Vom Bootshaus in die ganze Welt
Holz, Leinen und Draht - das waren die Materialien, aus denen ein Ingenieur namens William Edward Boeing gemeinsam mit George Conrad Westervelt ein Wasserflugzeug zu bauen gedachte. Das war 1915 am Lake Union in Seattle. Dort wollte Boeing eigentlich eine Jacht konstruieren, entdeckte aber schnell seine Faszination fürs Fliegen und funktionierte sein Bootshaus kurzerhand zu einer Flugzeugfabrik um.
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Sein Kollege Westervelt verlor bald das Interesse an dem gemeinsamen Projekt, und so stellte Boeing die ersten beiden Flugzeuge im Alleingang fertig. Den Jungfernflug mit der ersten Maschine führte Boeing im Juni 1916 höchstpersönlich durch, einen Monat später, am 15. Juli 1916, gründete er die Pacific Aero Products Company. Es sollte dauerte lediglich ein Jahr, bis die Firma in Boeing Aeroplane Company umbenannt wurde.

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William Edward Boeing gründete die Boeing-Flugzeugwerke
Sohn aus reichem Hause
Heute befindet sich der Firmensitz des Unternehmens in Chicago, die größte und wichtigste Produktionsstätte steht aber immer noch etwa 50 Kilometer nördlich von Seattle in Everett. Die legendäre „Red Barn“ („rote Scheune“), der erste Werksschuppen, steht als Meilenstein der Boeing-Historie im dortigen Luftfahrtmuseum. Dieses widmet sich das ganze Jahr über dem Jubiläum zeigt Flugzeuge aus der 100-jährigen Geschichte, berichtete die „Flug Revue“. Und diese Geschichte ist von Höhen und Tiefen geprägt, zunächst vom persönlichen Schicksal William Boeings.
1881 als Sohn deutscher Einwanderer in Detroit geboren, wuchs er in alles andere als bescheidenen Verhältnissen auf, sein Vater hatte es mit Bauholzhandel zu beträchtlichem Reichtum gebracht. Dennoch musste er früh den Tod des Vaters miterleben und wurde daraufhin von seiner Mutter auf ein Schweizer Internat geschickt. Als er im Jahre 1900 in die USA zurückkehrte, ließ er seinen Namen von Wilhelm Eduard Böing auf William Edward Boeing ändern und inskribierte an der renommierten Yale University.
1903 erklärte er sein Studium für beendet, ohne jemals einen Abschluss gemacht zu haben. Stattdessen stieg er in den Holzverarbeitungsbetrieb seines Vaters ein - das dort erworbene Know-how sollte ihm in Sachen Flugzeugbau noch wertvolle Dienste leisten, ebenso die 100.000 Dollar, auf die er dank seines Erbes zurückgreifen konnte, um sein eigenes Unternehmen zu gründen.
Erster Erfolg ein Jahr nach Firmengründung
Erfolg war Boeing schon sehr bald beschieden: Nur ein Jahr nach Firmengründung, 1917, traten die USA in den Ersten Weltkrieg ein und bestellten bei dem jungen Betrieb gleich 50 Flugzeuge zu Übungszwecken. Nach dem Krieg verringerte sich das Auftragsvolumen naturgemäß, Boeing widmete sich fürderhin Passagier-, Fracht- und Postflügen.

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Model 40 diente zur Postbeförderung in den 1920er Jahren
Letzteres sollte zunächst der erfolgreichste Geschäftszweig werden, allerdings nur, bis Boeing wie viele andere im Zuge des Luftpostskandals von 1934 seine diversen Kooperationen auflösen und sich von seiner eigenen Fluglinie trennen musste. William Boeing fasste das als persönliche Kränkung und Schädigung seines Rufs als Geschäftsmann auf und schied 1937 mit dem Gefühl, um sein Lebenswerk gebracht worden zu sein, aus seiner eigenen Firma aus.
Das Unternehmen selbst florierte, wenn auch aus wenig erfreulichen Gründen: Boeing wurde während des Zweiten Weltkriegs zu einem der größten Hersteller von Bombern für die USA. Traurige Berühmtheit erlangte dabei etwa die „Enola Gay“, ein Boeing-Langstreckenbomber vom Typ B-29, von dem am 6. August 1945 die Atombombe über der japanischen Stadt Hiroshima abgeworfen wurde.

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Eine B-29 wurde für den Abwurf der Atombombe über Hiroshima eingesetzt
Popkultureller Einfluss durch B-52
Auch in den Anfangsjahren des Kalten Kriegs war das US-Militär der Hauptauftraggeber des Flugzeugherstellers aus Seattle. Popkulturellen Eindruck hinterließ dabei die B-52, diente sie doch etwa in Stanley Kubricks Satire „Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben“ als Filmschauplatz.
Außerdem wurde der optischen Ähnlichkeit wegen zumindest in der Vergangenheit die Bienenkorbfrisur in den USA auch „B-52“ genannt. Die US-amerikanische New-Wave-Band The B-52s verdankt ihren Namen schließlich dem Umstand, dass ihre weiblichen Mitglieder in der Vergangenheit ebensolche Frisuren trugen.
Für einen Angriff auf die damalige Sowjetunion war die Reichweite einer B-52 allerdings zu gering. Deshalb entwickelte Boeing für die United States Air Force ein jetgetriebenes Tankflugzeug, aus dem Ende der 1950er schließlich die legendäre 707 hervorging und so das Jetzeitalter eingeläutet wurde. Boeings Aufstieg zum größten Produzenten von Zivilflugzeugen nahm hier seinen Anfang.
Konkurrenz aus Europa
Während ab 1970 mit dem französischen Flugzeughersteller Airbus anfangs milde belächelte Konkurrenz aus Europa auf den Plan trat, wusste Boeing US-amerikanischen Mitstreitern zu trotzen. Den einzigen verbliebenen heimischen Rivalen im Passagierjet-Geschäft, McDonnell Douglas, verleibte sich der Konzern bereits 1997 ein und zementierte so seinen Status als größter Flugzeugbauer der Welt.
Heute baut Boeing, bis in die 1980er Jahre auch Hersteller von Booten, neben Passagierflugzeugen auch Militärhubschrauber, Drohnen, Kampfjets, Schienenfahrzeuge, Satelliten und Komponenten für die Internationale Raumstation (ISS). Probleme gibt es dennoch genug. Anfang der Nullerjahre stieß man mit dem überaus schnellen, aber wenig wirtschaftlichen Sonic Cruiser bei sämtlichen Herstellern auf taube Ohren, wohl auch unter dem Eindruck der Anschläge vom 11. September 2001.

Boeing
Mit dem „Dreamliner“, dem Langstreckenjet 787, gab es anfangs Probleme
Zudem ging ein Großauftrag für ein Militärflugzeug an den damals relativ neuen Mitbewerber Lockheed Martin. Auch der Konkurrenzdruck durch den Erzrivalen Airbus, mit dem man sich das Duopol für Großraumflugzeuge teilt, machte den Amerikanern zu schaffen. Seit Jahresbeginn hat die Boeing-Aktie nicht gerade zur Freude der Anleger über zehn Prozent eingebüßt.
Sechs Jahre später als geplant auf dem Markt
Ebenfalls zu Jahresbeginn teilte Boeing mit, im Gegensatz zu Airbus in seinem derzeitigen Zustand nicht wettbewerbsfähig zu sein. Der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ („FAZ“) zufolge soll die Belegschaft in den Boeing-Werken im Bundesstaat Washington von heute 87.000 auf rund 79.000 schrumpfen, um wieder Fuß zu fassen und weiterhin Nummer eins zu bleiben.
Denn bei Kurz- und Mittelstreckenflugzeugen hat Airbus mittlerweile die Nase vorn. Im Langstreckensegment ist Boeing jedoch immer noch ungeschlagen. Der jüngste Spross war zwar ein Problemkind, kam sechs Jahre später als geplant auf den Markt und sorgte bei seiner Einführung schließlich mit technischen Pannen für Schlagzeilen. Mittlerweile verkauft sich der Langstreckenjet 787 „Dreamliner“ allerdings ganz gut.

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Die Maschine für US-Präsidenten, die „Air Force One“
Mit der 737 hat man überdies das meistgebaute strahlengetriebene Verkehrsflugzeug der Welt im Portfolio. Und damit noch mehr Exemplare dieses Flugzeugtyps hergestellt werden können, gedenkt Boeing in China ein Werk für die Endmontage der 737 zu bauen. Freilich nicht ohne Gegenleistung: Chinesische Leasingunternehmen wollen bis zu 250 Boeing 737 und 50 Langstreckenflugzeuge kaufen. Konkret soll die staatliche chinesische Fluggesellschaft Xiamen Airlines Interesse an 30 Maschinen vom Typ 737 MAX 200 für insgesamt 3,39 Milliarden Dollar haben.
Werbeeffekt „Air Force One“
Aufwind bekam Boeing zudem bei der heurigen Luftfahrtmesse im englischen Farnboroug mit einigen Großaufträgen. So bestellte unter anderem der russische Logistikkonzern Volga-Dnepr 20 Fracht-Jumbos vom Typ Boeing 747-8, und der deutsche Reisekonzern Tui orderte zehn Mittelstreckenjets vom Typ 737-MAX-8 sowie ein „Dreamliner“-Langstreckenflugzeug. Mit einigen anderen Bestellungen kommt Boeing so in Summe auf ein Auftragsvolumen im Gesamtwert von rund 13,5 Milliarden Dollar.
In erster Linie profitiert Boeing aber auch heute noch von US-Rüstungsaufträgen. Seit mit Franklin D. Roosevelt 1943 das erste Mal ein US-Präsident mit einem Flugzeug befördert wurde, griff die Air Force immer wieder auf Modelle von Boeing zurück, um den ersten Mann im Staat nebst Mitarbeiterstab und Familie zu transportieren. Seit 1990 hören zwei Boeing 747-200B auf den Rufnamen „Air Force One“. Ein Werbeeffekt, auf den Boeing wohl auch in Zukunft setzen kann.
Christian Kisler, ORF.at
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