Salafisten in Bosnien
Laut der Nichtregierungsorganisation (NGO) Atlantic Initiative stellt Bosnien(-Herzegowina) die größte Zahl der ausgewanderten Kämpfer der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) aus dem Balkan. Die Anziehung, die der IS in Bosnien ausübt, sei aber nicht von heute auf morgen entstanden, sondern das Ergebnis einer jahrzehntelangen Entwicklung, so Vedran Dzihic, Balkan-Experte am Österreichischen Institut für Internationale Politik gegenüber ORF.at.
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„Der bosnische Islam, so wie wir ihn kennen, ist ein toleranter Islam europäischer Ausprägung, der die radikalen fundamentalistischen Tendenzen, wie sie in Teilen der arabischen Welt vorhanden sind, nicht gekannt hat“, sagte Dzihic.
Die Atlantic Initiative verzeichnete jedoch Anfang 2015 insgesamt 330 IS-Kämpfer, die sich aus Bosnien auf den Weg nach Syrien gemacht hatten. Die Zahlen seien kein Selbstläufer, sondern das Ergebnis einer langen Geschichte mit vielen Faktoren, so Dzihic weiter.
„Heiliger Krieg“ in Bosnien
Zum ersten Mal ließen sich Gotteskrieger, die Mudschaheddin-Kämpfer, zu Zeiten des Balkan-Krieges in Bosnien nieder. An die 1.500 Männer, die Afghanistan 1979 gegen die Sowjets verteidigt haben, zogen nach Bosnien und beteiligten sich an der Seite der bosnischen Streitkräfte am Krieg.
Sie interpretierten den Kampf gegen die Serben und Kroaten, im Gegensatz zu den Bosniern, ganz anders – nämlich als „Heiligen Krieg“. Viele von ihnen zogen wieder zurück nach Afghanistan und in die arabische Welt, andere ließen sich im Land nieder und blieben vorwiegend unter sich.
Weltweite Solidarität nach dem Krieg
Im Krieg der 1990er Jahre wurde Religion zu einem zentralen Unterscheidungsmerkmal zwischen südslawischen Nationen. „Es fand eine Retraditionalisierung statt und das nicht nur bei den Bosniern, den Vertretern der bosnischen Muslime, sondern auch bei den Kroaten und Serben", sagte Dzihic.
Die Bosnier waren von Beginn an in einer geschwächten Position, militärisch weniger gut ausgerüstet und dem Druck der Serben ausgesetzt. Sie stellten die meisten Opfer im Krieg. Das führte, so der Politologe, besonders in der islamischen Welt zu Solidarität mit den Bosniern. Es gab daher in den Jahren nach dem Krieg humanitäre Hilfe, aber auch den Wiederaufbau einer Infrastruktur, zu der der Bau von Moscheen und religiösen Einrichtungen wie Bibliotheken und Madrassen, also Koranschulen, zählte.
Gefährlicher Pragmatismus
Hier engagierte sich vor allem Saudi-Arabien als großzügiger Geldgeber und Partner im Aufbau der kulturellen Infrastruktur. „Nach dem Krieg hat die islamische Gemeinschaft in Bosnien die freiwillige Geldgeberrolle der Saudis nicht so kritisch beäugt“, sagt der Politologe, „die Saudis haben das sehr subtil gemacht.“ Und die islamische Gemeinschaft in Bosnien habe diesen Schritt durch eine pragmatische Brille gesehen, wie Dzihic erklärt. Sie seien sich auch der unterschiedlichen Auslegung des Islam bewusst gewesen.
Obwohl die Bosnier diese Hilfe begrüßt hätten, hielten sie weiter an ihrer Auslegung innerhalb der islamischen Gemeinschaft fest, so Dzihic. Trotzdem: Nach den Mudschaheddin-Kämpfern besiegelte der finanzielle Einfluss der saudischen Wahhabiten, die zur Strömung des Salafismus gehören, eine zweite Welle salafistischer Einflüsse in dem Land.
Die radikale Revolte der Jugend
In den 1990er Jahren entstanden dann erste radikalislamische Gruppen. Die Aktive Muslimische Jugend (AIO) formierte sich – ein Netzwerk, das der Meinung war, der bosnische Islam sei zu weich, zu tolerant, nicht konsequent und nicht der „richtige“ Islam. 2006 musste diese Gruppe ihre Aktivitäten einstellen - es fehlte an finanzieller Unterstützung.
Die verbliebenen tausend Anhänger lebten weiter ihre Interpretation des Islam. Manche lehnten den bosnischen Staat ab, andere forderten die Einführung der Scharia. So formierten sich unterschiedlichste salafistische Gruppierungen, vorwiegend in Bosnien, aber auch im südserbischen Sandschak. Über das Internet hätten diese Gruppen begonnen, zum globalen Dschihad aufzurufen, und damit vor allem bei den Jungen gepunktet, so der Politologe.
Nachwehen des Krieges
Die salafistischen Netzwerke kommen immer wieder in Konflikt mit der islamischen Gemeinschaft, welche salafistische Gebetsgruppen offiziell als illegale Einrichtungen deklarierte. „Das war auch ein Versuch, auf die Kritik vonseiten der orthodoxen und katholischen Kirche im Land einzugehen.“
Denn in der Debatte über die von Islamisten ausgehende Gefahr zeige sich, dass der Jugoslawienkrieg noch in die Gegenwart fortwirkt: „Häufig versucht man auf der Seite der Kroaten und Serben, den bosnischen Islam insgesamt als große Gefahr darzustellen“, sagt Dzihic, „wenn ein Anschlag passiert, wird dieser über die Medien stets zum Politikum. Dann sagen die Serben und Kroaten, das sind die Radikalen, und wir sind die Europäer.“
Dabei werde bewusst eines ausgelassen: Die islamische Gemeinschaft kämpfe selbst gegen die Stigmatisierung und Politisierung, so Dzihic, damit die Gräben innerhalb der Gemeinde nicht noch stärker werden und der bosnische Islam seine europäische Tradition beibehält.
Manuela Tomic, ORF.at
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