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Der Regenmantel als Milchflasche

554 Millionen Euro in drei Monaten: Das ist der Nettogewinn des spanischen Textilkonzerns Inditex (Zara, Bershka und sechs weitere Marken) laut der Quartalsbilanz von Mittwoch. Die Konkurrenz, allen voran Hennes&Mauritz (H&M), schwächelt hingegen weiter: Dort blieb das Quartal deutlich unter den Erwartungen. Was die Zara-Mutter anders macht als alle anderen, ist dabei kein Geheimnis.

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Inditex macht noch dazu seit Jahrzehnten das Gleiche, aber mehr und mehr davon: Die Produktionswege werden ständig kürzer, die nötigen Lager kleiner, die Reaktion auf die Wünsche der Kunden schneller und die Verlustposten damit weniger. Vor vier Jahren brüstete sich Zara noch, drei Wochen nach einer beliebigen Pret-a-Porter-Schau „Nachempfindungen“ der besten Stücke im Geschäft zu haben. Inzwischen steht man bei einer Woche.

Schneidern nach Wetterbericht

Die Verkürzung der Produktionswege erlaubt es dem Inditex-Konzern inzwischen sogar, die jeweils aktuellen Kollektionen auf den Wetterbericht hinschneidern zu lassen. Ein Blick in einheimische Filialen der großen Modeketten reicht zum Beweis: Während andere ihre luftig-leichte Sommermode anpreisen - auch weil sie gar keine andere Wahl haben -, hängen bei den Marken des Inditex-Konzerns derzeit Windjacken und Regenmäntel.

Fast alle Modeketten lassen weiterhin vor allem in asiatischen Ländern bei Fremdproduzenten fertigen. Diese verlangen Mindestabnahmemengen oder höhere Preise. Die Konzerne entscheiden sich angesichts des Preisdrucks für Mindestabnahmemengen. Lange Handelswege etwa mit Containerschiffen kommen dazu. Das alles bedeutet: Entscheidet sich eine der großen Modeketten für eine Kollektion, ist sie ihr auf Gedeih und Verderb „ausgeliefert“.

Realität und Marketing

Bei Inditex gibt es Kollektionen im herkömmlichen Sinn gar nicht mehr. Dort starten beliebige Stücke zu beliebigen Zeiten in kleinen Stückzahlen in den Geschäften und werden nachgeliefert, wenn die Kundschaft nachfragt. Stücke, die sich nach einer Woche nicht gut verkaufen, verschwinden. Angesichts der nur geringen Stückzahl kann sich Inditex das leisten - vor allem auch, weil die Fabriken dem Konzern selbst gehören.

Dass Inditex zu einem Gutteil in Europa und in nordafrikanischen Ländern und nicht in Asien fertigt, stellt der Konzern gern ins Licht ethischen Unternehmertums. Das ist Marketing. Tatsächlich geht es einmal mehr um kürzestmögliche Wege. Alle Dauerseller - etwa T-Shirts, klassische Denim-Hosen und anderes mehr - lässt Inditex ebenfalls dort fertigen, wo es billig ist. Zu Löhnen, die um keinen Deut besser als die der Konkurrenz sind.

Lauter Flaschen

Umso erstaunlicher ist das Beharren anderer Ketten - nicht nur aus dem Modebereich - auf ihrer althergebrachten Taktik, da Inditex mit seiner Firmenstrategie nicht das Rad neu erfunden hat. Wie auch bei den Designs für die Kleidung hat man sich dabei recht ungeniert anderswo inspirieren lassen, konkret vom Autohersteller Toyota, der der Taktik seinen globalen Aufstieg verdankt. Toyota hat die Idee seinerseits von Milchmännern.

Der Milchmann nach angloamerikanischem Modell liefert so viel Milch, wie leere Flaschen vor der Türe stehen, holt die leeren Flaschen ab und idealerweise auch unterwegs gleich die Rohmilch vom Bauern, die er dann in der Molkerei abgibt, wo er sich gleich wieder Nachschub holt, also: konstante Bewegung. In der Betriebswirtschaft heißt das Modell bis heute „Milk run“-Konzept. Alltag ist es etwa bei Fluglinien, wo beim Konkurrenzkampf seit Jahren die geringste Stehzeit der entscheidende Faktor ist.

Der richtige Riecher für Computer

Das zweite Standbein des Erfolgs bei Inditex ist die Onlineoffensive mit Augenmaß: Während man sich bei der Kleidung weiterhin „echte“ Geschäfte in teuren Innenstadtlagen leistet, läuft das Geschäft etwa mit Heimtextilien vor allem virtuell. Inditex hat allerdings den Vorteil eines jahrzehntelangen Vorsprungs: Schon 1976 stellte Firmenpatriarch Amancio Ortega den damals jungen Computerspezialisten Jose Maria Castellano an, heute Vizevorsitzender von Inditex.

Der heute 80-jährige Ortega hat sich zwar als Firmenchef zurückgezogen, ist aber entgegen seinen ursprünglichen Plänen weiterhin die bestimmende Kraft bei Inditex. Die Frage ist, ob die Firma ohne ihn ihr Tempo und ihre schnelle Reaktionsfähigkeit und damit ihren Erfolg behalten wird können. Dass diese Firmenphilosophie direkt mit ihm zu tun hat, ist offensichtlich - und das von Anfang an - bei der Erfindung der Marke Zara.

Ein lukrativer Buchstabendreher

Als sich Ortega, vom Laufburschen in einem Kleidergeschäft zum Hersteller von Bademänteln aufgestiegen, 1975 in A Coruna (La Coruna) erstmals an einer Boutique versuchte, wollte er sie „Zorba“ nennen, sich an den Erfolg des Films „Alexis Sorbas“ anlehnend. Als er herausfand, dass wenige Straßen weiter eine Bar mit demselben Namen aufsperrte, nahm er den Balken vom „b“, gab ihn zum „o“ und entsorgte den Rest, in anderen Worten: Zara. Es war der Grundstein für ein Privatvermögen von heute geschätzt 60 Milliarden Euro.

Lukas Zimmer, ORF.at

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