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Nach der Sommerpause möglich

Die EU-Kommission ist ungeachtet der Entwicklung in der Türkei nach dem gescheiterten Militärputsch, der Verhaftungswelle und dem Verhängen des Ausnahmezustands zuversichtlich über die Beziehungen zu Ankara betreffend der Visa-Liberalisierung und Umsetzung des Flüchtlingsdeals. Ein Sprecher sagte am Freitag, eine Vereinbarung über die Visa-Sache sei nach der Sommerpause möglich.

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Bevor es zu Reiseerleichterungen für türkische Bürger kommt, verlangt die EU unter anderem eine Entschärfung der Anti-Terror-Gesetze, damit diese nicht zur Unterdrückung der Meinungsfreiheit missbraucht werden können. „Wir hoffen auf eine Vereinbarung, die den türkischen Behörden erlaubt, mit der Definition des Terrors so fortzuschreiten, dass Ankara zwar mit dem Terrorphänomen umgehen kann, aber ohne Auswirkungen auf Leute wie Journalisten, Lehrer oder Wissenschaftler. Wir hoffen, das kann nach der Sommerpause erreicht werden“, so der Sprecher.

Weiter „sicheres Drittland“

Der EU-Türkei-Flüchtlingsdeal sollte weiter umgesetzt werden. Er hoffe, dass die türkische Seite ihre Verpflichtungen erfülle, sagte der Sprecher. Die EU-Kommission betrachte die Türkei weiterhin als sicher für Migranten. Auf der Einstufung als sicheres Drittland beruht die Flüchtlingsvereinbarung mit der Türkei, wonach die Athener Regierung Migranten von den griechischen Inseln in die Türkei zurückschicken kann. Die EU-Kommission behalte die Situation in der Türkei aber im Auge und stehe im Kontakt mit dem UNO-Flüchtlingskommissar und dem Europarat.

„Das ist ein Bereich, in dem wir nicht improvisieren oder alleine eine Entscheidung treffen“, sagte der Sprecher. „Auf dem Gebiet der Türkei sind derzeit fast drei Millionen syrische Flüchtlinge, und wir haben keine Anzeichen, dass sie nicht korrekt behandelt werden.“ Auch die türkischen Pläne für eine teilweise Aussetzung der Europäischen Menschenrechtskonvention nahm die EU-Kommission gelassen zur Kenntnis. Nach Einschätzung der Behörde erfülle das Land die nötigen Voraussetzungen.

Berlin schließt Beitrittskapitel aus

Die aktuelle Lage in der Türkei hat nach Auffassung der deutschen Bundesregierung auch Auswirkungen auf den Fortgang der EU-Beitrittsverhandlungen des Landes. „Im Augenblick ist es aus Sicht der Bundesregierung nicht denkbar, dass neue Beitrittskapitel geöffnet werden“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Freitag in Berlin. Er äußerte sich auch erneut besorgt über „repressive Maßnahmen“ und „körperliche Gewalt“ gegen Menschen, die mit dem gescheiterten Militärputsch vom vergangenen Freitag in Verbindung gebracht werden.

Grundsätzlich stellt Berlin den EU-Beitrittsprozess der Türkei aber nicht infrage. Allerdings spielten in den von der EU geführten ergebnisoffenen Verhandlungen „rechtsstaatliche Fragen eine ganz entscheidende, zentrale Rolle“, sagte Seibert. Insofern müsse man sehen, „wie sich die Dinge in der Türkei entwickeln“.

Zur Ausrufung des Notstandes sagte Seibert, diese Möglichkeit sei in der türkischen Verfassung vorgesehen. Auch die mit dem Notstand verbundene Aussetzung der Menschenrechtskonvention sei zulässig, „soweit es die Lage unbedingt erfordert“. In einer gemeinsamen Erklärung der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini und des österreichischen EU-Erweiterungskommissars Johannes Hahn hatte es zuvor geheißen, die eingeleiteten Maßnahmen im Bereich von Bildung, Justiz und Medien seien nicht akzeptabel.

Ankara weist Bedenken wegen Todesstrafe zurück

Die türkische Regierung wollte sich unterdessen bei der Entscheidung über eine Wiedereinführung der Todesstrafe nicht von der EU leiten lassen. Justizminister Bekir Bozdag sagte am Freitag dem Sender CNN Türk, das Volk verlange die Todesstrafe. Das werde auch in Betracht gezogen. „Wir werden diese Forderung auf der Grundlage des Rechts prüfen, nicht auf der Grundlage dessen, was die EU sagt.“

In der EU war die Debatte über die Todesstrafe auf scharfe Kritik gestoßen. „Die EU erinnert daran, dass die unmissverständliche Zurückweisung der Todesstrafe ein wesentlicher Bestandteil des gemeinsamen Rechtsbestandes der Union ist“, sagten etwa die Außenminister der Union. Mehrere EU-Politiker machten zudem deutlich, dass eine Wiedereinführung der Todesstrafe ein Ende der Beitrittsgespräche mit der Türkei bedeuten würde.

„Einführung der Todesstrafe ist eine rote Linie“

Für Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) hat die Türkei, spätestens wenn sie die Todesstrafe tatsächlich einführt, keine EU-Beitrittsaussichten mehr.

Als „inakzeptabel“ bezeichnete auch Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) die Maßnahmen der türkischen Regierung wie etwa massenhafte Entlassungen und „Säuberungen“. In den Beitrittsverhandlungen der EU mit der Türkei gebe es „rote Linien“, sagte Kurz in der ZIB2 am Donnerstagabend. Dazu gehörten die Wiedereinführung der Todesstrafe, Behördenwillkür und die Verfolgung politisch Andersdenkender. Kurz kritisierte die „immer autoritärere“ Haltung der türkischen Regierung und die Schwächung des Rechtsstaates. Bei Überschreitung dieser roten Linien gebe es für die Türkei „keinen Platz in der EU“.

Pochen auf Menschenrechte

Konstitutionelle Ordnung und die internationalen Menschenrechte müssten respektiert werden, forderte UNO-Chef Ban Ki Moon in einer in New York verbreiteten Mitteilung. Dazu gehörten unter anderem Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und die Unabhängigkeit des Rechts- und Gerichtswesens. Er hoffe zudem, sagte Ban weiter, dass es über die Implementierung des Ausnahmezustands volle Transparenz geben werde.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International warnte am Donnerstag vor einem Rückschlag für die Menschenrechte im Land. Der Ausnahmezustand dürfe nicht als Vorwand genutzt werden, um weiter gegen die Meinungsfreiheit oder den Schutz gegen willkürliche Festnahmen und Folter vorzugehen.

OSZE bietet Prozessbeobachtung an

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bot am Freitag die Beobachtung von Prozessen gegen mutmaßliche Putschisten in der Türkei an. „Wir machen das in vielen Ländern, so wie wir auch Wahlen beobachten“, sagte der Direktor des OSZE-Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte, Michael Georg Link, am Freitag dem RBB-Inforadio. Die teilweise Aussetzung der Menschenrechtskonvention in dem Land bezeichnete er als ernstes Signal.

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