Nicht mit Visafreiheit verbunden
EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn geht davon aus, dass die Türkei auch ohne Visafreiheit am Flüchtlingsabkommen mit der EU festhalten wird. „Der Flüchtlingsdeal ist getrennt zu sehen von der Visaliberalisierung“, sagte Hahn dem deutschen „Handelsblatt“ (Montag-Ausgabe). Die Europäer sollten sich nicht „ins Bockshorn jagen lassen und Konditionalitäten herstellen, die es gar nicht gibt“.
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Die Türkei profitiere von dem Abkommen genauso stark wie die EU, sagte Hahn zur Begründung. Er verwies auf die von der EU bereitgestellten Finanzmittel zur Versorgung der rund 2,7 Millionen Flüchtlinge in der Türkei. Darauf wolle Ankara „bestimmt nicht verzichten“, sagte er.
Das im März zwischen der EU und Ankara geschlossene Abkommen sieht vor, dass die Türkei auf den griechischen Ägäis-Inseln ankommende Flüchtlinge zurücknimmt. Im Gegenzug stellte die EU unter anderem Visafreiheit für türkische Bürger in Aussicht. Die Voraussetzungen dafür sehen viele EU-Politiker auch wegen der repressiven Reaktion des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan auf den Putschversuch im Juli aber als nicht erfüllt an. Ankara droht, das Abkommen platzen zu lassen, wenn der Visazwang nicht bis Oktober fällt.
EU-Beitrittsgespräche nicht abbrechen
Hahn sprach sich zudem dagegen aus, die Verhandlungen über einen EU-Beitritt der Türkei abzubrechen, wie es Bundeskanzlerin Christian Kern (SPÖ) und Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) kürzlich gefordert hatten. Er sei sich mit den 27 anderen EU-Staaten darin einig, „dass wir mit der Türkei im Gespräch bleiben sollten, solange Ankara das auch will“, so Hahn. Auf die Frage, ob ein Beitritt der Türkei wie von Ankara angestrebt bis 2023 realistisch sei, sagte er jedoch: „Aus heutiger Sicht: nein.“
EU-Kommissar Günther Oettinger hält einen Beitritt der Türkei zur EU unter Erdogan nicht mehr für möglich. „Das wird wohl eher ein Thema für die Zeit nach Erdogan“, sagte Oettinger in einem „Bild“-Interview (Dienstag-Ausgabe). Unter den derzeitigen Bedingungen sei ein Beitritt „weit bis ins nächste Jahrzehnt hinein nicht realistisch“. Dennoch bleibe die Türkei für die EU ein geostrategisch und wirtschaftlich wichtiges Land. Gute Beziehungen seien wichtig.
Visapflicht bis Oktober fraglich
Gleichzeitig stellte Oettinger eine Aufhebung der Visapflicht für alle Türken bis Oktober infrage. Noch habe die Regierung in Ankara nicht alle Bedingungen für die Visafreiheit erfüllt, sagte der EU-Kommissar. „Vor allem bei der Änderung der türkischen Anti-Terror-Gesetze kann es keinen Rabatt von unserer Seite geben. Für uns gehen Rechtsstaatlichkeit und Genauigkeit vor Schnelligkeit.“ Nach Lesart der türkischen Regierung ist die Visafreiheit eine Gegenleistung für das Abkommen, mit dem die Migration vor allem aus Syrien und dem Irak nach Europa über die Balkan-Route verringert wurde.
Die Türkei sieht aber weiterhin eine Verbindung zwischen der Aufhebung der Visapflicht bei EU-Reisen mit der Umsetzung des Flüchtlingspaktes. „Wir erwarten die Aufhebung der Visapflicht bis spätestens Oktober 2016“, sagte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu der Athener Zeitung „Kathimerini“ (Dienstag-Ausgabe). Die Türkei könne andernfalls die illegale Migration in die EU nicht alleine stoppen, solange die EU ihre Verpflichtungen nicht erfülle.
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