Aus dem künstlerischen Schützengraben
Das Kremser Forum Frohner leuchtet das Potenzial kritischer Kunst in Österreich seit den 40er Jahren aus. Für ihre Schau „Rot ich weiß Rot“ ließ man sich von einer gleichnamigen Spezialausgabe des Literaturmagazins „Tintenfisch“ inspirieren. Widerstand kann nicht nur anstrengend, sondern auch lustvoll sein.
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Der Staat hält sich seine Kritiker und hält sie unter Kontrolle – es ist das alte Lied. Wobei, so alt ist es auch wieder nicht, wie sich nun in der schlüssig kuratierten Ausstellung in Krems nachvollziehen lässt. Es gab Zeiten, da waren Künstler in Österreich tatsächlich noch Staatsfeinde. Ausgangspunkt der Schau ist aber nicht die bildende Kunst, sondern die Literatur.
Kurator Christian Bauer, der gemeinsam mit Elisabeth Voggeneder die Ausstellung konzipiert hat, sagt, dass die 70er Jahre keine schlechte Zeit für Kunst gewesen seien. Je größer die Repressalien, desto drängender die Kunst, desto zwingender der Beitrag der Künstler, die dem System tatsächlich etwas inhaltlich entgegenzusetzen haben. Im Nachhinein lässt sich das so interpretieren. Die Künstler selbst sahen das zu ihrer Zeit freilich anders.

ORF.at/Simon Hadler
Elisabeth Voggeneder und Christian Bauer; links: Padhi Friebergers „Scheißbrauner Lipizzaner“
Der perfekte linke Haken
Und wie sie das sahen, das fassten zahlreiche Literaten 1979 in einer Ausgabe der Zeitschrift „Tintenfisch“ unter dem Titel „Rot ich weiß Rot“ zusammen – und zitierten dabei das Gedicht „Eine Fahne für Österreich“ von Ernst Jandl. Große Namen stehen unter den Beiträgen in diesem Heft: Helmut Qualtinger, Elfriede Jelinek, Peter Handke, Friederike Mayröcker, Ilse Aichinger, Josef Haslinger, Peter Turrini, Thomas Bernhard, Elias Canetti, Georg Kreisler, Ernst Jandl, Barbara Frischmuth, Elfriede Gerstl, Christine Nöstlinger – und viele mehr.
Heute mag der eine oder die andere von damals arriviert sein, saturiert wirken, Komitees zur Unterstützung diverser Politiker angehören (Landeshauptmann, Stadtrat, Präsident; wahl- und wechselweise) und insgesamt in öffentlichen Äußerungen etwas aus der Zeit gefallen wirken. Umso positiver überrascht die Lektüre der alten Texte: Nicht mittlerweile totgekaute linke Floskeln finden sich darin wieder, sondern, im Gegenteil, energiegeladene, kreative und subtile linke Haken gegen das System Österreich, gegen verschleppte Vergangenheitsbewältigung und Spießbürgertum.
Die „kleinformatigen Kolumnistenmänner“
Franz Innerhofer konstatierte in seinem Text „Das Dorf“ etwa, dass die Deutschen so gerne in Österreich urlaubten, weil sie hier als „Kriegshelden“ lachen und ihre Geschichten erzählen durften, was sonst nirgendwo auf der Welt möglich war, nicht einmal in Deutschland selbst. Und Elisabeth T. Spira schrieb, was auch heute noch, oder sogar gerade heute, erschreckend aktuell klingt:
„Jene manierlichen, feuchtfröhlichen Kegelabendmänner, deren Frauenwitze männerbündisch aus den Lederhosen tröpfeln, jene adretten, stehkragigen Abendgesellschaftsmänner, deren Judenwitze wie Weihnachtsbier über die Lippen schäumen, (...) jene kleinformatigen Kolumnistenmänner, deren glattrasierte Tschuschenwitze im Stürmerstil nach Auflagenmillionen schielen, ...“ - all jene gingen ihr auf die Nerven. Heute müsste man wohl Juden durch Muslime ersetzen, die Frauenwitze würden nicht aus der Lederhose, sondern in die Facebook-Chronik tröpfeln, die Kegelabendmänner würden am superteuren Spezialgriller aus dem Baumarkt grillen oder PlayStation spielen, anstatt zu kegeln, und die Kolumnistenmänner schreiben statt Tschuschenwitzen lieber Märchengeschichten über Asylwerber. Aber das Prinzip ist dasselbe.
