„Alles ist kaputt“
Ein schweres Erdbeben hat die Menschen in Mittelitalien mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen und viele getötet. Es gab zahlreiche Verletzte und Verschüttete. Die Zivilschutzbehörde nannte zu Mittag erstmals eine Opferzahl: Es kamen mindestens 38 Menschen ums Leben - aber die Lage ist unübersichtlich.
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Die Opferzahl stieg damit dramatisch - zunächst war von sechs Toten berichtet worden. Mehrere kleine Orte in einer Bergregion etwa 150 Kilometer nordöstlich Roms wurden durch die Erdstöße verwüstet. Häuser glichen Schutthaufen, Trümmer und Staub bedeckten Autos und Straßen.

APA/AP/Andrew Medichini
Ein Erdbebenopfer wird aus den Trümmern geborgen
Der Zivilschutz sprach von mindestens 38 Menschen, die ums Leben kamen. Zehn Menschen starben laut den Angaben allein in dem Ort Pescara del Tronto in der mittelitalienischen Region Marken. Todesopfer gab es unter anderem auch in Accumoli, fünf in Amatrice. Besonders stark betroffen sein soll auch der Ort Arquata del Tronto nahe Pescara del Tronto und ebenfalls in den Marken. Dort sollen laut Medienberichten zehn Menschen ums Leben gekommen sein. Laut ersten Angaben befanden sich keine Österreicher unter den Opfern.
Retter im Dauereinsatz
Tausende Soldaten und zivile Retter waren am Mittwoch im Einsatz, um der vom Erdbeben betroffenen Bevölkerung Hilfe zu leisten. „Wir lassen niemanden alleine“, sagte Regierungschef Matteo Renzi bei einer Pressekonferenz in Rom. Es gehe vor allem darum, so rasch wie möglich alle Vermissten aus den Trümmern zu bergen. Aus Rom entsandte das Innenministerium mehr als 500 Feuerwehrleute nach Amatrice. Soldaten befreiten verschüttete Straßen vom Geröll. Der Zivilschutz stand im Dauereinsatz und errichtete Zelte in Gemeinden, in denen viele Bewohner obdachlos geworden waren.
Das Wirtschaftsministerium sagte 234 Millionen Euro für einen Fonds zur Finanzierung von Hilfen bei Naturkatastrophen zu. In ganz Italien wurden Geldspenden für die Opfer gesammelt.
„Viele noch unter den Trümmern“
„Viele sind noch unter den Trümmern. Wir bereiten einen Ort für die Leichen vor“, sagte der Bürgermeister von Amatrice, Sergio Pirozzi, der Agentur ANSA zufolge. Unter den Opfern sollen mehrere Kinder sein. Helfer suchten in den Trümmern völlig zerstörter Häuser weiter nach Überlebenden und Toten.
Die Rettungsdienste konnten einige Orte in der bergigen Gegend nur schwer erreichen. Ein Augenzeuge meinte erschüttert: „Alles ist kaputt.“ Das Erdbeben mit einer Stärke von mehr als sechs sowie mehrere Nachbeben hatten in der Nacht auf Mittwoch die gesamte Gegend im Dreiregioneneck Umbrien, Latium und Marken erschüttert. Das Beben war auch in Rom und an der Adria-Küste zu spüren. Es hatte sein Zentrum in der Provinz Rieti (Latium).

Omniscale/OSM/ORF.at
Zwei Kinder gerettet
Ein verschütteter Bub konnte am Mittwoch lebend im Ort Pescara del Tronto gerettet werden. Um andere Verschüttete kämpften die Helfer verzweifelt. In Amatrice, dem mit am stärksten betroffenen Ort, halfen Ärzte einem verletzten sechsjährigen Zwilling aus den Trümmern. Der Bruder des Kindes sei noch nicht geborgen, berichtete ANSA zu Mittag.

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Das Ausmaß der Schäden wird allmählich sichtbar
Tausende obdachlos
Tausende Menschen sind zudem obdachlos. Allein in Accumoli sind laut Bürgermeister Stefano Petrucci nun 2.500 Menschen ohne Dach über dem Kopf. Es sei kein einziges Haus mehr bewohnbar. „Wir müssen eine Zeltstadt für die gesamte Bevölkerung organisieren“, sagte Petrucci ANSA zufolge. „Obwohl August ist, herrschen hier nachts zehn Grad.“
Straßen blockiert, Strom ausgefallen
Um 3.30 Uhr in der Nacht fing die Erde an zu beben. Vor allem die kleineren Ortschaften Amatrice und Accumoli wurden getroffen. „Die Hälfte des Ortes gibt es nicht mehr. Die Menschen sind unter den Trümmern“, sagte der Bürgermeister von Amatrice, Sergio Pirozzi, dem Nachrichtensender RaiNews24. Pirozzi betonte, dringlichste Aufgabe sei es nun, „so viele Menschenleben wie möglich zu retten. Wir hören Stimmen unter den Trümmern, wir müssen die Leute retten.“

