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Rekruten für den Islamischen Staat

Auf dem Balkan lebt die älteste islamische Community Europas. „Genau dort rekrutierten vorwiegend salafistische Gruppen Kämpfer für den Islamischen Staat in Syrien und im Nordirak“, sagte der Balkan-Experte Vedran Dzihic vom Österreichischen Institut für Internationale Politik gegenüber ORF.at. Vor allem die Rekrutierung im Internet ist laut Terrorexperten die große Unbekannte.

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Die größte Gruppe der ausgewanderten Kämpfer für die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) stammt laut den Zahlen der bosnischen Nichtregierungsorganisation (NGO) Atlantic Initiative aus Bosnien und dem Kosovo. Aber auch im südserbischen Sandschak, Albanien und Mazedonien wandern immer wieder Kämpfer aus. Laut der NGO sind Anfang 2015 insgesamt 330 Männer aus Bosnien und Herzegowina als IS-Kämpfer nach Syrien gegangen, 150 IS-Kämpfer stammen aus dem Kosovo, 90 aus Albanien, 70 aus Serbien. Aus Mazedonien sollen es zwölf Kämpfer gewesen sein.

Die Frage nach dem Lebenssinn

„Spannend ist, dass die Rekrutierung gleich verläuft wie in Brüssel, Paris oder Wien“, sagt Dzihic, „nämlich über das Netz.“ Auffällig sei, dass sich auch hier vorwiegend junge Männer angesprochen fühlen. Der Islam sei für sie die Antwort auf eine große Perspektivlosigkeit und die Frage nach dem Lebenssinn einer marginalisierten Gruppe, so der Politologe.

Die Sicherheitsexpertin Mimoza Xharo sagt in einem Interview mit der Nachrichtenwebsite Balkan Insight, dass die Balkan-Staaten die Gefahr der Rekrutierung junger Männer im Netz immer noch unterschätzen würden. Hier werde noch zu wenig unternommen. Xharo arbeitete mehrere Jahre mit dem albanischen Geheimdienst zusammen. Vor allem nach den Anschlägen in Paris sei deutlich mehr islamistisch-terroristisches Videomaterial in Sozialen Netzwerken verbreitet worden, so Xharo.

IS-Zeichen auf einem Zaun in einem bosnischen Dorf

Reuters/Dado Ruvic

Polizei an der Zufahrt zum Dorf Gornja Maoca - Symbole des IS im Hintergrund

Anonyme Krieger im Netz

„Die jungen Männer auf dem Balkan sind online sehr gut vernetzt und auch mit der Diaspora verbunden. Mit dem Aufkommen des IS, ihrem Versprechen, den Männern ein besseres Leben zu ermöglichen, und der raschen Verbreitung dieser Botschaft über Soziale Netzwerke hat sich die Gefahr der Rekrutierung potenziert“, so Dzihic.

In Albanien beispielsweise gibt es laut Xharo einen deutlichen Anstieg der Onlineaktivitäten mit radikalislamischem Inhalt. Die jungen Männer aus Albanien erhalten und teilen diese Videos, Xharo beschreibt sie als nur mittelmäßig religiös gebildet. Sie sehen sich als anonyme Krieger im Netz. Morgen aber schon könnten sie als „einsame Wölfe“ auch eigenständig abseits der virtuellen Welt handeln, so Xharo. All diese Faktoren würden die Onlinerekrutierung so undurchschaubar und gefährlich machen, sagt die Sicherheitsexpertin.

Rekrutierungsvideos als „Pulverfass“

Warum aber schafft es der IS, gerade auf dem Balkan zunehmend junge Männer per Onlinerekrutierung als Kämpfer für sich zu gewinnen? Dzihic stellt hier eine Verbindung zur Jugendarbeitslosigkeit her. Diese beträgt auf dem Balkan 50 Prozent. Bosnien weist mit fast 63 Prozent eine der höchsten Jugendarbeitslosigkeitsraten weltweit auf, sagt Dzihic.

„Die meisten jungen Männer leben bei den Eltern, es gibt keine Perspektive auf den EU-Beitritt oder die Verbesserung ihrer Lebensumstände. Und der Zugang zum Arbeitsmarkt wird immer noch vom Parteienapparat organisiert“, so Dzihic. Verbunden mit jugendlichem Tatendrang, Idealismus und Machismus könnten die Rekrutierungsvideos im Netz zu einem „unkontrollierbaren Pulverfass“ werden, so Dzihic. Schon im Frühjahr 2015 soll es, so Dzihic, um die 25.000 registrierte Twitter-Konten des IS gegeben haben, mit einem Durchschnitt von 200.000 Nachrichten pro Woche.

