Australien als Vorbild
Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) setzt in der Flüchtlingskrise auf Abschreckung. Er will Bootsflüchtlinge nach dem Vorbild Australiens rigoros im Mittelmeer abfangen, dann sofort zurückschicken oder auf Inseln wie Lesbos internieren. Internationale Reaktionen gibt es bisher nicht. Scharfe Kritik gibt es von der Opposition - die SPÖ will Kurz’ Aussagen öffentlich gar nicht kommentieren.
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Rettung aus Seenot dürfe kein Ticket nach Europa sein, sagte Kurz in einem Interview mit der „Presse am Sonntag“. Ziel sei mehr Abschreckung, so der Minister, der - gemeinsam mit Ex-Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) - vor mehreren Monaten die spätere Sperre der Balkan-Route mit entsprechenden Forderungen via Medien in Gang gesetzt hatte.
Den Hunderttausenden in Nordafrika wartenden Menschen müsse klar werden, dass „die Rettung aus Seenot nicht mit einem Ticket nach Mitteleuropa verbunden ist“, sagte der ÖVP-Politiker der Zeitung, nach einer Woche, in der Hunderte Menschen auf dem Mittelmeer ums Leben gekommen waren.
SPÖ schweigt
Mit seinem Vorpreschen gefährdet Kurz nicht zuletzt den Neustart der Koalition, die sich ein gemeinsames Vorgehen gerade auch beim Thema Bewältigung der Flüchtlingskrise vorgenommen hat. Auf ORF.at-Anfrage hieß es dazu am Sonntag aus der Bundesparteizentrale der SPÖ allerdings nur: „Kein Kommentar.“ Offenbar will die SPÖ den ausgerufenen Burgfrieden nicht riskieren. Kurz’ Vorschläge könnten nicht zuletzt die SPÖ-internen Gräben, die sich bei diesem Thema zuletzt aufgetan hatten, vertiefen.
Tatsächlich meldete sich prompt die Wiener SPÖ-Integrationsstadträtin Sandra Frauenberger mit Kritik an Kurz zu Wort: „Verfolgte Menschen haben das Recht auf Schutz. Mit Internierungslagern auf den Inseln vor der europäischen Grenze würden wir dieses Recht abschaffen“ - mehr dazu in oesterreich.ORF.at.
Auf Bundesebene wollte sich auch der Sprecher von SPÖ-Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil, Stefan Hirsch, nicht zu Kurz äußern. Man kenne die Forderungen selbst nur aus den Medien. Für Doskozil seien jedenfalls der Schutz der Außengrenzen und ein einheitliches europäisches Vorgehen, insbesondere einheitliche Asylstandards und Länderabkommen, um Rückführungen rechtsstaatlich durchführen zu können, der „Schlüssel“ in der Frage, betonte Hirsch lediglich.
FPÖ: „Gipfel der Unglaubwürdigkeit“
Von der Opposition gab es Kritik an Kurz. FPÖ-Generalsekretär und Europaabgeordnete Harald Vilimsky bezeichnete die Aussagen des Ministers als „Gipfel der Unglaubwürdigkeit und Scheinheiligkeit der ÖVP“. „Sachlich und inhaltlich hat sich nämlich rein gar nichts an der Willkommenspolitik von SPÖ und ÖVP verändert“, polterte Vilimsky in einer Aussendung.
Grüne: „Spiel mit dem Feuer“
Kritik an Kurz übte am Sonntag auch Alev Korun, Menschenrechtssprecherin der Grünen. „Was Außenminister Kurz mit Einsperren von Schutzsuchenden auf Mittelmeerinseln vorschlägt, ist die Abschaffung des Rechts, dass verfolgte Menschen um Schutz ansuchen dürfen, ohne interniert zu werden“, stellte Korun in einer Aussendung fest.
Dieses Recht auf Schutz vor Verfolgung sei nicht ohne Grund nach zwei Weltkriegen mit Millionen ziviler Opfer und verfolgten Minderheiten wie Juden und Roma international beschlossen worden. „Diese historische humanitäre Errungenschaft nun für innenpolitisches Punktemachen abschaffen zu wollen, ist ein Spiel mit dem Feuer“, mahnte Korun.
NEOS-EU-Abgeordnete Angelika Mlinar sagte, dass es der „Arbeitsauftrag“ Kurz’ sei, eine gemeinsame EU-Linie in der Asylfrage zu finden. Vergleiche mit Vorgehensweisen auf anderen Kontinenten und aus anderen Jahrhunderten seien diesbezüglich nur „mäßig passend“.
