Lektionen aus einer blutigen Geschichte
Der Slowene Milan Kucan und der Kroate Stipe Mesic, beide ehemalige Präsidenten ihrer Länder, sind Schlüsselfiguren und Zeitzeugen in der Geschichte des Zerfalls Jugoslawiens und in den Unabhängigkeitsbestrebungen ihrer Länder. Kucan war letzter KP-Chef Sloweniens, Mesic überhaupt der letzte amtierende Präsident der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien. Im Gespräch mit ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz für die „ZIB2 History“ nennen beide Gründe für den Zerfall Jugoslawiens.
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Beide richten auch den Blick nach vorne und stellten sich der Frage, was Europa gerade heute aus der blutigen Geschichte des Zerfalls des einstigen Vielvölkerstaates lernen könne.
„Meiner Ansicht nach beschäftigt sich die EU zu wenig mit dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien und mit dem gesamten Balkan, und die EU ist sich nicht bewusst, wie sensibel diese Region für ihre gesamte Sicherheit und Stabilität ist“, findet Kucan: „Natürlich ist die EU in Beschlag genommen mit anderen Fragen, die aktueller sind, etwa die Flüchtlingskrise oder die Krise in Griechenland.“
Die EU müsse aber mit einer grundlegenden Erörterung darüber beginnen, was sie ist, was ihre Ziele sind und welchen Platz sie in der Welt einnehmen wolle. „Viele weltweite Fragen entscheiden sich neben Europa oder nur unter sehr geringem Einfluss Europas, weil Europa nicht in der Lage ist, seine gemeinsamen Interessen zu formulieren“, ist Kucan überzeugt.
„Europa muss entscheiden können“
Von Jugoslawien habe Europa eigentlich einen sehr klaren Problemaufriss mitbekommen: „Ein Schlüsselproblem Jugoslawiens war das der unterschiedlichen wirtschaftlichen Entwicklung, das es auch in der EU gibt.“ Die EU habe keinen richtigen Mechanismus, der die Entwicklung weniger entwickelter Staaten beschleunige, um die besser entwickelten einzuholen.
„Das zweite gemeinsame Problem ist die Frage nach der Gleichberechtigung der Mitglieder und der Funktionalität der EU“, meint Kucan, der die Souveränitätsfrage als eine der ungelösten Aufgaben sieht: „Eine Integration der Außen-, Verteidigungs-, Sicherheits,- und Geldpolitik bedeutete den Souveränitätsverlust ihrer Mitglieder. In der EU schützen alle ihre Mitglieder diese Bereiche, obwohl sie gemeinsam leben und daran großes Interesse haben.“
Geschützt würden in der EU vor allem „die Entscheidungsmechanismen, die Entscheidungsmechanismen, die diese Aufgaben betreffen, die es, dass alle gleichberechtigt entscheiden, dass es ein Veto-Recht oder Mehrheitsbeschlüsse gibt.“ Jugoslawien habe bei dieser Frage ähnliche Probleme gehabt – und darauf werde die EU eine Antwort finden müssen.
Mesic: Was Europa lernen muss
Dass die EU aus dem Zerfall Jugoslawiens lernen könne, glaubt auch der Kroate Mesic, einst Weggefährte, später Widersacher von Ex-Präsident Franjo Tudjman: Die EU müsse ihre institutionellen Fragen lösen und insgesamt eine gemeinsame Geld- und Fiskalpolitik anstreben.
„Am wichtigsten ist aber, dass sich die EU verpflichten muss, die Staaten Südosteuropas so rasch wie möglich aufzunehmen. Denn die EU ist der elitärste wirtschaftliche und politische Club, den es heute auf der Welt gibt. Doch Europa kann nur vereint zwischen den anderen großen Spielern auf der Weltbühne bestehen“, glaubt Mesic.
Sollte sich Europa aufspalten, dann würde es kein Spieler mehr im weltpolitischen Match sein. „Europa muss vor allem wegen seiner Wirtschaftskraft vereint bleiben; wenn es sein menschliches Potenzial gemeinsam nutzt, ist Europa ein großer Spieler. Doch noch wichtiger ist, dass ein vereintes Europa Krieg als politisches Mittel ausschließt", hofft der kroatische Ex-Politiker.
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