Literaturbegabte Revolutionärin
Vor 200 Jahren ist Charlotte Bronte im englischen Thornton geboren worden. Zeit ihres Lebens schrieb sie Romane und Gedichte, die sie in der restriktiven Gesellschaft des viktorianischen Zeitalters meist unter einem männlichen Pseudonym publizieren musste.
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Zusammen mit ihren Schwestern Emily und Anne veränderte Charlotte Bronte mit ihren revolutionären Werken die Sichtweise von und auf Frauen im 19. Jahrhundert. Nach dem frühen Tod der Mutter übernahm sie die Fürsorge für die jüngeren Schwestern und ihren Bruder Branwell. Mit einer kurzen Unterbrechung verbrachte die Tochter eines irischen Pastors ihr gesamtes Leben in der Moorlandschaft Yorkshires in Nordengland.
Den sozialen Restriktionen der damaligen Gesellschaft setzte Bronte ihre unglaubliche Vorstellungskraft und einiges an Einfallsreichtum entgegen. Frauen hatten im viktorianischen Zeitalter wenige Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung - und auch für Schriftstellerinnen galt ein strenges Regelwerk.
Verpönte Begriffe
Dass sich Autorinnen gesellschafts- oder sozialkritischer Stoffe annahmen, war im England des frühen 19. Jahrhunderts ebenso verpönt wie der Gebrauch heutzutage alltäglicher Wörter. So war es für Frauen unschicklich, Wörter zu benutzen, die auf etwas „Geschlechtliches“ hindeuten, etwa „Stute“, „Unterhemd“ und „Hose“. All diese verbotenen Wörter kommen in „Jane Eyre. Eine Autobiografie“ vor, mit dem Bronte den Durchbruch schaffte und das 19-mal verfilmt und unzählige Male fürs Theater adaptiert wurde.
Der Roman, den Bronte 1847 unter dem Pseudonym Currer Bell veröffentlichte, sorgte für großes Aufsehen. Kritiker geißelten die im Buch verwendete Sprache als „rüde“, „herb“ und „derb“ und den Inhalt - in Anspielung auf die Französische Revolution und deren Nachwirkungen - als „moralischen Jakobinismus“.
Liebesroman und Schauermärchen
In „Jane Eyre. Eine Autobiografie“ wird die Geschichte eines Waisenkinds in einem Pensionat für arme Mädchen erzählt. Die Hauptfigur Jane Eyre verliebt sich in den Schlossbesitzer Rochester, dessen Mündel sie unterrichtet. Aus der Liebesgeschichte entspinnt sich ein Schauermärchen, in dessen Verlauf Rochesters Schloss niederbrennt und der Schlossherr blind wird. Die immense Wirkung, die der Roman zu seiner Zeit in der Gesellschaft hatte, ist nicht zu unterschätzen. Der frische Blickwinkel auf das Thema spielte ebenso eine Rolle wie Brontes erzählerische Brillanz, mit der sie die Leser tief in die Geschichte hineinzog.
Die emanzipatorische Kraft des Werks wirkt bis heute nach. Jenseits der damals so hohen Klassen- und Geschlechterschranken verlangt eine junge Frau einem älteren, gut situierten Mann Respekt ab. „Glauben Sie, ich hätte weder Seele noch Herz, nur weil ich arm, unbedeutend, hässlich und klein bin? Da irren Sie sich!“, schleudert Jane Eyre an einer Stelle ihrem Chef entgegen.
Ärger über Schlechterstellung
Die Ungleichheit, gegen die Jane Eyre ankämpft, sah Bronte ganz real am Beispiel ihres Bruders Branwell. Ganz im Gegensatz zu seinen brillanten Schwestern wurden ihm alle Bildungsmöglichkeiten gewährt. In seinem Wunsch, ein Künstler zu werden, wurde er nicht nur von seinen Eltern bestärkt, sondern auch von der unmittelbaren sozialen Umgebung. Seine Schwestern mussten währenddessen einfache Tätigkeiten verrichten und genau überlegen, wie sie überhaupt eigenes Geld verdienen konnten.
Charlotte hasste es indes, Lehrerin und Kindermädchen zu sein, war darauf aber zumindest finanziell angewiesen. „Egal ob Frauen arbeiten oder nicht, sie sind niemals frei. Ihre Brüder hingegen werden selbstverständlich in die Welt entlassen, gerade so, als ob sie von allen Wesen die weisesten wären und jene, denen man am meisten trauen könne, sie schweifen zu lassen“, formulierte sie einmal.
Ehe ist kein Ausweg
Die Ehe kam für Bronte nie als Ausweg, sondern nur als bewusste Liebesentscheidung infrage. Sie wiederholte gegenüber ihrer Freundin und späteren Biografin Elizabeth Gaskell oft, dass sie niemals aus Pragmatismus, Mitleid, Gnade oder Angst heiraten würde. Mit ihren Werken versuchte sie, auch wohlhabende Mädchen dazu anzuhalten, sich unabhängig zu orientieren, um den „pietätlos degradierenden“ Heiratsmarkt zu umgehen.
Ihre Heldin Shirley im gleichnamigen Roman, der 1849 erschien, verkörpert diese Freiheit. Wohlhabend, hübsch, gesund und sorgenfrei ist Shirley bei Weitem die aktivste und am wenigsten ängstliche von allen weiblichen Figuren Brontes, und damit auch die ungewöhnlichste.
Bronte selbst heiratete 1854 nach einigem Zögern Arthur Bell Nicholls, den Hilfspfarrer ihres Vaters. Bereits kurz nach der Hochzeit wurde Bronte schwanger, starb aber noch vor der Geburt an „Schwindsucht“. Die wahre Todesursache dürfte Brontes Biografen zufolge aber Dehydratation und Unterernährung infolge von schwerer Schwangerschaftsübelkeit gewesen sein.
Biografie mit Bedeutung
Neben „Jane Eyre. Eine Autobiografie“ und „Shirley“ hinterließ Bronte zwei weitere Romane: „Villette“ (1853) und ihr postum erschienener erster Roman „Der Professor“, der zu Brontes Lebzeiten keinen Verleger fand. Ebenfalls zum wichtigen Werk wurde Gaskells Biografie „Das Leben der Charlotte Bronte“: Das 1857 veröffentlichte Buch war eines der ersten, die von einer bedeutenden Autorin über eine andere verfasst wurden.
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