Quälende Ungewissheit für Angehörige
66 Menschen sterben, als ein EgyptAir-Airbus am 19. Mai unter rätselhaften Umständen in den Fluten des Mittelmeers verschwindet. Die Behörden versichern, dass die Ermittlungen auf Hochtouren laufen. Doch Gewissheit scheint noch weit entfernt. Nur kleine Wrackteile wurden geborgen. Ägyptische und französische Ermittler sollen Antworten liefern - doch bisher gibt es nur Fragezeichen.
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Nach dem Unglück muss sich neben Trauer wohl auch Frust und Verzweiflung bei den Angehörigen der Opfer breitmachen. Sie warten auf eine Erklärung, was der Maschine auf dem Weg von Paris nach Kairo widerfahren ist. Doch über die letzten Minuten des Fluges MS804 kursieren nicht viel mehr als Gerüchte, vereinzelte Informationen und widersprüchliche Aussagen.
Behörden verwickeln sich in Widersprüche
Fest steht: Die Maschine flog in den frühen Morgenstunden des 19. Mai in den griechischen Luftraum, die Piloten meldeten sich bei den Fluglotsen. Doch kurz vor dem Verlassen des Luftraums kam vom Cockpit keine Abmeldung. Vor der ägyptischen Küste geriet die Maschine ins Trudeln und sackte von 11.300 Metern auf rund 4.600 Meter ab. Danach verschwand sie vom Radar. Bei dieser ursprünglichen Aussage des griechischen Verteidigungsministers bleibe man, hieß es aus Griechenland.
Darüber hinaus gibt es nur Spekulationen. So löste eine Quelle innerhalb der ägyptischen Untersuchungskommission Verwirrung aus: Es hieß, vorläufige forensische Analysen der geborgenen Körperteile deuteten auf eine Explosion im Flugzeug hin. Wenige Stunden später meldete sich der Leiter der ägyptischen Behörde für Rechtsmedizin zu Wort: Die Informationen seien falsch. Berichte über Rauch an Bord der Maschine wurden zunächst von ägyptischer Seite zurückgewiesen, später aber von der französischen Behörde für Flugunfalluntersuchung, BEA, bestätigt.
„Normal, dass es noch keine Hinweise gibt“
Klarheit ist fast zwei Wochen nach dem Unglück in weiter Ferne. Doch der Hamburger Luftfahrtexperte Cord Schellenberg mahnt, unter den Umständen sei eine Aufklärung der Absturzursache kurz nach dem Ereignis unrealistisch. „Hier haben wir weder ein Flugzeug noch größere menschliche Überreste noch den Flugschreiber oder Stimmenrekorder.“ Keine Überlebenden, keine Bilder. Auch kein Bekenntnis von Terroristen.
„Es ist normal, dass es noch keine konkreten Hinweise auf die Ursache gibt“, sagt der Fachmann. Bei dem Unglück der Germanwings-Maschine in den französischen Alpen im März 2015 konnten die Flugschreiber schnell ausgewertet werden - was den entscheidenden Hinweis auf einen absichtlichen Absturz durch den Kopiloten lieferte. Und im Fall der MH17-Katastrophe im Jahr 2014 ließ die Rekonstruktion der Wrackteile auf den Abschuss durch eine Rakete schließen.
Ein Puzzle für Ermittler
Im Fall von EgyptAir MS804 sind derartige Schlussfolgerungen Schellenberg zufolge noch nicht möglich. Einzelne Erkenntnisse wie die Rauchmeldung an Bord seien keine Informationen über den Absturz - „sondern Einzelteile, aus denen dieser Flug rekonstruiert werden kann“, sagt der Experte. Die Ermittler müssten nun penibel die vielen Beweisstücke - etwa Wrackteile, Untersuchungsergebnisse der Rechtsmediziner und Flugdaten - zusammensetzen, um den Ablauf des Fluges zu rekonstruieren. Wie ein Puzzle.
Das braucht Zeit und Geduld - für die Angehörigen der Opfer sicher nicht leicht, zumal das Vertrauen in die ägyptischen Behörden in solchen Fällen angeknackst ist. Die Umstände des letzten Absturzes in dem nordafrikanischen Land mit 224 Toten im Oktober vergangenen Jahres sind noch immer nicht abschließend geklärt. Präsident Abdel Fattah al-Sisi hatte nur inmitten einer langen Rede verklausuliert und indirekt zugegeben, dass es sich um einen Anschlag handelte. Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) bekannte sich zu der Tat.
Suche nach Blackbox intensiviert
Die ägyptischen Behörden wissen: Um der EgyptAir-Katastrophe auf den Grund zu gehen, sind Flugschreiber und Stimmenrekorder essenziell. Die Suche nach den Geräten ist äußerst kompliziert. Sie sind laut Schellenberg nicht größer als Handgepäck und könnten wegen Strömungen im Meer von anderen Wrackteilen weit entfernt auf dem Meeresboden liegen. Ein Ortungssignal werde nur rund 30 Tage lang gesendet.
Die Suche wurde daher verstärkt. Zwei ausländische Firmen sollen nun den ägyptischen, griechischen und französischen Suchmannschaften helfen, hieß es aus Ägypten. Und EgyptAir-Chef Safwat Muslim versicherte, die Suche nach den Blackboxes werde auch nach dem Verstummen des Ortungssignals weitergehen. Den Angehörigen der Opfer bleibt nur: abwarten.
Gioia Forster, dpa
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