Ein Haus für die Familie

Auch im Kosovo fühlten sich viele junge Männer angesprochen. Das Land halte den Rekord der meisten ausgereisten Kämpfer prozentuell zur Bevölkerungsanzahl. Der Kosovo ist die jüngste Gesellschaft Europas, hier sind fast 90 Prozent der Menschen unter 30 Jahre alt. Der IS verspreche jungen Menschen ein Haus für ihre Familie, wenn sie sich ihm anschließen. Die Enttäuschung seit der Unabhängigkeit des Kosovo 2008 sei groß. Im südserbischen Sandschak sowie in Mazedonien sei die Situation ähnlich. Alle drei sind an das bosnische Netzwerk angebunden – das Netzwerk mit den meisten IS-Kämpfern in Syrien.

Islamistische Kämpfer in Bosnien

Bosnien hat die größte muslimische Bevölkerungsgruppe, die im Land die Mehrheit darstellt. Dass die meisten IS-Kämpfer des Balkans aus Bosnien stammen, hat laut Dzihic aber viele Faktoren. Der Jugoslawien-Krieg brachte Mudschahedin-Kämpfer ins Land, die bereits in Afghanistan 1979 gegen die Sowjets gekämpft hatten und im Jugoslawien-Krieg auf der Seite der Muslime waren. Nach dem Krieg engagierte sich vor allem Saudi-Arabien als großzügiger Geldgeber und Partner im Aufbau der kulturellen Infrastruktur. Und so hätten die saudischen Wahhabiten, die zur Strömung des Salafismus gehören, subtil immer mehr Einfluss in der Region bekommen, so der Politologe.

In den letzten Jahren gewann der Salafismus, eine ultrakonservative Strömung innerhalb des Islam, auf dem Balkan zunehmend an Bedeutung. Darunter gibt es auch radikale salafistische Netzwerke, die vorwiegend junge Männer als IS-Kämpfer an Ort und Stelle anwerben.

Anschläge im eigenen Land

Diese Netzwerke blieben vor allem in Bosnien nicht unbemerkt. Ab 2010 gab es eine Reihe von Terroranschlägen mit islamistisch-terroristischem Hintergrund. Ein Anschlag auf einen Polizeiposten, bei dem ein Polizist getötet wurde, ein Mann, der mit einer Kalaschnikow die amerikanische Botschaft beschoss und zwei Polizisten verletzte. Alleine 2015 gab es zwei Anschläge mit Todesfolgen. Die Parlamente in Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Mazedonien und Serbien verabschiedeten daraufhin Gesetze im Strafrecht, die bis zu 15 Jahre Haft für die Anstiftung zu oder Beteiligung an bewaffneten Konflikten im Ausland vorsehen.

Strategie zur Terrorismusbekämpfung

Auch die Islamische Glaubensgemeinschaft versucht mit unterschiedlichen Aktionen, der Bedrohung des islamistischen Terrors im eigenen Land entgegenzusteuern – beispielsweise mit Ausschluss bestimmter Gebetsgruppen, sogenannter Dschemati. Ein Dschemat ist eine Gruppe rund um eine Moschee, in der gemeinsam gebetet wird. Die Islamische Gemeinschaft deklarierte die salafistischen Gebetsgruppen offiziell als Para-Dschemat – also als illegale Einrichtungen und Strukturen des Islam, die nicht zur Islamischen Gemeinschaft gehören. „Die führenden Geistlichen der Islamischen Gemeinschaften richteten zudem ihre Appelle vor allem an junge Männer, sich nicht am Konflikt in Syrien zu beteiligen bzw. zurückzukehren“, so Dzihic.

Im Juli 2015 verabschiedete auch der bosnische Ministerrat eine neue landesweite Strategie zur Vorbeugung und Bekämpfung des Terrorismus. Im Oktober 2015 unterzeichnete das Land das Zusatzprotokoll zum Übereinkommen des Europarats zur Verhütung von Terrorismus. Und auch für die Zukunft sei klar: An einer intensiven strategischen Zusammenarbeit mit der EU, aber auch an regionalen Kooperationen der Polizeidienste, Geheimdienste und des Justizsektors zwischen den einzelnen Staaten Südosteuropas werde bei der Terrorbekämpfung kein Weg vorbeiführen, so Dzihic. Keine leichte Aufgabe, in einer Region, in der die Wunden des Krieges immer noch nicht verheilt sind.

Manuela Tomic, ORF.at

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