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Mehrere Festnahmen im Umfeld des Täters

Der mutmaßliche Attentäter von Nizza, Mohammed Lahouaiej Bouhlel, soll im Auftrag der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) gehandelt haben. Zumindest behauptete das am Samstag die „Nachrichtenagentur“ Amaq News Agency - und die ist das Propagandasprachrohr der Extremistengruppe.

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Französische Medien wie „Le Monde“ und „Le Figaro“ zitierten Amaq mit den Worten, der mutmaßliche Attentäter sei „ein Soldat des Islamischen Staats“ gewesen. Allerdings: Wie der „Figaro“ anmerkte, gebe es nach aktuellem Stand noch keine Belege der französischen Ermittlungsbehörden für eine tatsächliche Verbindung des Frankotunesiers zum IS.

Trotzdem hatte sich schon am Freitag auch Ministerpräsident Manuel Valls in einem Interview mit dem Sender France 2 überzeugt gezeigt: Der Täter habe wohl „in der einen oder anderen Form“ Kontakt zum radikalen Islam gehabt. Er sei sich sicher, dass es sich bei dem Angriff um einen Akt des Terrors handle.

Widersprüchliche Lesarten der Tat

Dieser Einschätzung hatte allerdings vorerst Innenminister Bernard Cazeneuve widersprochen: Eine Verbindung zum radikalen Islam könne gegenwärtig nicht bestätigt werden, sagte er dem Sender TF1. „Es handelt sich um eine Einzelperson, die den Geheimdiensten nicht für Aktivitäten mit Verbindungen zum radikalen Islam bekannt war.“

Karte zeigt Anschlagsort in Nizza

Grafik: Omniscale/OSM/APA/ORF.at; Quelle: New York Times

Staatsanwalt Francois Molins erkannte wiederum eindeutige Hinweise: „Die Art des Vorgehens entspricht aber weitestgehend den Mordaufrufen terroristischer Organisationen in Zeitschriften und Videos.“ Die Ermittlungen konzentrierten sich darauf, ob der Täter einer Extremistenorganisation angehört habe und Komplizen gehabt habe.

Offenbar gehen die Behörden davon aus. Wie die französische Nachrichtenagentur AFP berichtete, wurden inzwischen zumindest fünf Personen aus dem Umfeld des mutmaßlichen Attentäters zur Vernehmung festgenommen. Zuvor hatte auch Präsident Francois Hollande bereits von einem eindeutigen „terroristischen Charakter“ der Tat gesprochen, er berief für Samstag erneut das Sicherheitskabinett ein. Vorwürfe, die Sicherheitskräfte hätten versagt, wies Valls zurück.

Zuvor nicht als Islamist unter Verdacht

Fest steht jedenfalls, dass Lahouaiej Bouhlel, der am Donnerstagabend während der Feiern zum französischen Nationalfeiertag mit einem gemieteten Lastwagen in eine Menschenmenge an der Strandpromenade von Nizza gerast war, weder den französischen Geheimdiensten noch seinem persönlichen Umfeld als Anhänger des radikalen Islamismus bekannt war. Er fand sich in keiner entsprechenden Datei, wie auch Staatsanwalt Molins bestätigte.

Ausweiskopie von Mohamed Lahouaiej Bouhlel

APA/AFP/French Police Force

Faksimile des Ausweises von Lahouaiej Bouhlel

Dafür war er aber laut Molins Polizei und Justiz seit 2010 wegen zahlreicher Drohungen, Gewalttaten, Diebstähle und Sachbeschädigung bekannt. Erst im März wurde Lahouaiej Bouhlel, der als Lieferant arbeitete, zu einer sechsmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt - wegen einer gewaltsamen Auseinandersetzung.

„Er betete nicht, er fastete nicht, er trank Alkohol“

Dabei ging es nach Angaben der französischen Behörden um einen Streit nach einem Verkehrsunfall, bei dem der Mann eine Holzpalette auf seinen Kontrahenten geworfen habe. Nachbarn berichteten, dass er teilweise sehr aggressiv gewesen sei und seine Frau - sie befindet sich mittlerweile in Polizeigewahrsam - misshandelt habe. Generell wurde er als schweigsam und verschlossen beschrieben.

Sein Vater sagte gegenüber AFP, dass sein Sohn zwischen 2002 und 2004 auch einen Nervenzusammenbruch erlitten habe. „Er wurde cholerisch, er schrie, schlug alles kaputt, was er fand“, sagte Mohammed Mondher Lahouaiej Bouhlel an seinem Wohnort im Osten Tunesiens. Er versicherte aber, dass sein Sohn nicht religiös gewesen sei. „Er betete nicht, er fastete nicht, er trank Alkohol und nahm sogar Drogen“, sagte der Vater.

Mehrere Razzien in Nizza

Den Angaben des Staatsanwalts zufolge wurde im Lkw ein Ausweis gefunden. Das Fahrzeug habe Lahouaiej Bouhlel am 11. Juli gemietet. Der spätere Täter sei allein mit dem Fahrrad gekommen, der Leihvertrag sei bis 13. Juli abgeschlossen worden, einen Tag vor dem Anschlag. Das Fahrrad sei im Laderaum des Lkws sichergestellt worden.

Notrufnummer aktiviert

Die Zentrale für Opferhilfe im französischen Außenministerium richtete nach der Attacke eine Notrufnummer für Angehörige ein. Die Nummer lautet +33143175646. In Österreich ist das Bürgerservice des Außenministeriums unter 0501150-4411 erreichbar.

Am Freitag fanden in Nizza mehrere Polizeioperationen statt. Durchsucht wurde auch die Wohnung des mutmaßlichen Attentäters. Nur wenige Meter von der Wohnung entfernt nahm ein Entminungsteam seine Arbeit auf. Ziel des Einsatzes seien Mietwagen, berichtete die Regionalzeitung „Nice-Matin“. Zwei umliegende Gebäude seien evakuiert worden. Laut der Zeitung wurde ein verdächtiges Paket gesprengt. Die Nachrichtenagentur AP berichtete, dass auch der Flughafen von Nizza kurzzeitig geräumt wurde. Ursache für den Einsatz sei wahrscheinlich ebenfalls ein verdächtiges Paket gewesen, meldete die Tageszeitung „Liberation“.

In feiernde Menge gerast

Der Anschlag hatte sich am Donnerstagabend gegen 23.00 Uhr während des traditionellen Feuerwerks zum Nationalfeiertag auf der berühmten Uferstraße Promenade des Anglais ereignet. Auf dieser sollen sich zum Zeitpunkt des Attentats an die 30.000 Personen aufgehalten haben. Der Täter raste mit einem 19 Tonnen schweren Lkw durch die Menschenmenge und konnte erst nach zwei Kilometern durch Schüsse der Polizei gestoppt werden.

Der Pariser Eiffelturm leuchtet in Gedenken an die Opfer von Nizza in den Farben der französischen Flagge Blau-Weiß-Rot. Die Beleuchtung werde während der gesamten dreitägigen Staatstrauer bleiben, wie die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo sagte. Präsident Hollande hatte am Freitag die Staatstrauer angeordnet, die am Samstag begann. Bei dem Attentat wurden mindestens 84 Menschen getötet, 202 wurden verletzt, darunter 52 schwer.

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