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Amatrice wenige Stunden nach dem verheerenden Beben
Straßen waren blockiert, der Strom war ausgefallen. Der Bürgermeister forderte Hilfe per Hubschrauber. Auch das Militär wurde zum Hilfseinsatz mobilisiert. In den Dörfern im Appenin halten sich im August besonders viele Städter auf - so entfliehen etwa viele Römer der Hitze der Stadt in die Berge.
Erinnerung an L’Aquila
Das Beben hatte nach Angaben des geophysischen Instituts im deutschen Potsdam eine Stärke von 6,1 und lag in zehn Kilometer Tiefe. Die italienische Erdbebenwarte gab eine Stärke von sechs an. Das US-Erdbebeninstitut sprach von der Stärke 6,2. Städte wie Perugia und Assisi sind nicht weit entfernt. Auch Touristen an der Adria-Küste meldeten sich besorgt bei den Feuerwehren.

Reuters/Emiliano Grillotti
Bewohner und Zivilschützer suchen in Amatrice nach Überlebenden
Italien wird aufgrund seiner geografischen Lage immer wieder von Erdbeben erschüttert, oft auch von schwerwiegenden. 2009 war bei einem Beben die mittelitalienische Stadt L’Aquila verwüstet worden. Damals starben mehr als 300 Menschen. L’Aquila liegt in Luftlinie nur gut 30 Kilometer von Amatrice entfernt. „Das, was wir in L’Aquila vor Jahren gesehen haben, ist nun hier geschehen“, sagte der Bürgermeister von Accumoli. „Wir brauchen Hilfen“, ergänzte er in einem Telefongespräch mit RaiNews24er.
Spitäler evakuiert
Auch Krankenhäuser wurden durch die schweren Erdstöße beschädigt. Die Patienten aus dem kleinen Spital in Amatrice müssten woanders hingebracht werden, berichtete ANSA. Auch in anderen Orten der Region wurden am Mittwoch beschädigte Krankenhäuser und Seniorenheime geräumt. Wegen der großen Zahl von Verletzten haben die Behörden die Bevölkerung zum Blutspenden aufgerufen. Die Bewohner der Gemeinden um das Epizentrum wurden gebeten, dazu in Krankenhäuser zu kommen.
Panik unter Touristen
Eine Angstnacht erlebte auch Norcia, Geburtsort des heiligen Benedikt. Schäden wurden in der Kathedrale gemeldet. Die vielen Touristen, die sich in der Ortschaft befinden, strömten in Panik auf die Straßen. „Es war so stark. Es war, als ob das Bett sich - mit uns drauf - von selbst bewegt“, so eine Frau aus Ceselli in der Region Umbrien. Eine andere Frau aus dem nahe gelegenen Scheggino sagte: „Es war schrecklich. Die Wände ächzten, und alle Bücher fielen von den Regalen.“ Mehrere Nachbeben erschütterten Mittelitalien. Eines, rund eine Stunde nach dem schweren Beben, erreichte die Stärke 5,5. Auch um 6.00 Uhr bebte die Erde erneut.
Hilfe international angeboten
„Wir bieten unsere bestmögliche Unterstützung an“, schrieb Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) am Montag auf Twitter an seinen italienischen Amtskollegen Paolo Gentiloni. „Meine Gedanken sind bei den Opfern und Angehörigen“, teilte Kurz mit. Zahlreiche weitere Länder, darunter Frankreich und Deutschland, boten ihre Hilfe an. Auch das Außenministerium bot „bestmögliche Unterstützung“ an. Das Österreichische Rote Kreuz (ÖRK) betonte, Experten seien „zur Entsendung nach Italien einsatzbereit“. Außerdem wurde um Spenden gebeten.
Spendenmöglichkeit
Hilfsorganisationen bitten um Spenden für die Bebenopfer:
- Rotes Kreuz: IBAN: AT57 2011 1400 1440 0144 und online, Kennwort: Katastrophenhilfe
- Samariter-Bund: IBAN: AT04 1200 0513 8891 4144, Kennwort: Erdbeben Italien
Besonders bebengefährdet
In Europa ist Italien neben Griechenland besonders erdbebengefährdet. Unter dem Land bewegt sich ein etwa tausend Kilometer langer Keil der afrikanischen Platte mehrere Meter im Jahrhundert nach Norden und drückt gegen die Alpen unter die eurasische Platte.
Dabei können verheerende Kräfte frei werden. So starben 1908 in Messina auf Sizilien und in Südkalabrien mehr als 100.000 Menschen. Mindestens 3.000 Menschen wurden im November 1980 bei Erdstößen in Neapel und hundert weiteren Orten der Region Kampanien getötet. Im April 2009 kamen mehr als 300 Menschen ums Leben, als in der mittelitalienischen Region Abruzzen mit ihrer Hauptstadt L’Aquila die Erde bebte.
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