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App bringt Freude, Chaos und Geldregen

Seit Anfang Juli sorgt die Smartphone-App „Pokemon Go“ online und offline für Aufregung. Es gilt wieder, alle Pokemon zu fangen - dabei werden in dem Augmented-Reality-Spiel (AR) erstmals die Grenzen zwischen der realen Welt und der virtuellen Entdeckungsreise im Pokemon-Universum durchbrochen.

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Das Spielprinzip ist einfach: Der Spieler bewegt sich mit aktivierter Standortermittlungen durch die Welt. Auf seinem Smartphone sieht er eine grobe Karte seiner Umgebung, die auf Geodaten von Google Maps basiert. Auf ihr begegnet der Spieler während der Spaziergänge Pokemon, die sich via „Swipe“ einfangen lassen. Außerdem gibt es Wegpunkte, sogenannte „Poke-Stops“, die der Spieler für Items sowie Erfahrungspunkte aktivieren kann.

„Kämpfen“ auf der Strudelhofstiege

Fängt man Pokemon, kommt das Herzeigefeature der App ins Spiel: Die Kamera des Smartphones schaltet sich ein, und man sieht auf dem Display das in die reale Umgebung projizierte Pokemon. An besonders prägnanten Orten - in Wien etwa auf der Strudelhofstiege - können Spieler ihre Exemplare außerdem in Arenen gegeneinander antreten lassen.

Pokemon

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Die AR-Funktion sorgt bei den Spielern für Entzücken

Spielmechanik und -prinzip orientieren sich stark an Niantics erstem Spiel „Ingress“. In beiden Spielen geht es grundsätzlich um das Durchbrechen der Grenzen zwischen Realität und Bildschirm. Die Umsetzung sorgt bei den Neo-Pokemon-Trainern für Freude: Das Spiel wurde in den USA allein für Android bisher fünf Millionen Mal aus dem offiziellen App-Store geladen. Laut dem Portal Similar Web wird die App von sechs Prozent aller US-Android-Nutzer verwendet - und überholt damit die Datingplattform Tinder.

Raubüberfälle mit „Lockmodul“

Nicht nur das Spiel selbst, sondern auch seine Begleiterscheinungen sorgten in den wenigen Tagen seit dem Release für spektakuläre Schlagzeilen. Wie die örtliche Polizei via Facebook mitteilte, wurden in O’Fallon im US-Bundesstaat Missouri vier Jugendliche im Alter zwischen 16 und 18 Jahren festgenommen, die mit Hilfe des Spiels Raubüberfälle verübt haben sollen.

Die Jugendlichen brachten offenbar an abgelegenen „Poke-Stops“ im Spiel sogenannte „Lockmodule“ an, die eigentlich Pokemon anlocken sollen, aber auch bei euphorischen Pokemon-Trainern funktionieren. Dort hätten die Täter mit einer Waffe auf ihre Opfer gewartet und sie ausgeraubt. Die Zeitung „USA Today“ berichtete von „zehn bis elf bewaffneten Raubüberfällen“ nach diesem Prinzip.

Leichenfund und Hausfriedensbruch

Einen gehörigen Schrecken dürfte auch eine 19-jährige „Pokemon Go“-Spielerin im US-Bundesstaat Wyoming bekommen haben. Die Frau war bei der Suche nach Pokemon auf eine Leiche in einem Fluss gestoßen, wie das Portal „County 10“ berichtete. Demnach habe die Polizei aber keine Hinweise darauf gehabt, dass der Tote Opfer eines Verbrechens geworden sei.

Für Chaos der harmloseren Art sorgte das Spiel wenige Tage nach seiner Veröffentlichung in einer australischen Polizeistation. Diese wird im Spiel als „Poke-Stop“ angezeigt - woraufhin ihr zahlreiche Spieler einen Besuch abstatteten. Es dürfte sich um so viele gehandelt haben, dass sich die Beamten dazu genötigt sahen, die Spieler via Facebook sanft darauf hinzuweisen, dass man die Polizeistation für die Aktivierung eines „Poke-Stops“ nicht betreten muss.

