Türkei muss Bedingungen erfüllen
Die Türkei ist in der Bewältigung der Flüchtlingskrise für die EU ein wichtiger Partner. Doch derzeit steht diese Beziehung und vor allem das Flüchtlingsabkommen auf wackligen Beinen. Am Dienstag stoppte das EU-Parlament bis auf Weiteres Beratungen über die von der Türkei geforderte Visaliberalisierung für türkische Staatsbürger.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Diese Entscheidung des zuständigen Parlamentsausschusses für bürgerliche Freiheiten und Justiz gelte so lange, bis die Türkei alle 72 Vorbedingungen für eine visafreie Einreise erfüllt habe. „Und dazu gehören auch die Anti-Terror-Gesetze“, sagte der Vorsitzende der Liberalen-Fraktion, Guy Verhofstadt. „Damit fordern wir nicht mehr, als im Flüchtlingspakt vereinbart wurde“, ergänzte der Fraktionsvorsitzende der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber. Die Türkei weigert sich, der Forderung der EU nachzukommen und die umstrittenen Anti-Terror-Gesetze zu ändern.
Erdogan will keine „Anweisungen“ von Europa
Die Visaliberalisierung ist aber eine Vorbedingung für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, das mit der EU geschlossene Flüchtlingsabkommen weiter umzusetzen. Diese Vereinbarung sieht unter anderem die Rücknahme von illegal nach Griechenland eingereisten Flüchtlingen vor. Der Pakt war von dem scheidenden Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu mit der EU ausgehandelt worden. Verhofstadt pochte darauf, dass die EU selbst die „Hausaufgaben“ mache - „die einzige Möglichkeit, das Flüchtlingsproblem zu lösen“.
Am Dienstag bekräftigte Erdogan, dass er es ablehnt, die Anti-Terror-Gesetze zu entschärfen. Die Türkei werde keine Anweisungen von Europa entgegennehmen. Zudem habe die EU im Rahmen des Flüchtlingspakts drei Milliarden Euro versprochen, die bisher aber noch nicht überwiesen worden seien. Er hofft jedenfalls, dass die EU ihr Versprechen der Visaliberalisierung bis spätestens Oktober einhalte.
Sieben Kriterien noch nicht erfüllt
Sieben von 72 Kriterien sind noch nicht erfüllt. Bei fünf muss Ankara bis Juni nachbessern: Es geht um Korruptionsbekämpfung und Datenschutz, die Zusammenarbeit mit der EU-Polizeibehörde Europol und die Justizzusammenarbeit bei Strafsachen. Gefordert wird auch eine Einengung des weiten türkischen Terrorismusbegriffs. Hier verweist die EU-Kommission unter anderem auf Festnahmen und Prozesse gegen Journalisten und Akademiker wegen terrorismusbezogener Anschuldigungen.
Ein vereinbartes Rücknahmeabkommen für alle Drittstaatsangehörigen tritt ohnehin am 1. Juni in Kraft und wäre dann als Kriterium erfüllt. Bei der siebenten fehlenden Bedingung, der Einführung von biometrischen Pässen nach EU-Standards, gibt es eine Übergangszeit.
EU-Kommission ohne „Plan B“
Die EU-Kommission dementierte zwar einen Bericht der deutschen „Bild“-Zeitung, an Alternativen zum Türkei-Flüchtlingsdeal zu arbeiten: „Wir haben keinen Plan B: Wir haben einen Plan, den wir verfolgen“, sagte am Dienstag ein Kommissionssprecher. Doch hinter den Kulissen wird ein Scheitern der Flüchtlingsvereinbarung befürchtet. Erdogan hatte immer wieder gedroht, sein Land könne Flüchtlinge wieder durchreisen lassen, falls die EU die Visapflicht für Türken beibehalte.
Regierungschefs einiger EU-Staaten diskutierten dem „Bild“-Bericht zufolge bereits über Alternativen. Es wird etwa erwogen, griechische Inseln zu zentralen Aufnahmestellen für Flüchtlinge zu machen, falls die türkische Regierung die Grenzen für Flüchtlinge in Richtung EU wieder öffne. Die Flüchtlinge sollten dann auf den Inseln registriert werden. Zugleich solle der Fährverkehr zum griechischen Festland ausgesetzt werden. Die Menschen würden dann auf den Inseln festsitzen, abgelehnte Asylwerber könnten von dort direkt in ihre Heimatländer abgeschoben werden, zitierte „Bild“ den Minister eines EU-Landes. Die Hilfszahlungen an Ankara sollten im Falle eines Scheiterns außerdem gestoppt werden und stattdessen Griechenland zugutekommen.
Hochrangige Gespräche verschoben
Die EU-Kommission gab sich am Dienstag allerdings betont schweigsam. Weder zur Entscheidung des EU-Parlaments, die Beratungen einzustellen, noch zur Weigerung Erdogans, die Anti-Terror-Gesetze zu ändern, gab es einen Kommentar. Man sei hier in Kontakt mit den türkischen Behörden. Am Wochenende erst sicherte Kommissionschef Jean-Claude Juncker die Zusammenarbeit zu: „Wir haben mit der türkischen Regierung verhandelt, wir haben das Wort der türkischen Regierung und wir werden weiterhin mit der türkischen Regierung zusammenarbeiten.“
Doch auch hier gibt es Anzeichen von Verstimmung. Ende vergangener Woche wurde kurzfristig ein hochrangiger Dialog zwischen Beamten der EU und der Türkei auf unbestimmte Zeit verschoben. Dabei hätte unter anderem die Frage eines türkischen EU-Beitritts thematisiert werden sollen. Die Entscheidung, das Treffen zu verschieben, sei gemeinsam gefallen, betonte eine EU-Kommissionssprecherin.
Erdogan: EU-Beitritt „strategisches Ziel“
Trotz der Bedingungen der EU beharrt Erdogan auf dem Inkrafttreten der Visafreiheit bis Ende Juni und hofft auf eine Beschleunigung des Beitrittsprozesses der Türkei. Die EU-Mitgliedschaft sei weiterhin ein „strategisches Ziel“, sagte Erdogan erst am Montag. Die EU lasse sein Land seit mehr als 50 Jahren vor der Türe stehen, was in der Türkei zu „Überdruss“ geführt habe.
Links: