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Sportfest im Schatten der Terrorwarnungen

Ab dem 10. Juni soll die Fußball-Europameisterschaft (EM) ganz Frankreich in einen Ausnahmezustand versetzen - wenn das dort nicht schon seit November der Normalzustand wäre. Anders als normalerweise bei Sportgroßereignissen ist das aber nicht (nur) im übertragenem Sinn gemeint. Die anhaltend hohe Terrorgefahr stellt die französische Regierung und die internationalen Behörden vor eine Mammutaufgabe.

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„Wir wollen, dass es eine große festliche Veranstaltung wird, aber wir müssen den Franzosen die Wahrheit sagen: Null Prozent Vorsichtsmaßnahmen bedeuten 100 Prozent Risiko, aber 100 Prozent Vorsichtsmaßnahmen bedeuten nicht null Risiko“, sagte der französische Innenminister Bernard Cazeneuve Ende Mai. Nach den islamistischen Anschlägen vom 13. November mit 130 Toten befürchten die Behörden neue Attacken bei der Fußball-EM.

Potenzielles Anschlagsziel mit Symbolkraft

„Die französische Regierung ist hier sehr ehrlich und direkt: Die sagen, das ist die höchste Bedrohungslage, die es in dieser Beziehung jemals gegeben hat“, beschreibt auch Europol-Sprecher Gerald Hesztera gegenüber ORF.at. Terroristen seien vor allem an „weichen Zielen“ interessiert, also Veranstaltungen, bei denen größtmögliche Zahlen ziviler Opfer erreicht werden können.

Fußball-EM 2016

Die EM beginnt am 10. Juni mit dem Eröffnungsspiel des Gastgebers Frankreich gegen Rumänien und dauert bis 10. Juli. Zu den 51 Spielen in zehn Stadien werden mehr als 2,5 Mio. Besucher erwartet.

Über konkrete Warnungen oder Anschlagsziele will er nichts sagen, nur dass es derzeit keinen Staat in Europa gebe, der vor Anschlägen sicher ist: „Es gibt überall ein Risiko. Die EM findet aber in Frankreich statt und hat Symbolkraft.“

Die neue Strategie des IS

Anders als Europol gibt es von anderen Institutionen und Behörden konkretere Anschlagswarnungen. Der Chef des deutschen Geheimdiensts DGSI, Patrick Calvar, erklärte etwa, dass die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) mit einer Serie an koordinierten Bombenanschlägen in Menschenmengen gedroht habe. Die neue Strategie des IS zeichne sich dadurch aus, dass Sprengmittel an Orten mit großen Menschenmassen platziert werden sollten, so Calvar. Durch die Wiederholung solcher Attacken solle eine maximale Panik erzeugt werden.

Laut dem deutschen Bundeskriminalamt seien besonders das Eröffnungsspiel zwischen Frankreich und Rumänien sowie das Finale im Stade de France gefährdet. Auch einzelne Teams seien bedroht. „Ein erfolgreicher Anschlag auf Mannschaften von ‚Kreuzfahrernationen‘, zu denen Deutschland ebenfalls gezählt wird, hätte dabei besondere Symbolwirkung.“

Sicherheitszusammenarbeit mit Gruppengegnern

Die EM beschäftigt auch die österreichischen Behörden, wie Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) Mitte Mai in Brüssel am Rande des EU-Innenministertreffens bestätigte. Es gehe insbesondere um die Sicherheit der Fans, so Sobotka. „Wir haben insbesondere was Österreich, Ungarn, Island und Portugal angeht, die ja in einer Gruppe spielen, ein gemeinsames Sicherheitspaket ausgearbeitet, das wir als Unterstützung für die französischen Behörden einbringen wollen.“

Österreich sei jenes Land, dass die drittgrößte Fangemeinde in Frankreich stellen werde und gleichzeitig Transitland für etwa 170.000, 180.0000 Menschen, die auf dem Weg zu den Spielen auf der Durchreise sein würden. „Wir sind auf diese Situation vorbereitet“, so der Innenminister. Eine absolute, 100-prozentige Sicherheit gebe es aber nicht. Trotz allem: Ein Match oder gar die ganze EM abzusagen hält er für keine gute Idee: „Das hieße zu kapitulieren, das kann es mit Sicherheit nicht sein.“

Das Mantra von der besseren Vernetzung

Während man in Frankreich vor allem personell aufrüstet und die Stadien und Fanzonen mit umfangreichen Kontrollen absichern will, ist Europol vor allem im Zentrum der länderübergreifenden präventiven Zusammenarbeit eingebunden. Schon seit den Anschlägen von Paris wiederholt man europaweit mantraartig die Forderung nach einer besseren Vernetzung. In diesem Bereich hat sich seitdem aber auch viel getan, so Hesztera. Paris sei eine Scheidemarke gewesen - die erfolgreichen Ermittlungen nach den Anschlägen von Brüssel ist für den Europol-Sprecher „der Beweis, dass es ohne Zusammenarbeit nicht geht“.

Zu den Spielen werden aus jedem Teilnehmerland Polizeidelegationen in Frankreich erwartet, die beim Schutz der Teams zum Einsatz kommen sollen. In Paris soll die größte Public-Viewing-Zone entstehen. Im Park rund um den Eiffelturm erwartet man täglich bis zu 90.000 Fans, und auch der nahe gelegene Quay D’Orsay am Seine-Ufer, wird sich in eine Fanmeile verwandeln. „Das ist eine Versuchung für Terroristen jeglichen Backgrounds“, beschreibt Philippe Goujon, Vorsteher des angrenzenden 15. Bezirks. Die 350 privaten Sicherheitsleute, die laut Hidalgo die Fanzone beim Eiffelturm sichern sollen, hält er für viel zu wenig.

Nicht so geglückter Testbetrieb im Stade de France

Insgesamt setzt Frankreich 72.000 Polizisten und Gendarmen ein, dazu kommen landesweit 13.000 private Sicherheitsleute. Sowohl bei Stadien als auch bei den Fanmeilen werden doppelte Sicherheitskontrollen installiert. Zweifel an dem System kamen vorige Woche auf, als sich ausgerechnet im Stade de France in Paris, wo Eröffnungs- und Finalspiel ausgetragen werden, Zwischenfälle ereigneten. In dem Stadion, das am 13. November von drei Selbstmordattentätern attackiert wurde, sind mittlerweile ebenfalls neue Sicherheitssysteme in Betrieb - trotzdem gelang es Fans unter anderem, Rauchbomben ins Stadion zu schmuggeln.

Innenminister Cazeneuve wiegelt ab: Das Spiel zwischen den Erzrivalen Paris Saint-Germain und Olympique Marseille sei kein echter Test für die EM gewesen: „Nicht die gleichen Zuschauer, nicht der gleiche Organisator, nicht die gleichen Sicherheitsmaßnahmen“, sagte er in einem Interview der Sportzeitung „L’Equipe“. Neben der Sicherheit hat Cazeneuve im Moment noch ganz andere dringliche Sorgen, die EM betreffend: Ausgerechnet am Eröffnungstag will eine Gewerkschaft die U-Bahnen lahmlegen, vier Tage später ist eine Großkundgebung in Paris geplant.

Sophia Felbermair, ORF.at, aus Brüssel

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