Kein Recht auf Asyl bei illegaler Einreise
Kurz sagte in dem Interview wörtlich: „Die EU sollte klar festlegen: Wer illegal versucht, nach Europa durchzukommen, soll seinen Anspruch auf Asyl in Europa verwirken.“ Ob das überhaupt in Einklang mit der Genfer Flüchtlingskonvention geregelt werden kann, blieb in dem Interview offen.
Das UNHCR nannte jedenfalls „nach Geist und Buchstaben der Konvention von 1951“ als fünften Eckpunkt des Flüchtlingsschutzsystems, dass Personen, die vor Verfolgung fliehen, „wegen illegaler Einreise in das Land, in dem sie Asyl suchen, oder wegen illegalen Aufenthalts in diesem Land nicht bestraft werden sollten“.
Als Alternative plädiert Kurz nun für die Möglichkeit, ein Asylansuchen an Ort und Stelle in UNO-Zentren stellen zu können. Dass Menschen Asylanträge in ihrer Heimat stellen können, ist eine langjährige Forderung von Hilfsorganisationen - sie wurde von den europäischen Staaten aber bisher stets abgelehnt, aus Angst, von Asylanträgen überschwemmt zu werden.
Im Gegenzug für mehr Hilfe an Ort und Stelle
Zugleich müsse Europa aber auch bedeutend mehr Hilfe an Ort und Stelle in Krisenregionen leisten und mehr „der Ärmsten der Armen“ freiwillig aufnehmen, sagte Kurz. Es gehe vorrangig um „Frauen, Verwundete, Kranke, Schwache, Schwangere“. „So können wir die Einwanderung auf ein bewältigbares Maß begrenzen und diese Menschen auch integrieren.“
Kurz schlug vor, die EU sollte sich „Teile des australischen Modells“ zum Vorbild nehmen. Dort kämen keine illegal einreisenden Menschen mehr an, und es ertrinke auch niemand mehr. „Warum? Die australische Marine startete eine Grenzschutzoperation, fing Flüchtlingsboote vor der Küste ab, brachte die Menschen zurück in ihre Ursprungsländer oder in Zentren nach Nauru und Papua-Neuguinea.“
Kritik am australischen Modell
Internationale Hilfsorganisationen und das UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR kritisieren das australische Vorgehen seit Jahren immer wieder scharf. Die Schiffe mit Flüchtlingen an Bord werden möglichst schon in internationalen Gewässern abgefangen. Für Aufsehen sorgte ein Fall im Juli 2014, als die australische Küstenwache auf hoher See Asylschnellverfahren per Videoschaltung abwickelte. Alle Anträge wurden abgelehnt, und das Boot wurde zur Umkehr gezwungen.
Libyen nicht zur Rücknahme bereit
Libyen, wo die meisten Flüchtlingsboote starten, will aber keine Flüchtlinge aus Europa zurücknehmen, wie Ministerpräsident Fajis al-Sarradsch der „Welt am Sonntag“ sagte. „Wir werden nicht akzeptieren, dass die EU Migranten zu uns zurückschickt“, sagte der Chef der neuen Einheitsregierung. „Europa muss Wege finden, sie in ihre Heimatländer zurückzubringen. Sie können nicht bei uns leben.“
Über das vom Bürgerkrieg zerrüttete Land kamen allein im vergangenen Jahr mehr als 150.000 Menschen nach Europa. Seit der Schließung der Balkan-Route ist die Zahl von Flüchtlingen stark gestiegen, die von Libyen mit oft schrottreifen Booten aus über das Mittelmeer über Italien in die EU gelangen wollen. In dem nordafrikanischen Land halten sich nach unterschiedlichen Angaben bis zu eine Million Flüchtlinge auf.
Merkel warnt vor Sperre auf dem Brenner
Angesichts der großen Zahl von über das Mittelmeer kommenden Flüchtlingen warnte Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel (CDU) die EU vor Abschottungstendenzen und mahnte zu mehr Solidarität in Europa. Angesichts steigender Flüchtlingszahlen in Italien einfach den Brenner zu schließen sei politisch fatal.
„Dann ist Europa zerstört“, mahnte Merkel am Freitagabend in Güstrow. Ziel müsse bleiben, in Europa zu einer „vernünftigen Solidarität“ zu finden. Zudem müsse Europa die Zusammenarbeit mit Ländern am Rande der Krisenregionen verbessern und mehr Entwicklungshilfe leisten.
An der libyschen Küste waren am Freitag 117 Leichen mutmaßlicher Flüchtlinge angespült worden. Beim Untergang eines Flüchtlingsbootes vor Kreta kamen laut Medienberichten womöglich mehr als 300 Menschen um. Geborgen wurden bis zum Wochenende zunächst nur zehn Leichen.
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