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„Niemand hat Euch eingeladen“

Ein Hauch von Abschiedsstimmung weht noch bis Ende der Woche von der Messehalle bis zum Minoritenkloster: Es ist das letzte Donaufestival unter der Leitung von Tomas Zierhofer-Kin, der seit zwölf Jahren die internationale Kunst- und Musik-Avantgarde nach Krems lockt. Sein Nachfolger Thomas Edlinger scharrt bereits in den Startlöchern.

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Zierhofer-Kins Donaufestivals sind Legende und international bekannt. Immer wenn man dachte, bereits alles gesehen zu haben, zauberten er und sein Team doch noch etwas Überraschendes, nie Gehörtes, nie Gesehenes aus dem Hut. Zumutungen für das Publikum, sperrige Performances konnten das sein - aber zwischendurch auch ein Rennen mit ferngesteuerten Autos über eine Bahn aus alten Vinylplatten; kreatives Chaos, jedoch immer mit einem äußerst strengen kuratorischen Blick zusammengestellt. Schräg durfte alles sein, hingeschludert oder irrelevant nicht.

Eindrücke vom Donaufestival 2016

ORF.at/Simon Hadler

Roberta Limas „Queer way“ im Klostergarten

Der hohen Qualität des Festivals während der letzten zwölf Jahre ist sich auch Nachfolger Edlinger bewusst, wie er in einem kurzen Gespräch mit ORF.at im Garten des Minoritenklosters sagt, wo gerade die Installation „Queer way“ von Roberta Lima das Männlich-autoritär-Katholische dekonstruiert. Deshalb möchte er das Festival auch gar nicht völlig neu erfinden - das zeichne sich schon jetzt in seiner Planung für nächstes Jahr ab. Aber er möchte etwas mehr mit Leitmotiven arbeiten. Die gab es bisher schon, jedoch eben nur sehr lose. Zwänglerisch soll sich selbstredend auch in Zukunft nicht alles um ein Hauptthema drehen.

Der Holzhammer, den es braucht

Das Motto heuer lautet „Niemand hat Euch eingeladen“, wobei es, unschwer zu erraten, um Flüchtlinge geht. Die spektakulärste Performance am ersten Wochenende lieferte dazu wohl God’s Entertainment, eine Truppe, die seit den Anfangstagen des Donaufestivals dabei ist. Nackte Frauen und Männer, an Leinen gekettet, die sich gegenseitig zu zerfleischen drohen wie ein Rudel aggressiver Kampfhunde. Erde wird in der Halle verschüttet und mit Flaschen begossen, auf denen Labels wie „Refugees Welcome“ und „Österreichische Werte“ zu lesen sind. Eine Mauer wird zwischen Publikum und Künstlern aufgezogen. Und ein Geistlicher führt bei ertrunkenen Flüchtlingen eine Nottaufe durch.

Man merkt schon: Da wird geklotzt und nicht gekleckert, da wird der Holzhammer geschwungen, die feine Klinge bleibt im Heft. Das Fehlen jedweder Subtilität wird aber wettgemacht durch Emotionen. Verzweifelt stemmen sich God’s Entertainment gegen die allzu hohe Aufmerksamkeitsschwelle, die in Sachen Asyl durch eine verwirrende Medienberichterstattung und verblasene Politikerstatements kaum noch zu erklimmen ist. Da braucht es nackte, sich windende Leiber, einen Mann, der sich fast selbst in einem Aquarium ertränkt und ganz viel Schlamm und Dreck. Sonst hört keiner mehr zu.

Eindrücke vom Donaufestival 2016

ORF.at/Simon Hadler

Ein Geistlicher tauft im Mittelmeer ertrunkene Flüchtlinge postum

Empathielos und verletzend

Die Aufmerksamkeit war also da - und wurde auf Aussagen gelenkt, deren Inhalt man im Alltag kaum noch wahrnimmt. Etwa jene von Kanzler Werner Faymann (SPÖ) in einem Interview mit der „Presse“: „Ich habe niemanden eingeladen, ich lade niemanden ein, und auch die Regierung hat niemanden eingeladen.“ Damit reagierte er auf Vorwürfe der FPÖ, die Regierung habe durch ihre zwischenzeitlich kurz positive Haltung Flüchtlinge überhaupt erst zur Flucht veranlasst. Aus dem Zusammenhang gerissen und in einem anderen Kontext wird erst spürbar, wie empathielos und kalt sich eine solche Aussage anhört - und wie verletzend sie sich für Betroffene anfühlen muss.

Pimmelbeet und Tixonacktheit

Erde wurde auch bei einer anderen Performance verschüttet beim Versuch, Aufmerksamkeit zu lukrieren. Elisabeth Bakambamba Tambwe konzipierte und absolvierte jedoch einen Auftritt, der schon viel schwieriger zu dechiffrieren war. Ein nackter Mann, der seinen Penis in ein Beet mit Pflanzen legt, das auf einem Tisch aufgebaut ist. Dann lässt er Plastikdinosaurier mit seinem Schwanz spielen. Das Ganze wird in Nahaufnahme auf eine Leinwand projiziert. Dann Bakambamba Tambwe selbst, nur in transparentes Klebeband eingewickelt, sonst nackt, die Masturbation mit einem Besen andeutet und dabei Erde vom Boden kehrt, bevor sie in ein Babyschwimmbecken mit Wasser steigt, während auf der Leinwand der Dschungelpenis zu sehen ist, samt sich wandelnden Sprüchen.

