderem damit, dass die Zahl der von Asylwerbern begangenen Straftaten im Vorjahr deutlich gestiegen sei - darunter „nicht nur“ Diebstähle und Suchtgiftdelikte, „sondern auch Vergewaltigungen und ein Mord“. Erwähnt wird auch eine zunehmende Radikalisierung unter Inhaftierten und dass aus Kapazitätsgründen „ein an den Zielen der Resozialisierung orientierter Strafvollzug kaum mehr möglich ist“.

Stichwort Kapazitäten: Die hohe Zahl an Asylwerbern stelle die Behörden vor große Probleme, heißt es in dem Begutachtungsentwurf weiter: „Die hohe Qualität des Asylverfahrens kann bei einer gleichbleibend hohen Zahl an Schutzsuchenden nicht mehr sichergestellt werden, da insbesondere die personellen Ressourcen zum Erliegen kommen werden.“ Die Zahl der offenen Verfahren habe sich ausgehend von 31.338 zu Beginn des Jahres 2015 im Laufe dieses Jahres mehr als verdoppelt.

Arbeitsmarkt und Unterbringung

Außerdem würden mit einer neuerlichen hohen Zahl von Schutzsuchenden die Versorgung und Unterbringung nicht mehr sichergestellt werden können. Man müsste in einem Szenario wie im letzten Herbst auf Großquartiere ausweichen, und diese hätten sich häufig als Orte mit einem hohen Potenzial an ethnisch-kulturellen bzw. sozialen Konflikten und Anspannungen erwiesen.

Ein wesentlicher Punkt in der Argumentation ist der Arbeitsmarkt. Hier heißt es, Österreich sei durch die Öffnung für die „neuen“ EU-Länder ohnehin schon „belastet“. Eine wachsende Zahl an Asylberechtigten bedeute nun eine Verfestigung der Arbeitslosigkeit in einem schwierigen Arbeitsmarktsegment. Als weiteres Problemfeld wird der Gesundheitssektor genannt. Eine Flüchtlingszahl wie im Vorjahr berge das Risiko, dass es zu Versorgungsengpässen komme.

„Außerordentlich hohe Belastung“ für Budget

Schließlich wird in dem Text für die Verordnung noch darauf verwiesen, dass der Schulbereich mit einer fünfmal so hohen Zahl neu hinzukommender schutzsuchender Kinder und Jugendlicher konfrontiert gewesen sei. Auch von Engpässen auf dem Wohnungsmarkt, die nicht kurzfristig behebbar wären, ist die Rede. Zuletzt enthält das Papier auch noch den Verweis auf eine „außerordentlich hohe Belastung“ für den Staatshaushalt. Für heuer prognostiziert: zwei Milliarden Euro.

Opposition skeptisch

Die Opposition bewertet den Entwurf skeptisch. „Traurig, dass die Regierung nach wie vor nicht handlungsfähig ist - zulasten unseres Landes. Österreich braucht umgehend einen Asyl- und Zuwanderungsstopp“, so der oberösterreichische Landeshauptmann-Stellvertreter Manfred Haimbuchner (FPÖ) in einer Aussendung.

Die Grünen lehnen die Notverordnung ab, da sie keinen Notstand sehen, auch NEOS kann wenig mit dem Vorhaben anfangen. „Durch nationale Grenzschließungen, wie es die Bundesregierung mit einer Notstandsverordnung machen will, wird sich aber kein einziger Vertriebener in Luft auflösen“, so die grüne Menschenrechts- und Integratiosnsprecherin Alev Korun. Grenzschließungen gaukelten nur eine Lösung vor.

Geteilte Meinungen

„Wir brauchen keine Notverordnung, die nicht kommt, sondern einen Integrationsplan - bevor hier eine Not entsteht“, sagte NEOS-Menschenrechtssprecher Nikolaus Scherak. Beschleunigt werden sollten seiner Meinung nach die Asylverfahren, ebenso forciert Rückführungen. Für die Notverordnung sprach sich das Team Stronach (TS) aus. Die Regierung müsse die Notbremse ziehen: „Denn wenn die von der Regierung festgelegte Obergrenze von 37.500 erreicht ist, ist es zu spät“, so Klubobmann Robert Lugar.

UNHCR sieht Flüchtlingsschutz gefährdet

Das UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) äußerte Bedenken. Die Notverordnung würde einen Tabubruch und eine Abkehr vom Flüchtlingsschutz in Österreich bedeuten, warnte Christoph Pinter, Leiter von UNHCR Österreich, in einer Aussendung. Außerdem befürchtet das Flüchtlingshochkommissariat, dass andere europäische Staaten dem Beispiel Österreichs folgen und Menschen auf der Flucht vor Krieg und Verfolgung immer schwieriger Schutz in Europa finden könnten.

Amnesty: De facto Aus für Asylrecht

Mit scharfer Kritik reagierte Amnesty International auf den Begutachtungsentwurf zur Notverordnung im Asylwesen. „Diese Verordnung heißt nicht ‚wir können nicht‘, sondern ‚wir wollen nicht‘“, schrieb Generalsekretär Heinz Patzelt, der eine Verletzung grundsätzlicher Menschenrechtsstandards ortet, in einer Aussendung. Wenn die Verordnung in Kraft trete, werde dadurch de facto das Asylrecht abgeschafft, so Patzelt und meinte: „Das Ergebnis wird ein neues Idomeni in Nickelsdorf sein.“

Kommission schweigt

Die EU-Kommission wollte die Verordnung nicht kommentieren. Auf die Frage, ob die Brüsseler Behörde den Text schon gesehen habe, sagte eine Kommissionssprecherin: „Nein, wir haben derzeit nichts dazu zu sagen. Wir überprüfen ein Gesetz immer erst, wenn es in Kraft ist.“

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