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Befragungen bis Donnerstag

Mit 90 Zeugen möchte der Verfassungsgerichtshof (VfGH) klären, ob die Hofburg-Stichwahl vom 22. Mai wiederholt werden muss. VfGH-Präsident Gerhart Holzinger startete am Montag eines der größten Beweisverfahren des Gerichts. Bis Donnerstag soll die öffentliche Anhörung dauern.

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Beantragt wurde die Aufhebung und Wiederholung der Stichwahl von der FPÖ. Deren Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer war dem von den Grünen Alexander Van der Bellen knapp unterlegen. Die Zeugen werden zunächst von den Verfassungsrichtern befragt - alle 14 Richter können sich zu Wort melden. Danach haben die Anwälte der beiden Hofburg-Kandidaten die Möglichkeit, Fragen zu stellen.

Die erste Sitzung begann pünktlich um 8.30 Uhr unter großem Presseandrang, auch aus dem Ausland. Erwartet wird, dass sich einige der Zeugen der Stimme entschlagen, um sich nicht selbst zu belasten. Das Bundesamt zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung (BAK) ermittelt laut „profil“ gegen „bekannte und unbekannte Täter“ wegen des Verdachts auf Amtsmissbrauch und falsche Beurkundung und Beglaubigung im Amt. Einige Wahlbeisitzer sollen in eidesstaatlichen Erklärungen zur FPÖ-Wahlanfechtung Unregelmäßigkeiten bei der Auszählung der Wahlkartenstimmen bekundet haben, zuvor aber die ordnungsgemäße Auszählung per Unterschrift bestätigt haben.

Wahlaufhebung wäre für Sobotka „Blamage“

Unter Berufung auf diese Niederschriften der Wahlbehörden erklärte die Bundeswahlbehörde auch in ihrer Gegenschrift zur Anfechtung, dass die Stichwahl in allen 113 Stimmbezirken korrekt ausgezählt worden sei. Es gebe keine Hinweise auf Manipulationen, und ein Vorsortieren sei nicht rechtswidrig - daher sieht die Wahlbehörde in ihrer 14-seitigen Stellungnahme keinen Grund für eine Wiederholung.

Zeugen aus 20 Wahlbezirken

Für den ersten Tag sind Mitglieder der Bezirkswahlbehörden von Südoststeiermark, Innsbruck-Land, Kitzbühel, Villach-Stadt, Villach-Land und Schwaz geladen. Für Dienstag, Mittwoch und Donnerstag stehen Landeck, Wien-Umgebung, Hermagor, Hollabrunn, Wolfsberg, Freistadt, Liezen, Bregenz, Kufstein, Graz-Umgebung, Gänserndorf, Leibnitz, Völkermarkt und Reutte auf dem Plan.

Für Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) wäre eine Aufhebung der Wahl durch den VfGH eine „Blamage“. Er wies gegenüber „Österreich“ (Sonntag-Ausgabe) Fehler seines Ministeriums zurück: „Die Schlampereien sind bei Bezirks- oder in Gemeindewahlbehörden passiert, nicht bei uns.“

Anfechtung auf 152 Seiten

Auf 152 Seiten hatte Ex-Justizminister Dieter Böhmdorfer für die FPÖ dargelegt, warum die Briefwahl überhaupt verfassungswidrig sei. Damit dürfte die FPÖ beim VfGH keine Chancen haben, wurde doch schon in mehreren Erkenntnissen festgestellt, dass die Briefwahl eine zulässige Möglichkeit ist, die Wahlbeteiligung zu fördern. Völlig offen ist aber, ob die von der FPÖ behaupteten Gesetzwidrigkeiten bei der Auszählung der Briefwahlstimmen am Tag nach der Stichwahl eine Wiederholung erforderlich machen. In 94 von 117 Bezirkswahlbehörden habe es solche gegeben, behauptet die FPÖ: In 84 seien die Wahlkarten vorzeitig sortiert, in 17 verfrüht geöffnet, in elf auch die Stimmkuverts entnommen worden.

Zum vorgeschriebenen Start um 9.00 Uhr seien die Stimmen in vier Wahlkreisen bereits ausgezählt gewesen, in sieben hätten nicht zuständige Personen ausgezählt. Auf diese Angaben kam die FPÖ durch eine Umfrage unter Wahlbeisitzern (mittels Fragebogen), viele von ihnen hätten - steht in der Anfechtung - auch eidesstattliche Erklärungen abgegeben.

Auswirkungen auf Endergebnis?

Die Höchstrichter müssen nun zwei Fragen beantworten. In welchen Fällen könnte es - auch nur ansatzweise - dazu gekommen sein, dass die Wahlentscheidung einzelner Wähler untergegangen ist? Und wenn, ob es genügend solcher Fälle waren, damit das etwas am Wahlergebnis hätte ändern können? Van der Bellen lag am 22. Mai um 30.863 Stimmen vorne. Vorwürfe einer möglichen Wahlmanipulation bringt die FPÖ zwar medial vor, in der Anfechtung steht davon aber nichts.

Nur wenn sich aufgrund der behaupteten Fehler das Wahlergebnis ändern würde, müsste sich der VfGH detailliert mit den Inhalten der Anfechtung befassen. Laut Böhmdorfer wurden etwas mehr als 573.000 Wahlkarten vorzeitig sortiert und mehr als 58.000 Briefwahlstimmen von Unzuständigen ausgezählt. Dieser Vorgang, die Auszählung durch nicht befugte Personen, wäre der wohl schwerwiegendste Mangel.

Zeitplan unsicher

Mit einem Erkenntnis des VfGH am Donnerstag kann nicht gerechnet werden. Denn anders als bei einem Strafprozess gibt der VfGH seine Entscheidung kaum je am Ende der Verhandlung bekannt. Strafgerichte haben bei umfangreichen Beweisverfahren außerdem meist Pausen zwischen Verhandlungstagen. Die Zeit hat der VfGH angesichts der für 8. Juli geplanten Angelobung nicht. Gleich wie beim Strafgericht, aber ungewohnt für die Höchstrichter wird allerdings die öffentliche Verhandlung sein.

Die 14 Verfassungsrichter werden sich nach der Anhörung aller Zeugen zu Beratungen zurückziehen. Aus dem VfGH hatte es zuletzt geheißen, dass man spätestens am 6. Juli eine Entscheidung präsentieren wolle. Auch das ist aber nur eine Absichtserklärung: Weder kann der VfGH wissen, was die Vernehmung der Zeugen ergibt - was allenfalls noch weitere Schritte im Beweisverfahren nötig macht -, noch gibt es Vorbilder für Verfahren dieses Ausmaßes.

VfGH als letzte Instanz

Bei Wahlanfechtungen ist der VfGH erste und letzte innerstaatliche Instanz zugleich. Die Höchstrichter werden deshalb alles daransetzen, dass die Entscheidung so unangreifbar wie nur irgend möglich sein wird. Das lässt einige bereits vermuten, dass es zu einer Wiederholung der gesamten Wahl kommen wird - bundesweit, weil die Briefwahlstimmen einer Bundespräsidentenwahl im Nachhinein nicht mehr ihren „Heimatwahlkreisen“ zuzuordnen sind, also nicht klar ist, wo sie „hingehören“.

Das Anwaltsteam von Van der Bellen sieht im Ergebnis der Stichwahl eindeutig den Wählerwillen „korrekt abgebildet“. In der Stellungnahme für den VfGH, die der APA vorliegt, heißt es, dass zwar Regeln „in Einzelfällen unrichtig“ ausgelegt worden seien, das aber „keinerlei Einfluss auf das Wahlergebnis“ gehabt habe.

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