Auch Gerüchte über unerlaubte Betretungen und Hausfriedensbrüche machten bereits die Runde. Ein Spieler soll beim Eindringen in ein fremdes Grundstück sogar angeschossen worden sein. Im Übrigen lotst einen das Spiel teils zu einigermaßen abwegigen Orten, darunter Stripclubs, einem herrenlosen Hot-Dog-Wagen oder dem Hauptquartier einer neuseeländischen Hells-Angels-Gruppe.

Pokemon und Verkehr - ein gespanntes Verhältnis

Als Hoax erwies sich die Geschichte eines Mannes, der auf einem Highway eine Massenkarambolage ausgelöst haben soll, weil er unbedingt das Pokemon Pikachu fangen wollte. Der Themenkomplex „Go“ und Verkehr bleibt dennoch ein heißes Eisen: Je beliebter das Spiel wird, desto mehr wächst die Angst vor pokemonjagenden Smartphone-„Zombies“ im Straßenverkehr.

Da der Blick während des Spiels, also im Grunde genommen während eines Stadtspazierganges, am Smartphone kleben bleibt, besteht tatsächlich das Risiko für Verkehrs- und andere Unfälle. Nicht ohne Grund ruft das Spiel den User beim Start zur Wachsamkeit auf. Tatsächlich berichteten auf Twitter bereits mehrere Spieler von „Pokemon Go“-induzierten Verletzungen.

Viel Freude bei den Neo-Pokemon-Trainern

Was bei mangelnder Aufmerksamkeit zur Gefahr werden kann, ist allerdings auch einer der großen Benefits der App. Das Spiel belohnt Bewegung und Entdeckergeist - etwa indem durch weit zurückgelegte Strecken Eier mit zufälligen Pokemon ausgebrütet werden. „Pokemon Go“ habe mehr gegen Fettleibigkeit bei Kindern getan als Michelle Obama in acht Jahren, scherzte etwa ein humoristischer Twitter-Fancaccount dazu.

Auch Reisen an ungewöhnliche Orte könnten sich für Enthusiasten auszahlen: Gerüchten zufolge sollen extrem seltene Pokemon auch nur an speziellen Orten wie etwa dem Mount Everst erscheinen. Ein Wermutstropfen bleibt das Thema Datenschutz - das Spiel funktioniert mit Standortortung, wodurch sich leicht Bewegungs- und Tagesabläufe sowie Gewohnheiten protokollieren lassen.

Zurück auf die Beine

Die Euphorie der Spieler stoppt allerdings nicht den Spielspaß. Eine steigende Anzahl an Usern berichtet außerdem online über die positiven Auswirkungen des Spiels: „Das Spiel bewirkt Wunder bei meiner psychischen Verfassung, es gibt mir Ziele und Gründe, nach draußen zu gehen“, schrieb eine Twitter-Userin. „‚Pokemon Go‘ bringt Leute mit Depressionen, Ängsten und Platzangst wortwörtlich dazu, das Haus zu verlassen und unter Leute zu gehen“, hieß es von einem anderen.

Der große Teil der Begeisterung um „Pokemon Go“ speist sich unter anderem aus der euphorischen Nostalgie der heutigen Mittzwanziger, die mit Pokemon aufgewachsen sind und dem Hype von damals auch heute noch Feuer verleihen. Wenig verwunderlich ist deswegen auch, dass den Spielern vorerst nur die ursprünglichen und altbekannten 150 Pokemon aus der Roten und Blauen Edition begegnen, von denen Aficionados wohl auch heute noch alle Namen kennen. Es ist allerdings davon auszugehen, dass das süchtigmachende Spielprinzip des „Gotta catch ’em all“ („Schnapp sie dir alle“) auch vor anderen Altersgruppen nicht Halt macht.

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