Themenüberblick

Menschen greifen zu drastischen Mitteln

Mit einer Nahrungsmittelknappheit herrschen in Venezuela Zustände, die an Kriegszeiten erinnern. Durch eine lange anhaltende Krisenspirale aus Misswirtschaft, Inflation und Politmisere geriet das Land an den Rand des völligen Zusammenbruchs.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

„Wir haben Hunger“: In Venezuela hallt der Schlachtruf der Demonstranten inzwischen regelmäßig wider. Selbst in den Hochburgen der Sozialisten wächst der Widerstand gegen Präsident Nicolas Maduro. Es fehlt an Nahrung, Energie, Medikamenten.

Plünderungen nach Rationierung

Die Versorgung wird stark rationiert, immer wieder kommt es zu Plünderungen. Zuletzt vergriffen sich offenbar hungernde Menschen sogar an einem Zoopferd. Im Bezirk Caricuao in Caracas wurde das Tier zerstückelt und ausgeweidet aufgefunden. Und das, obwohl die Zootiere selbst kaum mehr mit Nahrung versorgt werden können, 50 Tiere seien im Zoo schon verhungert, sagte eine Mitarbeiterin.

Venezuela weist die größten Ölreserven der Welt nach. Dennoch stürzt das Land von einer Krise in die nächste. Stromknappheit, Nahrungsmittelnot, Politmisere: Es gibt viele Gründe für die Venezolaner, auf die Straße zu gehen.

Weltweit höchste Inflation

Die Devisen sprudeln längst nicht mehr ins Land, so wie in den goldenen Zeiten des Sozialismus unter Hugo Chavez, Maduros Vorgänger. Etwa 95 Prozent der Deviseneinnahmen speisen sich aus dem Verkauf von Erdöl. Mit dem eingebrochenen Ölpreis brach auch die Wirtschaftskrise über Venezuela herein. Hatte das Land im Jänner 2015 noch 850 Millionen Dollar damit eingenommen, waren es im Jänner 2016 nur noch 77 Millionen.

Venezuelas Währung, der Bolivar, ist quasi wertlos geworden. Die Inflation erreicht nach Einschätzung des Internationalen Währungsfonds (IWF) in diesem Jahr voraussichtlich 700 Prozent. Das wäre der weltweit höchste Wert. Die Preise für manche Nahrungsmittel haben sich verzehnfacht.

Tauschhandel im Netz

Bei der Nahrungsbeschaffung müssen die Menschen kreativ werden. Die Versorgung stockt, die Regale bleiben allzu oft leer. Schlange stehen vor dem Supermarkt gehört inzwischen zum Alltag. In dem südamerikanischen Land etablierte sich inzwischen ein reger Tauschhandel. Via Whatsapp und Facebook versuchen die Leute, an das Nötigste zu kommen. Inzwischen übertraten auch mehr als 100.000 Venezolaner die Grenze zu Kolumbien, um ins Nachbarland zu gelangen. Eine brenzlige Situation: Die Menschen hatten die Grenzsperren durchbrochen, um Essen kaufen zu können.

Menschen stellen sich vor einem Supermarkt in Caracas an

Reuters/Carlos Garcia Rawlins

Alltägliches Bild: Schlange stehen vor dem Supermarkt

Dabei galt Venezuela einst als Vorbild bei der Hungerbekämpfung. Landesweite Schulspeisungen und staatlich subventionierte Lebensmittelmärkte trugen ihren Teil dazu bei. Üppige Sozialreformen wurden durch die Öleinnahmen finanziert. Nun reagierte die Regierung auf Knappheit und Proteste mit der Verhängung des wirtschaftlichen Notstands, der seit Jänner schon mehrmals verlängert wurde. Damit kann die Staatsspitze zum Beispiel verlangen, dass öffentliche und private Firmen ihre Mitarbeiter für Feldarbeit abstellen.

Notfalls mit Waffengewalt

Doch damit nicht genug: Die Regierung hat per Dekret auch ihre Befugnisse deutlich erweitert. Präsident Maduro ermächtigte das Militär und von den Sozialisten kontrollierte Bürgerwehren, notfalls mit Waffengewalt die Lebensmittelversorgung im Land sicherzustellen. Diese örtlichen Bürgerwehren haben nunmehr das Recht, Armee und Polizei „bei der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung“ zu unterstützen.

Unternehmer, Firmen und Nichtregierungsorganisationen mit Verbindungen ins Ausland werden verstärkt kontrolliert; ihre Vermögen könnten eingefroren werden. Der Zugang zu Gütern der Grundversorgung kann unter staatliche Kontrolle gestellt werden, Enteignungen werden ermöglicht. So übernahm Venezuela etwa nach dem Rückzug des US-Hygieneartikelkonzerns Kimberly-Clark selbst einen Produktionsstandort für Windeln und Toilettenpapier.

Referendum unter Zeitdruck

Die Opposition in Venezuela versucht alles, um Maduro aus dem Amt zu jagen. In ihren Augen sind 17 Jahre Sozialismus schuld an Misswirtschaft und Rezession im Land. Seit Monaten wird um ein Referendum zur Amtsenthebung gerungen, etliche bürokratische Etappen sind dabei zu überwinden. Und der sozialistisch kontrollierte Wahlrat CNE zögere das Prozedere hinaus, so der Vorwurf.

Polizisten und Demonstranten in Caracas

APA/AFP/Juan Barreto

Protest in Caracas: Die Opposition will ein Referendum gegen Maduro durchsetzen

Das könnte einen guten Grund haben: Findet die Volksabstimmung nach dem 10. Jänner 2017 statt, würde im Falle einer Niederlage Maduros sein Stellvertreter, ebenfalls ein Sozialist, das Amt übernehmen. Damit wäre ein vorzeitiger Machtwechsel vom Tisch. Findet das Referendum davor statt, müsste innerhalb eines Monats neu gewählt werden. Rund 60 Prozent der Venezolaner gaben in Umfragen an, in einem Votum gegen Maduro zu stimmen, berichtete das „Wall Street Journal“. Ob genügend gesammelte Stimmen gültig sind, um das Referendum zu beantragen, verkündet der CNE am Montag.

Links: