Personenkult und immer mehr Feinde
In den gut drei Jahren an der Spitze der Volksrepublik China hat Xi Jinping eine beachtliche Machtfülle aufgebaut: Neben seiner Funktion als Staatspräsident und Generalsekretär der Kommunistischen Partei (KPCh) ist er Chef der Zentralen Militärkommission der Armee. Sehr viele Spitzenposten für eine Person. Zu viele, sagen Experten - und sehen darin Gefahren für Xi und das gesamte Staatsgefüge.
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Diese Machtkonzentration auf Xi, der dem „roten Adel“ (der kommunistischen Führungselite) entstammt, hat freilich eine Vorgeschichte: Gleich nach seinem Amtsantritt setzte er sich ein ehrgeiziges Ziel - der grassierenden Korruption in der Volksrepublik den Garaus zu machen. Ein Vorhaben, das Xi nach wie vor mit äußerster Vehemenz verfolgt, die Verhaftungswelle erfasst prominente Konzernchefs wie hohe Funktionäre bis heute.
Ansehen zurechtrücken
Ein Blick zurück: Staatspräsident wurde Xi zu einer Zeit, als das Ansehen der Partei schwer beschädigt war - schließlich hatten sich in den Jahrzehnten des Aufschwungs korrupte Kader schamlos bereichert. Der Unmut in der Bevölkerung war groß, also waren entschiedene Maßnahmen gefragt. Mit dem Kampf gegen die Korruption war Xi mit einem Programm zur Stelle, das die mächtigsten Kreise des bürokratischen Systems hart ins Mark treffen sollte.

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Xi (unten) auf dem Volkskongress in März
Dabei hatte er seinen Rundumschlag zunächst noch mit Volksnähe getarnt: „Wenn unsere Partei nicht sicherstellen kann, dass alle Menschen genug zu essen haben, und mit dieser Herausforderung auch noch falsch umgeht, dann werden sich die Menschen fragen, ob wir überhaupt in der Lage sind, China zu regieren“, warnte Xi 2013 hochrangige Offizielle. Eine bemerkenswerte Aussage des Chefs einer Partei, deren innerstes Verständnis es ist, einzig und allein für die Volksrepublik zu stehen.
Einzigartig schonungslos
Es schien, als hätte Xi das Problem erkannt: Während sich viele bereichern, hat die Bevölkerung nicht einmal das Notwendigste. Da schien einer, der den Zahn an der Wurzel packt und in der korrupten Elite aufräumt, gerade recht. Auch die Intensität schien gerechtfertigt, auch wenn das Vorgehen seit der Machtübernahme der Partei 1949 in seiner Schonungslosigkeit einzigartig war. Doch die vielen Verhaftungen von Spitzenunternehmern und Politeliten wirken sich auf die Menschen in der Praxis nicht positiv aus.
Schlimmer noch: Viele haben darunter zu leiden. So durchlebt China derzeit einen folgenschweren Gesundheitsskandal. Erst vor Kurzem kam ans Tageslicht, dass Kinder seit 2011 Schutzimpfungen erhielten, von denen sich herausstellte, dass die Impfstoffe wirkungslos waren und zum Teil sogar verdorben. In der Folge gab es Hunderte Verhaftungen. Hinter dem illegalen Vertriebssystem standen kriminelle Banden, wiederum gedeckt von korrupten Beamten.
Schlimm genug für Xi, noch gefährlicher ist aber, dass es derzeit innerhalb der führungsnahen Elite gewaltig rumort. Bemerkenswert dabei ist, dass Unstimmigkeiten offen ausgetragen werden: Staatsmedien - für gewöhnlich ein Bollwerk der Loyalität gegenüber der Führung - beschweren sich nach außen hin über Restriktionen. Ein mächtiger Immobilientycoon, Ren Zhiqiang, attackierte Xi offen über den Mikrobloggingdienst Weibo für seine Medienpolitik. Und das mit großer Reichweite: Ren war mit 37 Millionen Followern ein Internetstar, bevor er gesperrt und mit einem Jahr bedingt bestraft wurde.
Rumoren trotz Allmacht
Es drängt sich die Frage auf, wie es zu diesen ungewöhnlich offenen Regungen kommen kann - noch dazu in einem Umfeld, dass Xi komplett auf seine Person zuschneidet und so eine regelrechte Allmachtstruktur aufbaut. Als Auslöser der Kritik am Umgang mit Medien können wohl die harten Einschränkungen gelten, die Xi den Medien jüngst auferlegt hat. Ausgerechnet über jene Themen darf nicht berichtet werden, bei denen einfachen Chinesen der Schuh drückt.

