Mehr Übergriffe durch Sportler
Sexuelle Gewalt ist an den Colleges und Universitäten in den USA offenbar noch weiter verbreitet als bisher angenommen. In einer Umfrage gestand ein großer Anteil an Studenten, mindestens einmal eine Frau zum Sex genötigt zu haben - zum Teil auch mit körperlicher Gewalt.
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Eine Gruppe von US-Forscherinnen befragte 379 Studenten eines US-Colleges - weitere angefragte Hochschulen verweigerten trotz Anonymisierung der Daten und auch des Standorts eine Teilnahme. Die in der Fachzeitschrift „Violence Against Women“ Ende Mai veröffentlichte Studie belegte einmal mehr, dass vor allem die Sportler unter den Studenten vermehrt zu sexueller Gewalt gegen Frauen neigen.
Drohungen und physische Gewalt
Der Befragung zufolge gaben 54,3 Prozent der Sportler unter den Studenten an, mindestens einmal eine Frau zum oder beim Sex genötigt zu haben. Bei den Nichtsportlern waren es 37,9 Prozent. Rund ein Drittel der Sportler gab zu, die Partnerin gegen ihren Wunsch zum Sex überredet zu haben. Rund 40 Prozent gaben an, zum Sex ohne Kondom gedrängt zu haben. Jeweils zehn Prozent meinten sogar, physische Gewalt und Drohungen eingesetzt zu haben - was de facto einer Vergewaltigung entspricht.
Eine derartige Vorgehensweise kam bei Nichtsportlern laut eigenen Angaben kaum vor. Die Forscherinnen gehen allerdings insgesamt von noch höheren Zahlen aus, schließlich handelt es sich um Eigenangaben von Taten, die lieber verschwiegen werden.
Hypermaskulinität des Sports
Die Forscherinnen nahmen Sport deshalb in den Fokus, weil bereits 1995 eine Studie ergeben hatte, dass fast 20 Prozent aller gemeldeten Missbrauchsfälle an Colleges von Sportstudenten verübt wurden - obwohl diese nur drei Prozent aller Studenten ausmachen. Zurückgeführt wurde das bisher auf den Drill und die männlich konnotierten Werte wie Leistung, Siegeswille und Erfolg in Training und Wettkampf.
Die Hypermaskulinität des Sports weise viele Verbindungen zu Gewalt auf, sagte Kristy McCray von der Universität in Westerville im Bundesstaat Ohio der „Washington Post“. Zudem wurde ins Treffen geführt, dass die Leistungssportler den Großteil ihrer Zeit mehr oder weniger kaserniert in rein männlicher Gesellschaft verbringen.
Einstellung zu Frauen als entscheidender Faktor
Die neue Studie zeigt nun allerdings auf, dass unter den sportlichen Studenten auch die Freizeitsportler zu ähnlichem Verhalten neigen - auch wenn die männerbündische Umgebung fehlt. Gemeinsam sei den beiden Gruppen die Einstellungen in zwei Punkten, heißt es in der Studie: Sie seien beide der Überzeugung, dass es keine Vergewaltigung ist, wenn sich die Frau nicht wehrt. Die prinzipielle Sichtweise von Geschlechterrollen sei ebenfalls signifikant. Beide Gruppen glauben eher, dass sich Frauen weniger um ihre Rechte kümmern sollten, sondern sich eher bemühen sollten, gute Ehefrauen und Mütter zu werden.
Ähnliche Ansichten wie Befragte 1973
Die Forscherinnen verwiesen darauf, dass sich die Daten bei diesen beiden Fragen kaum von jenen einer Umfrage unterschieden, die schon 1973 durchgeführt wurde. Unter den Nichtsportlern waren diese beiden Annahmen in der jetzigen weit weniger verbreitet. „Sexuelle Übergriffe auf dem Campus - und generell in der Gesellschaft - sind ernsthafte Probleme, denen man sich stellen muss“, so Studienmitautorin Sarah Desmarais von der North Carolina State University gegenüber „Medical Daily“. Ihre Studie sei zwar aufgrund der geringen Befragtenzahlen nicht repräsentativ, zeige aber das Problem deutlich auf.
Genügend Studien und schockierende Fälle
Schon 2015 gaben rund 20 Prozent aller Studentinnen an, am College oder an der Uni sexuell belästigt oder missbraucht worden zu sein. An der Umfrage der US-Universitätenvereinigung Association of American Universities nahmen 150.000 Studierende von 27 Unis teil.
Und schockierende Fälle in den vergangenen Jahren riefen das Problem der Gesellschaft ins Bewusstsein. 2012 und 2013 sorgten zwei ähnlich gelagerte Fälle in Maryville, Missouri, und Steubenville im Bundesstaat Ohio für internationale Schlagzeilen. Jugendliche des örtlichen Footballteams hatten Mädchen mit Alkohol betäubt und anschließend vergewaltigt.
Mauer des Schweigens
Etliche Zeugen schossen Fotos und Videos oder kommentierten die Handlungen auf Twitter. Die Trainer und Stadtverantwortlichen spielten die Übergriffe herunter, sprachen von Dummheiten und versuchten die künftigen „Sportstars“ der Kleinstädte zu schützen. Die Opfer wurde gemobbt und teilweise sogar bedroht.
Erst über Soziale Netzwerke und eine breite Medienberichterstattung wurden in beiden Fällen die Mauer des Schweigens gebrochen und die Täter schließlich verurteilt. Dass Medien aber auch eine fragwürde Rolle spielen können, zeigte 2015 der „Rolling Stone“. Das Magazin musste einen Artikel über eine Vergewaltigung an einer Uni, die prototypisch die „Vergewaltigungskultur“ der USA illustrieren sollte, zurückziehen. Zumindest Teile des Berichts stellten sich als erfunden heraus.
Christian Körber, ORF.at
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