Wehrhafter Ziervogel
Schwäne und Menschen teilen in Mitteleuropa eine lange gemeinsame Geschichte. Ganz frei von Spannungen ist ihr Verhältnis aber nicht. Alljährlich im Sommer machen Meldungen über Angriffe von Schwänen nahe Flüssen, Teichen und Seen oder auch in Parks die Runde.
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Erst unlängst griff ein Schwan eine 72-Jährige beim Schwimmen in einem Badesee im deutschen Wilhelmshaven an. Die Frau blieb bei der Attacke unverletzt, traue sich aber nicht mehr ins Wasser, berichtete die „Wilhelmshavener Zeitung“. Ihr Gatte sei seit dem Vorfall noch ein paarmal im Wasser gewesen - zu seinem eigenen Schutz habe er dabei einen Besen mitgenommen, so das Blatt.
Zum Ziel von Schwanenattacken werden aber nicht nur Badegäste: Im Mai veröffentlichte die „Hamburger Morgenpost“ das Video eines Leserreporters, auf dem zu sehen ist, wie ein Schwan ein Gänseküken ertränkt. In der deutschen Kleinstadt Eberbach wiederum soll ein Schwan Medienberichten vom April zufolge Autos auf einem Parkplatz am Ufer des Neckar beschädigt haben.
Angst und Schrecken in zweiter Generation
Zudem gibt es sogar Meldungen über tödliche Schwanenangriffe auf Menschen. In einem Fluss in Lettland soll ein Schwan im Vorjahr einen Schwimmer so lange attackiert haben, bis der 32-Jährige ertrank. Laut einem Bericht der lettischen Nachrichtenagentur BNS war er seiner schwangeren Freundin zu Hilfe gekommen, die zuvor von dem Tier angegriffen worden war.
Im August 2014 schaffte es Schwan Asboy in die überregionalen Ausgaben der britischen Zeitungen. Der Vogel war auf dem Fluss Cam in der Universitätsstadt Cambridge auf Boots- und Kajakfahrer losgegangen. „Er ist der aggressivste Schwan, den ich je gesehen habe“, zitierte der „Daily Telegraph“ einen Anwohner. Das Tier habe sogar versucht, die Ketten durchzubeißen, an denen die Boote vertaut waren.
Was das Interesse der Medien aber eigentlich hervorrief, war Asboys Stammbaum: Schon sein Vater Mr. Asbo hatte Angst und Schrecken auf der Cam verbreitet. 2012 war er, nachdem er bei Angriffen mehrere Personen verletzt hatte, schließlich in ein 60 Meilen weit entferntes Habitat umgesiedelt worden.
Die Mär vom aggressiven Schwan
Wenn in hiesigen Gefilden von Schwänen die Rede ist, sind so gut wie immer Höckerschwäne (Cygnus olor) gemeint. Sie gehören zu den größten flugfähigen Vögeln der Welt. Ausgewachsene Exemplare werden bis zu 160 Zentimeter groß und 14 Kilogramm schwer, bei einer Flügelspannweite von über zwei Metern. Ihren orangefarbenen Schnabel ziert ein schwarzer Höcker.
Ob ihrer Größe und Wehrhaftigkeit haben die Wasservögel in Europa kaum natürliche Feinde, sagt der Zoologe Richard Zink von Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie der Vetmed-Uni Wien gegenüber ORF.at. Allen Schreckensmeldungen zum Trotz sind Schwäne eigentlich keineswegs aggressive Tiere. Im Gegenteil: Schwäne seien nicht einmal besonders neugierig, so Zink, der gemeinsam mit Kollegen das Zusammenleben von Tier und Mensch in Ballungsräumen erforscht und einer der Köpfe hinter der Website Stadtwildtiere.at ist.
Dass sich Schwäne an Gewässern Menschen nähern, habe schlicht damit zu tun, dass sie vom Menschen gefüttert werden. Für die Tiere lohne es sich, Badegäste und Spaziergänger „abzuklappern“, sagt Zink. Meist finde sich ein Spaziergänger oder ein Badegast, der einen Happen lockermacht.
Schön anzuschauen und äußerst schmackhaft
Ohne den Menschen gebe es den Höckerschwan hierzulande wahrscheinlich nicht. Das ursprüngliche Verbreitungsgebiet der Tiere beschränkte sich auf Nordosteuropa und Teile Asiens. Die Population in Mitteleuropa geht auf ausgewilderte Exemplare zurück. Bereits im Mittelalter waren die Vögel nicht nur beliebter Aufputz für Parks, sondern auch eine Fleischquelle. Erst der Import des Truthahns aus Amerika verdrängte den Schwan von den Speisekarten.
Die Schwanenzucht war einst ein Privileg der Monarchen. Dass in Großbritannien alle unmarkierten Schwäne dem Königshaus gehören, hat sich seit dem 12. Jahrhundert bis heute nicht geändert. Queen Elizabeth II. erhebt aktuell aber nur in bestimmten Abschnitten der Themse Anspruch darauf. In ebenjenen Bereichen wird die Anzahl der Tiere regelmäßig vom royalen Schwanenzähler ermittelt - auch dieses Amt gibt es seit dem Mittelalter.
Die „heikelste Phase“ des Jahres
Aber zurück von der Themse an heimische Gewässer wie die Alte oder Neue Donau: Dort hat die Schwanenpopulation in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen. Als Hauptgrund hierfür sieht Zink die Fütterung der Tiere. Je mehr Schwäne, desto mehr potenzielle Konflikte. Die gute Nachricht: Die „heikelste Phase“ des Jahres sei schon lange vorbei, sagt Zink, da die Schwäne ihr „Brutgeschäft“ bereits im März beginnen.
Das Schützen von Nest und Nachwuchs ist der Hauptgrund, warum sich Schwäne mit Menschen und Tieren anlegen. Die Wasservögel verfügen über einen außergewöhnlichen Familiensinn. Schwanenpaare bleiben einander ein Leben lang treu. Die Jungtiere werden erst nach einem halben Jahr selbstständig. Das mache die Aufzucht der Küken so mühevoll, sagt Zink. Entsprechend wertvoll sei der Nachwuchs für die Schwäne - und entsprechend hartnäckig verteidigen sie ihn.
Abstand halten
Angriffe von Schwänen erfolgen nicht aus heiterem Himmel. Die Tiere kündigen es an, „wenn ihnen etwas nicht passt“, sagt Zink. So beginnen sie unüberhörbar zu fauchen, beginnen ihre Flügel aufzustellen, machen sich größer und plustern ihr Gefieder auf. „Das sind untrügliche Kennzeichen, die man nicht missachten sollte“, so Zink, „schon gar nicht, wenn man schwimmt.“ Im Wasser seien uns die Vögel nämlich deutlich überlegen.
Im Fall eines Angriffs sollten Badegäste die Ruhe bewahren. Zink rät zu einem kontrollierten Rückzug. Die wichtigste Verhaltensregel ist es dem Zoologen zufolge aber, sich von den Tieren fernzuhalten - auch wenn auf dem Wasser kreuzende Schwanfamilien wunderschön anzuschauen seien.
Philip Pfleger, ORF.at
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