Auf hoher See ohne moralischen Kompass
Ein Leuchtturm, ein paar Felsen und starke Gefühle: Das versammelt Regisseur Derek Cianfrance auf einer kleinen Insel irgendwo mitten im Ozean vor Australiens Küste. Für die Gefühle sorgen Michael Fassbender, Alicia Vikander und Rachel Weisz.
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Tom (Fassbender) kommt nach seinem traumatisierenden Einsatz im Ersten Weltkrieg zurück nach Westaustralien. Von der Menschheit hat er genug gesehen, er tritt einen Posten als Leuchtturmwärter auf einer weit abgelegenen Insel an, wo außer ihm niemand lebt und die Gischt das einzige Geräusch weit und breit ist. Vor seiner Abreise lernt er Isabel (Vikander) kennen, ein Mädchen aus gutem Hause. Sie schreiben einander lange Zeit Briefe, schließlich folgen eine Hochzeit und die erste Schwangerschaft. Auf eine Fehlgeburt folgt eine zweite. Das Glück ist von der kleinen Insel verschwunden.

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Michael Fassbender und Alicia Vikander im Glück der einsamen Zweisamkeit
Doch es scheint zurückzukehren: Ein Ruderboot strandet, mit einem toten Mann und einem lebendigen Neugeborenen an Bord. Tom will per Leuchtturm Hilfe holen, damit das Baby zurück zu seiner Mutter kommt. Isabel hingegen möchte das Kind behalten, weil es doch sonst ins Kinderheim müsse, wer wisse schon, ob es eine Mutter habe, oder ob die nicht auch ertrunken sei. Tom lässt sich überreden, es ist der Sündenfall des jungen Paares. Ein Sündenfall, der eine Mutter am Festland (Weisz) an den Rand des Wahnsinns treibt. Es kommt, wie es kommen muss: Bei einem Landausflug begegnet man einander. Trotzdem weitermachen mit der Lüge? Die Beantwortung dieser Frage macht den Spannungsbogen des Films aus.
Ein Regisseur kämpft um „sein“ Buch
„The Light Between Oceans“ ist eine Verfilmung des gleichnamigen Romans der australischen Autorin M. L. Stedman, der 2012 international für Furore sorgte. Das Buch hielt sich lange auf der Bestsellerliste der „New York Times“ und wurde in 35 Sprachen übersetzt. Stedman ist zufrieden: „Das Ergebnis ist ein bildschöner, gefühlsechter Film, der dem Geist meines Romans treu bleibt, gleichzeitig aber eine sehr persönliche Interpretation des Regisseurs und seiner Schauspieler ist.“

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Trägt die Konsequenzen des Sündenfalls anderer: Rachel Weisz
Das wiederum freut den Regisseur ganz besonders: Cianfrance, ein großer Fan von Stedman. Cianfrance hat sich noch ein wenig Kindlichkeit und Fantasie bewahrt, er ging an den Dreh mit dem Esprit eines Erstsemesters auf der Filmakademie heran. Das zeigte sich nicht nur am aufgekratzten Wesen, das er an den Tag gelegt haben soll, als er die Produzenten um den Job des Regisseurs bat, sondern auch an kleinen Details, die über die Arbeit am Set berichtet werden.
Mit verbundenen Augen am Set
Vikander etwa hat er die Augen verbunden, als sie auf die Insel gebracht wurde, und danach in einen dunklen Stall gesperrt. Wozu? Damit, wenn die von ihr gespielte Isabel die Insel zum ersten Mal sieht, auch Vikander selbst vor der Kamera die rauen Felsen erstmals erblickt. Diese emotionale Unmittelbarkeit merkt man dem Film an und Cianfrance weiß, dass er auf sie nicht verzichten kann. Tempo kann hier nur durch Emotionen und moralische Fragen gemacht werden, schnelle Schnitte sind genauso wenig möglich und sinnvoll wie rasante Kamerafahrten. Es gibt Menschen, es gibt Natur - und sonst nichts.
Und selbst die Natur ist hier vor allem durch ihre Eintönigkeit imposant, was zwar für ein paar sinnlich-schöne Aufnahmen vom Meer, vom Fluss der Gezeiten und von den spröden Felsen der Insel reicht, aber die Handlung nicht von sich aus antreibt. Tom kümmert sich gemeinsam mit Isabel um den Garten und um das Kind. Tom verrichtet seine Leuchtturmwärterarbeit. Die beiden kochen. Bleiben die Gefühle: die überbordende Trauer über die Fehlgeburten, die überschäumende Freude am Zusammenleben mit dem Findelkind, das Entsetzen angesichts der leidenden leiblichen Mutter, dazu die Schuldgefühle.
Zwischen Gefühl und Gefühlsduselei
Selbstredend besteht bei einem solchen Film die Gefahr, die Grenze vom Gefühl zur Gefühlsduselei und von stimmungsvoller Inszenierung zum Kitsch zu überschreiten. Ein paar Rezensenten sehen „The Light Between Oceans“ jenseits dieses Grats, andere nicht. Ein wenig dick trägt Alexandre Desplat auf, mit einer sehr klassischen Interpretation von Filmmusik - Stichwort Geigengeschrammel. Desplat wurde 2014 der verdiente Oscar für den Soundtrack von Wes Andersons „Grand Budapest Hotel“ verliehen.
Was dagegen spricht, den Kitschalarm auszurufen, ist der zweite Aspekt, der neben den Emotionen Kinobesucher im Bann hält: das Tänzeln des gesamten Teams rund um moralische Fragen. Tänzeln deshalb, weil hier etwas geschieht, was in großen Kinoproduktionen selten ist. Es wird eine böse Tat begangen, es gibt aber keine bösen Täter. Das war es auch, was Regisseur Cianfrance so an dem Stoff faszinierte (abgesehen davon, dass er in der U-Bahn weinen musste, als er das Buch las).
Cianfrance sagt in einem vom Filmverleih zur Verfügung gestellten Interview: „Als Filmemacher interessiere ich mich für menschliches Verhalten. Da war es ein großes Privileg, eine Geschichte zu erzählen, in der die Menschen, die du am meisten liebst, womöglich die ‚Bösen‘ sind.“ So etwas glaubwürdig zu verkörpern, in all seinen Nuancen - dazu braucht es vor der Kamera Profis wie Fassbender, Vikander und Weisz. „The Light Between Oceans“ ist ein Schauspielerfilm im besten Sinne, ein Film, der zum Nachdenken anregt. Nachgewirkt hat er auch bei Fassbender und Vikander - sie sind seit dem Dreh auch privat ein Paar.
Simon Hadler, ORF.at
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