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„Nicht klar, dass ich dabei sein muss“

Eines der bisher größten Beweisverfahren des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) hat Montagfrüh pünktlich begonnen. Das Gericht geht ausgehend von der Anfechtung der Hofburg-Stichwahl durch die FPÖ den Vorwürfen von Unregelmäßigkeiten bei der Auszählung von Briefwahlstimmen nach.

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Den Auftakt machte der Bezirk Innsbruck-Land. Die Wahlkarten wurden dort bereits vor dem gesetzlich vorgesehenen Termin geöffnet, die ungültigen aussortiert, die gültigen geöffnet und später ohne die Beisitzer der Parteien ausgezählt. Das wurde von Beisitzern von FPÖ und auch Grünen bestätigt. Problematisch fanden sie das Vorgehen nicht: „Dass ich dabei sein kann, war mir schon klar, aber nicht, dass ich muss“, sagte der FPÖ-Beisitzer bei der Anhörung.

Er habe keine Anhaltspunkte für eine Manipulation des Ergebnisses gesehen. Auch die grüne Beisitzerin gab an, zwischendurch nur kurz „vorbeigeschaut“ und den auszählenden Beamten vertraut zu haben: „Ich bin davon ausgegangen, dass das so passt. Wenn ein Jurist am Werk ist, wird das schon so stimmen.“ Ob diese Vorgehensweise rechtlich korrekt war, muss nun das Höchstgericht klären.

Vertreter aus 17 Bezirken geladen

Die Wahlordnung sieht vor, dass die Wahlkarten erst ab Montag, 9.00 Uhr, im Beisein der Beisitzer auf ihre Gültigkeit geprüft, dann vom Wahlleiter geöffnet und die darin enthaltenen Stimmzettel dann von der Wahlbehörde ausgezählt werden. Die FPÖ hatte ihre Anfechtung damit begründet, dass zumindest die Prüfung und Öffnung der Wahlkarten in 17 Bezirken bereits vor Montagfrüh erfolgt sei. Aus diesen Bezirken sind bis Donnerstag Vertreter zur Anhörung mit den 14 VfGH-Richtern geladen. Insgesamt werden 90 Zeugen befragt.

„Jede Hilfe wäre begrüßt worden“

Der Innsbrucker Wahlleiter betonte, dass die Vorgehensweise bereits 2013 in der Wahlbehörde beschlossen und am Wahlsonntag noch einmal besprochen worden sei. Der Wahlleiter argumentierte, dass, wenn man nicht früher mit der Sortierung begonnen hätte, die Auszählung der 15.000 Wahlkarten nicht zu bewältigen gewesen wäre. Die Auszählung habe aber erst am Montag begonnen. Verwehrt habe man den Beisitzern die Teilnahme an der Auszählung der Stimmen nicht: „Jede Hilfe wäre begrüßt worden.“

Der Wahlleiter sieht sich jedenfalls im Recht, weil die Nationalratswahlordnung dem Wahlleiter ermöglicht, selbstständig vorzugehen, wenn die anderen Mitglieder seiner Wahlbehörde „ungeachtet der ordnungsgemäßen Einberufung“ nicht erscheinen. Problematisch ist aber, dass dieser angebliche Beschluss 2013 nicht dokumentiert wurde. Die Beisitzer konnten sich an einen expliziten Beschluss nicht erinnern.

Großes Vertrauen

Auch in der Südoststeiermark gab es offenbar Unregelmäßigkeiten. Hier wurden alle Briefwahlstimmen bereits am Wahlsonntag bis Mitternacht ausgezählt - ohne Beisitzer. Nach Aussagen der FPÖ-Beisitzerin wurde diese am Montag bei der Auszählung abgewiesen, da die Auszählung bereits abgeschlossen gewesen sei. Die Landes-FPÖ habe dann alle Beisitzer telefonisch aufgefordert, an der Auszählung der Briefwahlstimmen teilzunehmen.

Der Bezirkshauptmann widersprach dieser Darstellung. Es sei ein Missverständnis gewesen. Wahlbeisitzer hätten selbstverständlich an der Auszählung teilnehmen dürfen. Die ÖVP-Wahlbeisitzerin meinte, dass sie keine Anhaltspunkte für Unregelmäßigkeiten gesehen habe. Das Protokoll, dass regelkonform ab Montagfrüh ausgezählt wurde, habe sie „überflogen“ und unterschrieben, „weil wir Vertrauen hatten“.

„War nicht meine Aufgabe“

Eine Zeugin aus dem Bezirk Villach-Stadt rechtfertigte sich, dass sie ein Protokoll unterschrieben habe, mit dem sie bestätigte, an der Auszählung der Wahlkarten ab Montagfrüh teilgenommen zu haben: „Man hat mir nur die Seite gegeben, die ich unterschreiben soll. Ich habe das nicht überprüft.“ Die Frage, ob es nicht üblich sei, den Text durchzulesen, bevor man es unterschreibt, beantwortete sie mit einem deutlichen „Nein“. Die Zeugin hatte auch nicht danach gefragt, die Wahlkarten zu überprüfen: „Soweit ich mich informiert habe, war das nicht meine Aufgabe.“

Ermittlungen gegen Beisitzer

Erwartet wird, dass sich einige der Zeugen der Aussage entschlagen, um sich nicht selbst zu belasten. Das Bundesamt zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung (BAK) ermittelt laut „profil“ gegen „bekannte und unbekannte Täter“ wegen des Verdachts auf Amtsmissbrauch und falsche Beurkundung und Beglaubigung im Amt. Einige Wahlbeisitzer sollen in eidesstaatlichen Erklärungen zur FPÖ-Wahlanfechtung Unregelmäßigkeiten bei der Auszählung der Wahlkartenstimmen bekundet haben, zuvor aber die ordnungsgemäße Auszählung per Unterschrift bestätigt haben.

Entscheidung bis 6. Juli?

Mit einem Erkenntnis des VfGH am Donnerstag kann nicht gerechnet werden. Denn anders als bei einem Strafprozess gibt der VfGH seine Entscheidung kaum je am Ende der Verhandlung bekannt. Strafgerichte haben bei umfangreichen Beweisverfahren außerdem meist Pausen zwischen Verhandlungstagen. Die Zeit hat der VfGH angesichts der für 8. Juli geplanten Angelobung nicht. Gleich wie beim Strafgericht, aber ungewohnt für die Höchstrichter wird allerdings die öffentliche Verhandlung sein.

Die 14 Verfassungsrichter werden sich nach der Anhörung aller Zeugen zu Beratungen zurückziehen. Aus dem VfGH hatte es zuletzt geheißen, dass man spätestens am 6. Juli eine Entscheidung präsentieren wolle. Auch das ist aber nur eine Absichtserklärung: Weder kann der VfGH wissen, was die Vernehmung der Zeugen ergibt - was allenfalls noch weitere Schritte im Beweisverfahren nötig macht -, noch gibt es Vorbilder für Verfahren dieses Ausmaßes.

VfGH als letzte Instanz

Bei Wahlanfechtungen ist der VfGH erste und letzte innerstaatliche Instanz zugleich. Die Höchstrichter werden deshalb alles daransetzen, dass die Entscheidung so unangreifbar wie nur irgend möglich sein wird. Das lässt einige bereits vermuten, dass es zu einer Wiederholung der gesamten Wahl kommen wird - bundesweit, weil die Briefwahlstimmen einer Bundespräsidentenwahl im Nachhinein nicht mehr ihren „Heimatwahlkreisen“ zuzuordnen sind, also nicht klar ist, wo sie „hingehören“.

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