Eindrücke vom Donaufestival 2016

ORF.at/Simon Hadler

Eine Nebelwand zwischen Bühne und Publikum - nicht nur metaphorisch

Verhandelt wird hier nicht nur das Verhältnis des Menschen zur Natur, sondern auch jenes zwischen Bühne und Zuschauerraum. Mitten in der Performance, so scheint es zunächst, bricht Bakambamba Tambwe ab. Sie wendet sich verzweifelt ans Publikum: So funktioniere das nicht. Wie eine erschöpfte Diva steht sie da mit ihrem umgeschnallten Dildo und bettelt das Publikum um ein bisschen mehr Interesse an. Peinlich berührt weicht man dem Blickkontakt aus und wird sich der Kluft zwischen Schauspielern und Text auf der einen und der Rolle des Publikums auf der anderen Seite bewusst. Mit höchster Aufmerksamkeit verfolgt man den Rest der Darstellung. Das war wohl die Absicht.

Eindrücke vom Donaufestival 2016

Donaufestival/David Visnjic

Bakambamba Tambwe und der Penisdschungel - hier kurz ohne Penis

Ich bitt’ Sie, Herr Inspektor

Noch mehr auf Interaktion mit dem Publikum setzt die Kunstinspektion. Die gibt es eigentlich schon seit zwölf Jahren, genauso lange wie das Donaufestival. Das erste Mal nahm sie ihre Arbeit in der Kunsthalle Wien auf, dazwischen war sie einmal im Rahmen des Festivals der Regionen in Oberösterreich zu sehen. Worum es geht: Julius Deutschbauer, David Jagerhofer und Barbara Ungepflegt richten ein temporäres Büro ein, in dem man sich beschweren kann.

Veranstaltungshinweis

Von Donnerstag bis Sonntag sind in Krems beim Donaufestival noch zahlreiche Konzerte, Performances und Installationen zu sehen. Darunter auch die Kunstinspektion und God’s Entertainment.

Über alles, das irgendwie im weitesten Sinn mit Kultur zu tun hat - oder auch nicht. Der Witz der Aktion erschließt sich, wenn man ein wenig Zeit in der Inspektion verbringt oder mit den Inspektoren plaudert. Zunächst darf verwundern, dass überhaupt jemand kommt, um sich zu beschweren. Aber das Donaufestival hat 10.000 Haushalte mit seiner Ankündigung erreicht - und tatsächlich sind schon in den ersten paar Tagen 50 Anzeigen eingegangen - und die Kunstinspektion geht jeder nach.

Eindrücke vom Donaufestival 2016

ORF.at/Simon Hadler

Ungepflegt und Deutschbauer rücken zu einem Einsatz aus

Das Salzamt wird Realität

Schüler, die sich über Lehrer beschweren? Die Kunstinspektion rückt mit ihrem Mopedauto aus und stellt den Direktor zur Rede. Einer hat alle Hofer-Wähler angezeigt. Wie man dem nachgeht? „Na, wir reden auf der Straße jeden Dritten darauf an“, sagt Deutschbauer und lacht schallend. Aber nicht alles ist absurd, was einlangt. Provinzprobleme: Ab 18.00 Uhr werden die Gehsteige in Krems hochgeklappt, es ist nichts mehr los. Nach 21.00 Uhr bekommt man kaum noch etwas Ordentliches zu essen. Die Bibliothek hat nur zu Bürozeiten offen - als arbeitender Mensch hat man deshalb kaum eine Chance, etwas auszuleihen.

In Sachen Vergangenheitsbewältigung hapert es. Zwei Straßen seien noch nach Nazis benannt, aber keine nach der legendären Nachkriegs-Stadträtin. Und zum jüdischen Friedhof kommt man nur, wenn man sich vorher in einer Tankstellenwerkstatt den Schlüssel holt. Aber wieso kommen die Menschen mit solchen durchaus ernsten Beschwerden zum „Kunstinspektorat“, das eher kabarettistisch anmutet als offiziös?

Eindrücke vom Donaufestival 2016

ORF.at/Simon Hadler

Hochoffiziell geht es zu in der Kunstinspektion, aber mit Augenzwinkern

Der niederösterreichische Absolutismus

Deutschbauer sagt, dass er beim Nachgehen der Anzeigen immer wieder am niederösterreichischen Absolutismus verzweifelt. Beamte X darf ohne die Pressestelle nichts sagen. Die Pressestelle verweist auf den Sprecher. Der Sprecher auf den Beamten, der wiederum auf die Rechtsabteilung - so geht es im Kreis herum. Hier schützt sich ein System vor den Bürgern, der „kurze Dienstweg“ wird zum Labyrinthlauf durch Kafkas Schloss. Den wollen sich viele Bürger nicht antun und reagieren deshalb so positiv auf ein niederschwelliges Projekt wie die Kunstinspektion.

Als niederschwellig kann man das Programm des Donaufestivals sonst nicht bezeichnen. Und dennoch kommen auch die Kremser. Junge Techno-Kids gehen aus sich heraus und tanzen bei Avantgarde-Elektronik ab, während sich das steife Kunstpublikum gerade einmal ansatzweise zu wippen traut. Und auf God’s Entertainment lassen sich Menschen ein, die am Ende zwar kopfschüttelnd den Saal verlassen, aber immerhin: Sie haben sich auf das Experiment eingelassen. Das ist nicht wenig.

Simon Hadler, ORF.at

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