Die Terrorkeule einst und jetzt
Interessant auch, wie damals schon gegen die Kräfte der Aufklärung mit der Terrorkeule argumentiert wurde. Im „Tintenfisch“ wurden die „Kulturkämpfe“ der damaligen Zeit dokumentiert: „Das Buch der Kinderbuchautorin Mira Lobe (‚Die Räuberbraut‘), in dem ein dreizehnjähriges Mädchen nach einer Robin-Hood-Lektüre kurzfristig Robin Hood spielt, den Reichen nimmt, den Armen gibt, einen Bauunternehmer, um ihn auf die Wohnmisere aufmerksam zu machen, ein paar Stunden einsperrt, wird von der dem ÖVP-Wirtschaftsbund nahestehenden ‚Wochenpresse‘ als ‚perfekte Anleitung zu Menschenraub und Terror a la Schleyer‘ klassifiziert.“
Herrlich dazu auch Qualtinger in „Travnicek und die Entführer“: „Freund: ‚Haben Sie etwas gehört von der Organisation Zweiter November?‘ Travnicek: ‚Ich hab nur gehört von der Aktion Erster April. Da setz ich mir eine Pappnase auf und sage, ich bin der Schah von Persien.‘“
Die Dornenkrone der Eheleute
Der „Tintenfisch“ wurde damals wahrgenommen und tatsächlich gelesen. Bei Adolf Frohner und seinen Freunden sorgte er etwa für Diskussionen, wie man weiß - deshalb ist es für die Kuratoren schlüssig, thematische Querverbindungen der Kritikpunkte im Heft mit Positionen bildender Künstler von den 40er Jahren bis heute herzustellen und gerade im Forum Frohner der Kunsthalle Krems zu zeigen. Kompakt und pointiert, aber nicht chronologisch werden so Themenfelder herausgearbeitet, die kritische Künstler seit Jahrzehnten beschäftigen.
Zum Thema Gender und Frauenrechte etwa ist ein Foto mit drei Matrosinnen und einem Mann zu sehen, der den Mittelfinger zeigt („Böse ist besser“, 1993). Die Matrosinnen sind „Die Damen“, eine von ihnen Ona B., von der in der Ausstellung auch zwei stilisierte übergroße Eheringe zu sehen sind, die durch angebrachte Stöckelschuhstöckel wie nach innen gewandte Dornenkronen wirken („Eheringe“, 2003). Eine weitere der „Damen“ ist Johanna Kandl, die wiederum im Jahr 2000 den „Widerstandsbutton“ gegen die schwarz-blaue Regierung entworfen hat.

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Ausstellungsansicht aus dem Forum Frohner mit alternativer „Heimatkunst“
Gegen den Strom schwimmen, ohne Strom leben
An gegengesellschaftlichen Lebensentwürfen wird Otto Muehls (gescheiterte) Friedrichshof-Kommune gezeigt, dazu auch ein Bild von Marcel Houf, auf dem der Umweltaktivist und Künstler Padhi Frieberger (1975) zu sehen ist, der immer wieder jahrelang in einem baufälligen Schloss in Mistelbach lebte, teilweise ohne Fenster und ohne Strom. Den Ausbruch aus dem White Cube der Kunstwelt symbolisierte Günter Brus mit seiner Aktion „Wiener Spaziergang“ (1965), als er, weiß angemalt, buchstäblich einem Bild entstieg und auf die Straße lief, wo er von Polizisten wegen „Erregung öffentlichen Ärgernisses“ zur Polizeistation begleitet wurde.
Frohner selbst wiederum ist in der Ausstellung vertreten, weil er sich 1962 mit Muehl und Hermann Nitsch eingemauert hat („Die Blutorgel“). Die „Kronen Zeitung“ schäumte damals gegen die Aktion, genauso wie sie gegen Valie Exports Film polemisierte, in dem Peter Weibel ihr auf den Kopf pinkelt. Neben Exports Videoinstallation wird Elke Krystufeks Klotüre aus Kindertagen gezeigt, samt Tierpickerln. Das Klo als verstecktester, dunkelster Ort, nicht zuletzt auch ein Ort sexueller Gewalt in der Familie, auch ein Ort der Krankheit - Krystufek litt unter Bulimie.
Bundesadler mit Bier und Wurstsemmerl
Von den Karikaturisten ist unter anderen Manfred Deix vertreten mit seinen Vorschlägen für einen neuen Bundesadler (mit Bier und Wurstsemmel in den Klauen) und Erich Sokol, bei dem der schlaflose Österreicher Adolf Hitler unter seinem Bett versteckt. Mangelnde Vergangenheitsbewältigung thematisierte auch Frieberger mit seiner Skulptur „Scheißbrauner Lipizzaner“ (1986/87), die nicht nur eine Anspielung auf Waldheim war (nur dessen Pferd war bei der SA), sondern auch das Prinzip der Dressur aufs Korn nahm, ob jener von Tieren oder von allzu konformistischen Menschen.
Grenzen ausloten, provozieren, kritisieren, hinterfragen, lächerlich machen und sich selbst in Grenzsituationen begeben, Tabus aufbrechen, Missstände aufzeigen: Entlang dieser Linie bewegt sich kritische Kunst in Österreich. Und auf der anderen Seite gibt es die Kulturbewahrer als Reibebaum, die sich selbst zu Verteidigern der Mehrheitsgesellschaft ausgerufen haben, allen voran bis 2011 „Kronen Zeitung“-Kolumnist Richard „Staberl“ Nimmerrichter. Die „gespaltene Gesellschaft“, von der dieser Tage oft die Rede ist, die gab es einmal wirklich, das wird bei der Lektüre des „Tintenfisch“ und in der Ausstellung sicht- und fühlbar. Nichts, was man sich wieder wünschen sollte.
„Volkskultur“ unter Schwarz-Blau
Wenn man mit älteren Menschen spricht, hört man öfter von einer gesamtgesellschaftlichen Pendelbewegung: Auf die Revolution folgt die Restauration, auf progressive Politik repressive. Das spiegelt sich auch in der Kunst wieder. In den 90er Jahren hätte wohl niemand damit gerechnet, dass es im Jahr 2000 einen „Widerstandsbutton“ gegen eine schwarz-blaue Regierung geben würde, deren kulturpolitischer Schwerpunkt die Förderung der „Volkskultur“ war (die ÖVP-Kulturministerin Elisabeth Gehrer damals im Interview mit ORF.at).
„Wenn jetzt ein Krieg kommt“
Zum Abschluss noch Auszüge aus Georg Kreislers „Der Hund“, das ebenfalls im „Tintenfisch“ abgedruckt wurde. Erstens weil auch Ignoranz wie die hier angesprochene viele Jahre nach dem Kalten Krieg weiterhin existiert, und zweitens weil’s so schön ist:
„In Wien, wo die Stadt am verschwiegensten ist,
sitzt oft der Herr Maier beim Wein.
Und um zehn, wenn der Wein am gediegensten ist,
kommt er langsam ins Reden hinein,
und dann sagt er: Ich las in der Zeitung
nur von Rüstung und Kriegsvorbereitung.
Man will jetzt die Welt ausradieren
und die Wienerstadt atomisieren,
Also bittschön, ich will ja nix sagen,
aber eins liegt mir sehr schwer im Magen:
Wenn jetzt ein Krieg kommt, sagen S’, was g’schiecht dann mit mein’ Hund?
(...) Denn so ein Krieg is doch auf kein’ Fall g’sund.
Mir kann’s ja wurscht sein, aber sagen S’, was macht mein Hund?“
Simon Hadler, ORF.at
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