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Mann für alles: Xi verschafft sich auch im Militär immer mehr Einfluss
Die Palette ist weitreichend, beginnend bei Smog über Verkehrsstaus bis hin zu haarsträubenden Ungerechtigkeiten im Gesundheitssystem. Von Berichten über den offenkundigen Wertverfall des Renminbi während der letzten Jahre hindurch ganz zu schweigen. Diese Aufzählung ließe sich beliebig lange fortsetzen. Einschränkungen, die Xi den Staatsmedien bei seinem Besuch Ende Februar persönlich verordnete. Die Journalisten des Parteiorgans „Volkszeitung“, des Staatsfernsehens CCTV und der Nachrichtenagentur Xinhua wurden angewiesen, die Partei zu „lieben und schützen“ und „Zuversicht zu verströmen“.
Personenkult stärken
Doch geht es noch um etwas anderes. So gab es in den Anweisungen der Propaganda zum Volkskongress nicht nur Verbote, sondern auch einen ausdrücklichen Wunsch: Aufgefordert wurde zu „umfassenden Berichten“ über Xis Teilnahme, um den wachsenden Personenkult um den Präsidenten in den Medien noch weiter anzufachen. Positive Reaktionen sollten betont werden, hieß es. Ein Kulturredakteur der „Southern Metropolis Daily“ wollte sich nicht an diese Vorgabe halten. Die Zeitung gilt als eine wenigen kritischen Zeitungen in der Volksrepublik.

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Zuletzt wurden Geldgeschäfte von Verwandten der Führungselite publik. In führungstreuen Medien war davon keine Rede
„Kann deinen Nachnamen nicht ausstehen“
Unter gewaltigem Aufsehen veröffentliche der Redakteur Yu Shaolei sein Kündigungsschreiben via Weibo. Sofort schritt die Zensur ein, auf der Website Free Weibo, die gelöschte Nachrichten sammelt, war sie noch länger zu sehen. Auf dem Kündigungsschreiben stand in großen chinesischen Schriftzeichen: „Ich kann deinen Nachnamen nicht ausstehen.“
Damit reagierte der Journalist auf eine Äußerung Xis, die er gegenüber chinesischen Medien bei besagtem Besuch getätigt hatte: dass Alle Medien sollten künftig den „Nachnamen“ der KPCh tragen. Zum Foto seines Kündigungsschreibens schrieb Yu: „Ich werde alt und knie schon so lange nieder, dass ich es nicht mehr aushalten kann. Jetzt würde ich gerne versuchen, meine Haltung zu ändern.“ An die Zensoren seines Weibo-Kontos schrieb Yu, dass sie nun „erleichtert aufatmen“ könnten.
„Paradoxon der Macht“
Während also Xi während seiner Jahre an der Parteispitze immer mehr Funktionen selbst ausübt, schafft er sich mit seinem Kurs derartig viele Feinde, dass manche trotz drakonischer Strafen mit Kritik an die Öffentlichkeit gehen. Von einem „perfekten Beispiel für das Paradoxon der Macht“ spricht der Professor an der Chinesischen Universität von Hongkong (CUHK), Willy Lam: „Je mehr der Diktator bekommt, umso unsicherer fühlt er sich.“ Deswegen ergreife er mehr und mehr ungewöhnliche und exzessive Maßnahmen.
Unsicherheit mit Personenkult überdeckt
Die mutmaßliche Unsicherheit wird jedenfalls mit reichlich Personenkult überdeckt: In Staatsmedien wird Xi gerne zusammen mit seiner Frau Peng Liyuan in den schönsten Facetten inszeniert. „Mama Peng“ genießt eine geradezu unheimliche Popularität, die den Kommunismus preisenden Lieder der Sängerin kennt in China jedes Kind.

Reuters/RIA Novosti
Xis Frau Peng ist in China für ihre Roten Lieder bekannt
Zuletzt gab es gar Gerüchte, dass „Onkel Xi“ der Personenkult um sich selbst zu weit gehe: Ein besonders schmalziges Video mit dem Titel „Der Osten ist wieder rot“ wurde zuletzt gar aus dem Internet entfernt. Darin wurde Xi offen mit Diktator Mao Zedong verglichen, dessen Name für Verfolgung, Allmacht und Personenkult steht.
Valentin Simettinger, ORF.at
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